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DOI: 10.1055/s-2003-39926
Kosteneffizienz in der Diagnostik der koronaren Herzkrankheit
Cost-effectiveness in Diagnosis of Coronary Artery DiseasePublikationsverlauf
Publikationsdatum:
17. Juni 2003 (online)
Die koronare Herzkrankheit (KHK) und deren Folgen, wie z. B. der akute Myokardinfarkt, sind mit einem Anteil von 21 % weiterhin die bedeutendste Gruppe unter den Todesursachen in Deutschland [1]. Fast alle Patienten sind nach einem akuten Myokardinfarkt lebenslang medikamentenpflichtig, jeder fünfte von ihnen entwickelt eine Postinfarktdepression und jeder zehnte Patient bildet im Laufe des weiteren Lebens eine Herzinsuffizienz aus [2]. Allerdings sind auch die ökonomischen Folgen der KHK bemerkenswert. So wurden in Deutschland Mitte der 90er Jahre jährlich 6,1 Milliarden € für die ambulante und stationäre Behandlung der KHK ausgegeben [3]. Zur weiteren Veranschaulichung kann beispielsweise darauf hingewiesen werden, dass für jeden Patienten mit KHK für den gesamten Krankheitsverlauf durchschnittliche Kosten von 64 000 € entstehen [3].
Welche Relevanz haben Untersuchungen zur Kosteneffizienz in diesem Zusammenhang? Bei der derzeitigen Situation der Krankenversicherungssysteme in Deutschland, aber auch weltweit ist die klinische Effektivität einer neuen Technologie kein hinreichendes Argument, um Entscheidungsverantwortliche in der Gesundheitspolitik und der Gesellschaft schlechthin von der Notwendigkeit der Erstattung neuer Leistungen zu überzeugen. Es kommt inzwischen vielmehr darauf an nachzuweisen, dass die Finanzierung neuer Verfahren im Vergleich zu den etablierten Methoden eine sinnvolle und auch gesamtgesellschaftlich lohnende Investition ist. Deshalb sind neue Methoden dazu gezwungen, sowohl den Nutzen für den Patienten nachzuweisen als auch den Beweis für Kostenneutralität oder sogar -ersparnis zu erbringen. Die Radiologie ist von derartigen Betrachtungen zur Kosteneffizienz ganz besonders betroffen, da neue Technologien für etwa die Hälfte der Kostensteigerung im Gesundheitswesen verantwortlich gemacht werden [4].
Was sind Untersuchungen zur Kosteneffizienz? Hierbei erfolgt die Messung der notwendigen Kosten, um einen definierten Nutzen zu erzielen: z. B. die Kosten pro korrekt diagnostiziertem Patienten mit KHK. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit der Zunahme der Prävalenz einer Erkrankung die Kosten für die Testung einer einzelnen Person aufgrund steigender Fallkomplexität linear zunehmen. Andererseits nehmen jedoch die Kosten pro korrekt diagnostizierter Person hyperbolisch ab (zunehmende Kosteneffizienz bei steigender Prävalenz) [5]. Kosteneffizienz-Analysen sind insbesondere geeignet, um konkurrierende Verfahren direkt miteinander zu vergleichen. Hierbei werden der zusätzliche Nutzen, den die neue Technologie mit sich bringt, und die gleichzeitig unter Umständen entstehenden Mehrkosten gegenüber dem herkömmlichen Verfahren abgewogen.
Auf dem Gebiet der Diagnostik der KHK ist eine Fülle von Untersuchungen zur Kosteneffizienz durchgeführt worden. Diese beruhen auf mathematischen Modellen und Ergebnissen klinischer Untersuchungen, wobei letztere für Alltagsentscheidungen selbstverständlich einen größeren Stellenwert besitzen. Die erste Untersuchung basierend auf einem mathematischen Modell wurde 1984 von Patterson et al. durchgeführt [5]. Diese zeigte, dass Patienten mit einer mittleren Prätestwahrscheinlichkeit für eine KHK (10-80 %) am kostengünstigsten mit der dem Herzkatheter vorgeschalteten Belastungsszintigraphie stratifiziert werden konnten. Bei einer höheren Wahrscheinlichkeit einer KHK (Prätestwahrscheinlichkeit über 80 %) entstanden mit der Szintigraphie zu viele falsch negativ eingeordnete Patienten, so dass bei diesen Hochrisikopatienten die direkte Diagnostik mit der Koronarangiographie am kosteneffizientesten war. Diese Studie wurde in ihrer Hauptaussage, dass Patienten mit mittlerer Prätestwahrscheinlichkeit durch eine vorgeschaltete nicht-invasive Herzbildgebung am kostengünstigsten diagnostiziert werden, in verschiedenen nachfolgenden Modellrechnungen bestätigt [6] [7] [8] [9] [10]. Allerdings benutzten diese mathematischen Modelle jeweils unterschiedliche diagnostische Methoden und Strategien. Folgerichtig gab es je nach angenommenen Rahmenbedingungen auch unterschiedliche Ergebnisse: So waren die kombinierte Belastungs-EKG mit nachfolgender Stressechokardiographie oder -szintigraphie [6], die Belastungsszintigraphie [7], die Positronenemissionstomographie [8] oder die Elektronenstrahltomographie [9] [10] nach Aussage der jeweiligen Autoren am kostengünstigsten.
Den im Routinebetrieb tätigen Arzt können solche Ergebnisse nur zur Verwunderung über die Zuverlässigkeit der mathematischen Modelle bringen. Verlässlicher erscheinen hingegen die Ergebnisse zur Kosteneffizienz, die auf klinischen Studien basieren. Für den Einsatz der nuklearmedizinischen Methoden liegen diesbezüglich die ausführlichsten Daten vor. So wiesen zwei multizentrische Studien unabhängig voneinander nach, dass die vorgeschaltete Belastungsszintigraphie eine kosteneffiziente Strategie sowohl in Anbetracht der diagnostischen Kosten als auch der Nachsorgekosten darstellt [11] [12]. Die größere dieser Studien zeigte [11], dass die Belastungsszintigraphie, wenn sie bei allen Patienten als nicht-invasive Methode der Herzkatheteruntersuchung vorgeschaltet wird, im Vergleich zur direkten Herzkatheteruntersuchung die resultierenden Kosten um 30 - 40 % senkt. Sogar bei Patienten mit unauffälliger Ruhe- Elektrokardiographie und mittlerer Prätestwahrscheinlichkeit für eine KHK wies die Belastungsszintigraphie in einer klinischen Studie ihren zusätzlichen diagnostischen, aber auch finanziellen Nutzen nach [13]. Für die Stressechokardiographie existiert derzeit keine ähnlich breite Datenlage. Eine mathematische Kosteneffizienz-Analyse [14], die auf einer wegen schlechter statistischer Homogenität sehr umstrittenen Meta-Analyse fußte [15] [16], zeigte eine bessere Kosteneffizienz und diagnostische Wirksamkeit für die Stressechokardiographie im Vergleich zur Belastungsszintigraphie. Allerdings erbrachte eine andere Meta-Analyse eine gleiche diagnostische Wirksamkeit beider Verfahren [17].
Mit der Magnetresonanztomographie (MRT) [18] und der Computertomographie (CT) [19] stehen zwei innovative Technologien an der Schwelle zur Akzeptanz bei der Diagnostik der KHK. Beide Verfahren zeigten viel versprechende Ergebnisse in ersten klinischen Studien. Allerdings wird sich wie in der Vergangenheit bei der Szintigraphie, der Echokardiographie, der Positronenemissionstomographie und der Elektronenstrahltomographie, auch bei der MRT und der CT neben der diagnostischen Wirksamkeit vor allem die Frage nach der Kosteneffizienz beim Management von Patienten mit dem Verdacht auf eine KHK stellen. Erst wenn diese Effizienz nachgewiesen ist, besteht die Chance einer Kostenerstattung und der darauf basierenden Integration in klinische Abläufe.
Welche Voraussetzungen sollten für derartige Untersuchungen erfüllt sein? Die Übertragbarkeit von Kosteneffizienz-Analysen ist wegen der Zugrundelegung von lokalen Erstattungs- oder Kostenwerten erheblich eingeschränkt. Analysen aus den Vereinigten Staaten könnten keinesfalls ohne weiteres auf die völlig anderen Gesundheitssystemstrukturen in Deutschland übertragen werden. Es sind folgerichtig Untersuchungen in Deutschland zur Kosteneffizienz von MRT und CT notwendig. Anders als bei der Echokardiographie und der Szintigraphie sollte hierbei nicht versäumt werden, direkte Vergleichsstudien beider Verfahren in derselben Patientenpopulation durchzuführen. Selbstverständlich sollten derartige Patientenuntersuchungen an mehreren Zentren und nach einheitlichen Kriterien mit ausreichenden Patientenzahlen geplant werden. Ein Vergleich mit den herkömmlichen Strategien bei der Diagnostik von Patienten mit dem Verdacht einer KHK ist hierbei essenziell.
Schon 1988 wurde die Überprüfung der Kosteneffizienz der MRT bei der kardiovaskulären Diagnostik gefordert [20]. Diese Aufgabe ist seitdem ungelöst. Mit der Einführung der Mehrschicht-CT in die kardiovaskuläre Diagnostik ist eine weitere radiologische Technologie in den Wettbewerb um die kosteneffizienteste Strategie eingetreten. Ausreichend dimensionierte und strategisch geplante Studien werden notwendig sein, um neben der diagnostischen Wirksamkeit von MRT und CT auch deren Kosteneffizienz in der Herzdiagnostik zu überprüfen und damit die Frage nach der Implementierbarkeit dieser Technologien in den klinischen Alltag zu beantworten.
Für die Radiologie ist es nicht nur entscheidend, weiterhin die Überprüfung neuer medizinischer Technologien und deren Integration in diagnostische Strategien vorzunehmen, sondern auch deren Kosteneffizienz zu evaluieren. Dann wird es auch gelingen, dass die Radiologie ihre herausgehobene Stellung unter den medizinischen Innovationsfächern festigt.
Literatur
- 1 Statistisches Bundesamt .Statistisches Jahrbuch 2000 für die Bundesrepublik Deutschland. Saarbrücken; MetzIer-Poeschel 2000: 424
- 2 Statistisches Bundesamt .Gesundheitsbericht für Deutschland: Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Saarbrücken; MetzIer-Poeschel 1998: 162-164
- 3 Klever-Deichert G, Hinzpeter B, Hunsche E, Lauterbach K W. Costs of coronary heart diseases over the remaining life time in coronary heart disease cases - an analysis of the current status of coronary heart disease cases in Germany from the social perspective. Z Kardiol. 1999; 88 991-1000
- 4 Mattke S. Cardiology and cost control: the ethical challenge for the new millennium. Z Kardiol. 2000; 89 649-657
- 5 Patterson R E, Eng C, Horowitz S F, Gorlin R, Goldstein S R. Bayesian comparison of cost-effectiveness of different clinical approaches to diagnose coronary artery disease. J Am Coll Cardiol. 1984; 4 278-289
- 6 Henry P, Makowski S, Guermonprez J L, Guize L. A comparative study of 4 diagnostic strategies in coronary artery disease. A theoretical approach. Arch Mal Coeur Vaiss. 1997; 90 327-335
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Prof. Dr. med. B. Hamm
Institut für Radiologie, Universitätsklinikum Charité, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin
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