PPH 2003; 9(3): 121-122
DOI: 10.1055/s-2003-39869
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

S. Schoppmann
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. Juni 2003 (online)

Was leisten die deutschen Hochschulen in Bezug auf die psychiatrische Pflege? Auf den ersten kurzen Blick könnte man sagen: Sie leisten nicht allzu viel. Nach meinem derzeitigen Wissensstand gibt es keine Fachhochschule oder Hochschule, die einen Abschluss in psychiatrischer Pflege anbietet. Ich weiß, dass einige Hochschulen auch Lehrveranstaltungen zu psychiatrischer Pflege anbieten, aber ich kenne keine, die die psychiatrische Pflege zu einem Schwerpunkt in der Lehre gemacht hat. Da stellt sich natürlich die Frage, warum das so ist.

Um diese Frage zu beantworten, scheint es sinnvoll zu sein, sich zunächst damit zu beschäftigen, welche Angebote es überhaupt gibt.

Einer Umfrage an 35 Hochschulen zufolge studierten im Wintersemester 2002/03 in Deutschland 6889 Studenten pflegewissenschaftliche Fächer an Fachhochschulen und Universitäten. Wie diese Umfrage ergab, ist besonders die Studienrichtung Pflegemanagement gefragt. So seien 46 % aller Studierenden in diesem Bereich eingeschrieben. Mit einem Anteil von 27 % liege die Pflegepädagogik auf Platz 2. Im Studienfach Pflegewissenschaft seien 10 % immatrikuliert und die übrigen 17 % verteilten sich auf andere pflegerische Studiengänge [3].

Obwohl diese Entwicklung und die Zahlen beeindrucken, lassen sie noch keine Schlüsse über die Inhalte der verschiedenen Angebote zu. Was also kann ich denn lernen, wenn ich Pflege studiere, was ist die Aufgabe der Pflegewissenschaft?

Vor mehr als zehn Jahren wurde in der Denkschrift „Pflege braucht Eliten”, herausgegeben von der Robert-Bosch-Stiftung, inzwischen konzeptionell weiterentwickelt, festgehalten, dass die Pflegewissenschaft die Aufgabe hat, von der Praxis ausgehende Impulse zu bewerten, in einen Gesamtrahmen einzuordnen, zu generalisieren, durchzusetzen und sie gegenüber anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen sowie in der Öffentlichkeit und der Politik darzustellen. Darüber hinaus soll sie vorhandenes Wissen ordnen, beschreiben und anhand von Hypothesen und Theorien überprüfen, um dieses Wissen zu sichern. Dabei soll sie vor allem Bezug auf die pflegerische Praxis nehmen, wozu auch gehört, Instrumente zur Sicherung von Pflegestandards und Pflegequalität zu entwickeln [1, S. 102f.].

Die Kernfrage dazu lautet: Wie kommen die Anliegen der Pflegepraxis zur Pflegewissenschaft?

Unter anderem geschieht dies, weil Pflegepraktiker sich für ein Studium entscheiden und im Laufe dieses Studiums ihre noch vorhandenen Fragen aus der Praxis jetzt mit wissenschaftlichen Methoden z. B. im Rahmen von Qualifikationsarbeiten zu beantworten suchen.

Ich kenne auch einige solcher Arbeiten, die sich mit pflegerisch-psychiatrischen Fragestellungen befassen. Drei dieser sehr früh entstandenen Arbeiten sind in dem Bändchen „Pflegeforschung in der Psychiatrie” [2] veröffentlicht worden. Ganz sicher gibt es noch sehr viel mehr nicht veröffentlichter Qualifikationsarbeiten, die sich auf wissenschaftlichem Niveau mit Fragen der psychiatrischen Pflege beschäftigen. Schade, aber zurzeit noch kennzeichnend für die deutsche psychiatrisch-pflegewissenschaftliche Landschaft ist, dass diese Arbeiten eben nicht veröffentlicht und damit dem breiten Publikum auch nicht zugänglich sind. Sucht man in deutschsprachigen Literaturdatenbanken nach wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit Inhalten psychiatrischer Pflege beschäftigen, bleibt die Ausbeute sehr mager. So entsteht der Eindruck, dass die Pflegewissenschaft sich kaum mit psychiatrischen Themen beschäftigt und dass die Hochschulen wenig für die psychiatrische Pflege zu bieten haben.

Ein Kennzeichen wissenschaftlichen Denkens ist, dass man Dinge von mehreren Seiten beleuchtet und auch gegenteilige Argumente in Betracht zieht. Wendet man dieses Prinzip auf die Frage nach den Leistungen der Hochschulen in Bezug auf die psychiatrische Pflege an, so bedeutet das nach den bisherigen Ausführungen, dass man die Fragestellung umdrehen muss. Die Frage lautet dann nicht mehr: Was leisten die Hochschulen in Bezug auf die psychiatrische Pflege?, sondern: Was leistet die psychiatrische Pflege in Bezug auf die Hochschulausbildung? Welche Themen aus der Praxis brennen so auf den Nägeln, dass sie dringend untersucht werden müssen? Was tut die psychiatrische Pflegepraxis, um die Wissenschaft für diese Themen zu interessieren? Wo sind die psychiatrischen Pflegekräfte an den Hochschulen?

Gegenwärtig sind 6889 Studenten in pflegerischen Studiengängen eingeschrieben. 10 % davon, also 689 Studierende, haben die Fachrichtung Pflegewissenschaft belegt und wir wissen nicht, wie viele davon sich mit psychiatrischen Themen beschäftigen, aber man kann schätzen, dass es ein vergleichsweise geringer Prozentsatz ist. Wie eingangs erwähnt, gibt es auch jetzt schon Pflegende, die sich mit psychiatrischen Pflegethemen in wissenschaftlicher Weise beschäftigen und die sich häufig noch als Einzelkämpfer fühlen und wenig voneinander wissen. Hier könnten wir uns andere Länder wie z. B. Großbritannien zum Vorbild nehmen und ein Netzwerk für psychiatrische Pflegeforschung in Deutschland einrichten. Mithilfe der elektronischen Medien dürfte das so schwer nicht sein, und es hätte nicht nur den Vorteil, dass sich die wissenschaftlich arbeitenden psychiatrischen Pflegekräfte finden könnten, sondern auch Wissen zu bündeln und Wissenslücken deutlich werden zu lassen. Gleichzeitig könnte ein solches Netzwerk auch eine Plattform für den Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft sein und, wie das Inhaltsverzeichnis der aktuellen Ausgabe zeigt, unsere Fachzeitschrift sinnvoll ergänzen.

Literatur

  • 1 Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg) .Pflege braucht Eliten: Denkschrift der Kommission der Robert-Bosch-Stiftung zur Hochschulausbildung für Lehr- und Leitungskräfte in der Pflege; mit systematischer Begründung und Materialien. Gerlingen; Bleicher Verlag 1992
  • 2 Schnepp W, Schoppman S, Scharf W. et al .Pflegeforschung in der Psychiatrie. Berlin/Wiesbaden; Ullstein Mosby 1997
  • 3 www. Pflegestudium.de; [Zugriff am 1.3.03]. 

Dr. S. Schoppmann

Moers

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