psychoneuro 2003; 29(9): 415-417
DOI: 10.1055/s-2003-43145
Brennpunkt

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Bedeutung für die Versorgung psychisch Kranker - Eckpunkte der parteiübergreifenden Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform

Jürgen Fritze1
  • 1für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
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Publication Date:
24 October 2003 (online)

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hat vor Kurzem die Eckpunkte des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) kritisch kommentiert (Nervenarzt 2003; 74: 391-393; Psychoneuro 2003; 29: 180-182). Die DGPPN hat auch im Rahmen des Anhörungsverfahrens des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung des Bundestages mündlich und schriftlich (bei www.dgppn.de) zum Entwurf der Regierungsfraktionen eines Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes (GMG) Stellung genommen. Auch bei dieser Gelegenheit wurden sowohl viele gemeinsame, zumindest überlappende Ziele wie auch krass unterschiedliche Positionen der Parteien deutlich.

Nur wenige zweifeln, dass angesichts der gesamtwirtschaftlichen Lage Deutschlands und der damit zusammenhängenden Beitragsentwicklung (derzeit durchschnittlich 14,3 %) in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der kommenden finanziellen Herausforderungen durch Überalterung der Bevölkerung und dank weiteren medizinischen Fortschritts das Gesundheitssystem fortentwickelt werden muss. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag einerseits und im Bundesrat andererseits ließen erwarten, dass der Gesetzgeber erneut ein Beispiel für Handlungsunfähigkeit liefern würde. Das wäre für die Sache fatal und dem Bürger politisch kaum zu vermitteln gewesen. Die zu erwartende, zunehmende Politikverdrossenheit hätte weiteren Anschub erhalten. Es ist erfreulich, dass die Parteien vor diesem Hintergrund zumindest den Konsens hatten, sich frühzeitig für einen parteiübergreifenden Konsens über eine Gesundheitsreform anstrengen zu müssen. Im Vorfeld wurden als Vorleistung der Regierungskoalition die Gesetzgebungsverfahren zum GMG und zum Positivlistengesetz ausgesetzt.

Die zweiwöchigen Anstrengungen mündeten am 21.07.2003 in die „Eckpunkte der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform”. Damit ist das Verfahren zweifellos nicht abgeschlossen: Jetzt geht es darum, die Eckpunkte zu konkretisieren und in Gesetzestext umzusetzen. Auch wenn die Teilnehmer der Konsensrunde derzeit nach außen Einmütigkeit demonstrieren, so sind spätestens im neuen Gesetzgebungsverfahren neue, auch scharfe Konflikte zu erwarten. Dafür spricht die schon jetzt z.T. harsche Kritik am gefundenen Konsens nicht nur aus den Reihen spezieller Interessenvertreter, sondern auch aus einzelnen Parteien.

Demokratie ist die Kunst des Kompromisses mit dem Ziel des Interessenausgleichs. Wie Frau Rita Süßmut es formuliert hat: „Demokratie ist anstrengend”. Und das ist gut so (wie der regierende Bürgermeister Wowereit in anderem Zusammenhang meinte sagen zu müssen). In einem guten Demokratieverständnis müssen Lasten gleichmäßig, sozial ausgewogen verteilt werden. Das war auch das erklärte Ziel der Konsensrunde. Deutlich erkennt man im Konsenspapier, wo die spezifischen Ziele einzelner Parteien eingegangen sind und wo nachgegeben wurde. Dabei ist sogar die Handschrift der kleinen Parteien zu erkennen. Entstanden ist kein „fauler Kompromiss”, sondern tatsächlich ein Geben aller am Gesundheitssystem Beteiligten, d.h. allerdings auch der Versicherten und Patienten. Generelles Ziel bezüglich der „Leistungserbringer” sei, vom ökonomischen Wettbewerb zu einem Wettbewerb um Qualität zu kommen. Im Folgenden werden die Eckpunkte weitgehend nur insoweit kommentiert, wie die Belange psychisch Kranker direkt tangiert werden.

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. Jürgen Fritze

Asternweg 65

50259 Pulheim