NOTARZT 2003; 19(5): 198-199
DOI: 10.1055/s-2003-42835
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Intoxikation mit schwerem Schock

R.  Senf1 , F.  Martens1
  • 1Charité, Campus Virchow-Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
09. Oktober 2003 (online)

Der Fall

In den frühen Abendstunden wird der Notarzt unter dem Stichwort „plötzliche Bewusstlosigkeit” durch den RTW nachalarmiert. Im dritten Stock eines Hinterhauses findet er einen 51-jährigen Patienten auf dem Boden seines Wohnzimmers liegend vor. Die RTW-Mannschaft berichtet, sie sei zur „Person in Notlage” gefahren. Der Patient habe noch selbst die Wohnungstür geöffnet und ihnen erklärt, er habe Tabletten genommen, danach sei er bewusstlos zusammengebrochen. Jetzt hätten sie Schwierigkeiten, den Puls zu tasten.

Auf dem Boden liegt ein zyanotischer, tief bewusstloser Patient mit einem nur sehr schwach tastbaren Karotispuls mit einer Frequenz von 18/min. Im Monitor-EKG sind bradykarde, verbreiterte Kammerkomplexe zu sehen. Nach Intubation und Anlegen eines peripher-venösen Zuganges ändert sich die Situation nicht. Die Zyanose wird geringer, doch die ausgeprägte Hypotonie hält an. Inzwischen haben die Rettungssanitäter die Wohnung nach den vom Patienten erwähnten Tabletten durchsucht und mehrere, leere Streifen von Verapamil-Filmtabletten à 80 mg gefunden. Dies erklärt den schweren Schockzustand. Der Notarzt ordnet wegen der kaum tastbaren Pulse Herzdruckmassage an und injiziert währenddessen Kalziumchlorid und Adrenalin. Darunter kommt es zu einem temporären Anstieg der Herzfrequenz und besser tastbaren Pulsen. Im weiteren Verlauf des Einsatzes erhält der Patient auf diese Weise insgesamt sechs Ampullen Kalziumglukonat 10 % (ca. 9500 mg Ca++) und 35 mg Adrenalin. Zur Vergiftungsbehandlung instilliert der Notarzt 50 g Medizinalkohle über die zuvor gelegte Magensonde. Nach Voranmeldung „Patient mit schwerem Schockzustand durch Vergiftung” erfolgt der Transport in die Universitätsklinik.

Bei Übernahme dort ist der Patient intubiert, beatmet und weist schwach tastbare Pulse einer Frequenz von 30 - 40/min auf. Über einen V.-subclavia-Zugang wird ein transvenöser Schrittmacher eingelegt, der nach wiederholten Einschwemmversuchen schließlich unter Durchleuchtung korrekt platziert werden kann und bei einer Stimulationsfrequenz von 60/min adäquat beantwortet wird. Darunter ändert sich der Blutdruck jedoch nicht, so dass die noch vom Notarzt begonnene Adrenalindauerinfusion fortgeführt wird. Zusätzlich werden Kalziumglukonat und Glukagon in den folgenden Stunden kontinuierlich verabreicht. Darunter erholt sich die Schocksituation innerhalb von fünf Tagen. Die Schrittmachertherapie kann dann beendet werden. Radiologische Veränderungen, die einer Aspirationspneumonie entsprechen könnten, Fieber und hohe Entzündungszeichen machen jedoch die Fortführung der Katecholamintherapie, der Beatmung und die Gabe von Antibiotika erforderlich. Massiv erhöhte Transaminasen von über 5000 U/l GOT/GPT werden als Ausdruck der Leberschädigung im Rahmen des protrahierten Schockzustandes gewertet. Zehn Tage nach Aufnahme im Krankenhaus kann der Patient extubiert und schließlich zwei Tage später in eine psychiatrische Klinik verlegt werden.

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité · Campus Virchow-Klinikum · Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin · Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

eMail: frank.martens@charite.de