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DOI: 10.1055/s-2003-44320
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Diuretika - Medikamentöse Therapie der Wahl bei unkomplizierter Hypertonie - Pro
Diuretics - First line treatment in uncomplicated hypertension? - ProPublication History
eingereicht: 24.9.2003
akzeptiert: 9.10.2003
Publication Date:
20 November 2003 (online)
Die Autoren der ALLHAT-Studie [1] [2] postulierten, zukünftig sollten Diuretika die Antihypertensiva der ersten Wahl bei der Behandlung der unkomplizierten Hypertonie sein. Obwohl ich diese Schlussfolgerung nicht völlig übernehme, komme ich gerne der Aufforderung nach, die Argumente anzuführen, die für einen Einsatz der Diuretika sprechen.
In der ALLHAT-Studie wurde bei 33 357 älteren Hypertonikern mit kardiovaskulären Risikofaktoren eine bemerkenswert gute Blutdruckeinstellung erzielt (im Mittel 134/75 mmHg). Es fand sich kein signifikanter Unterschied der Häufigkeit tödlicher oder nicht-tödlicher Herzinfarkte, des primären Endpunkts zwischen dem Diuretikum Chlortalidon, dem ACE-Hemmer Lisinopril oder dem Kalziumantagonisten Amlodipin. Ich vermisse allerdings Information über Nebenwirkungen, Lebensqualität sowie Therapietreue. Der Befund der ALLHAT-Studie steht in Übereinstimmung mit einer neueren Metaanalyse der Prospective Studies Collaboration [3], allerdings im Gegensatz zur Australia-2-Studie [4], welche die Überlegenheit von ACE-Hemmern zeigte. In der LIFE-Studie war ein Angiotensin-Rezeptorblocker einem Betablocker überlegen (allerdings wurde nicht mit einem Diuretikum verglichen) [5]. Das Postulat, Chlortalidon (oder andere Thiazid-Diuretika) seien das Mittel der ersten Wahl stützt sich auf mehrere Argumente. Erstens auf den niederen Preis der Diuretika. Nach Ablauf des Patentschutzes sind heute jedoch Tagesbehandlungskosten mit einigen ACE-Hemmern eher niedriger als mit hochdosiertem Chlortalidon. Außerdem muss man neben den reinen Medikamentenkosten Folgekosten berücksichtigen. Besonders wichtig ist das Argument, dass unter Chlortalidon Typ 2 Diabetes wesentlich häufiger auftrat als unter Lisinopril, was zwar über den kurzen Beobachtungszeitraum von 4,9 Jahren noch kaum Komplikationen und zusätzliche Kosten verursachte, aber angesichts der hohen Folgekosten des Typ 2 Diabetes [6] in die langfristige Kosten-Nutzen-Analyse eingehen muss.
Ein zweites Argument stellen pathophysiologische Überlegungen dar. Hoher Kochsalzkonsum spielt eine wichtige Rolle in der Hochdruckentstehung. Diuretika steigern die Na+-Auscheidung. Unklar ist allerdings, welche Diuretika-Dosis optimal ist. Das Thiaziddiuretikum Indapamid war z. B. in der PREMIER-Studie in extrem niederer Dosierung (allderdings kombiniert mit ACE-Hemmer) hochwirksam [7].
Ein drittes Argument ist der Wirkmechanismus. Thiazide vermindern in der gegebenen Dosierung nicht nur das Blutvolumen (was unerwünscht ist), sondern senken auch langfristig den peripheren Gefäßwiderstand (was erwünscht ist). Ein viertes Argument ist nach den Autoren die hohe Effektivität . Die ALLHAT-Studie zeigte stärkere Blutdrucksenkung unter Diuretika, allerdings nur bei Schwarzen (mit bekannt hoher Kochsalz-Sensitivität ). Inwieweit dies generell auch für andere Populationen gilt, ist im Moment unklar.
Wie weit sind die Ergebnisse der ALLHAT-Studie generalisierbar? Mark Twain wies mit einem amüsanten Beispiel auf die Gefahr der Extrapolation über den Bereich der beobachteten Daten hin: pro Jahr wächst die Missisipi-Mündung 3 Meilen weit in den Golf von Mexiko. Er extrapolierte, dass die Missisippi-Mündung in 10000 Jahren die Küste von Venezuela erreiche (was natürlich unsinnig ist, weil als Randbedingung die Meerestiefe jenseits der Missisippi-Mündung zunimmt). Es ist daher sicher notwendig, auf die Randbedingungen der ALLHAT-Studie hinzuweisen: Die Studie betrifft ältere Hochrisiko-Patienten, die nur über 4,9 Jahre beobachtet wurden.
Welche Schlussfolgerung ziehe ich persönlich aus der ALLHAT-Studie? Ich bin der Meinung, dass die Behandlung der Hypertonie wichtiger ist als die Wahl des Antihypertensivums [8]. Bei Patienten, die den Aufnahmekriterien der ALLHAT-Studie entsprechen (ältere Hochrisiko-Hypertoniker mit beschränkter Lebenserwartung) können Diuretika mittelfristig als Erstmedikation eingesetzt werden. Darüber hinausgehende Schlussfolgerungen sind allerdings nicht gerechtfertigt, und die Diskussion ist etwas akademisch, da diese Patienten in der Regel eine Kombinationstherapie benötigen.
Autorenerklärung: Der Autor erklärt, dass er mit der Durchführung einer Thiazidstudie (7) mitbetraut war.
Literatur
- 1 ALLHAT Officers and Coordinators for ALLHAT . Major outcomes in high-risk hypertensive patients randomized to angiotensin-converting enzyme inhibitor or calcium channel blockers vs diuretics: The Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial (ALLHAT). JAMA. 2002; 288 2981-2997
- 2 Chobanian A V, Bakris G L, Black H R, Cushman W C. et al . The Seventh Report of the Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Pressure: The JNC 7 Report. JAMA. 2003; 289 2560-2571
- 3 Neal B, MacMahon S, Chapman N. for the Blood Pressure Lowering Treatment Trialist’s Collaboration . Effects of ACE inhibitors, calcium antagonists, and other blood pressure-lowering drugs: results of prospectively designed overviews of randomised trials. Lancet. 2000; 356 1955-1964
- 4 Wing L MH, Reid M C, Ryan P, Beilin L J. et al. for the Second Australian National Blood Pressure Study Group . A comparison of outcomes with angiotensin converting enzyme inhibitors and diuretics for hypertension in the elderly. NEJM. 2003; 348 583-592
- 5 Dahlöf B, Devereux R B, Kjeldsen S E, Julius S. et al . Cardiovascular morbidity and mortality in the Losartan Intervention for Endpoint Reduction in Hypertension Study (LIFE): a randomised trial against atenolol. Lancet. 2002; 359 995-1003
- 6 Liebl A, Neiss A, Spannheimer A, Reitberger U, Wagner T, Gorth A. Costs of type 2 diabetes in Germany. Results of the CODE-2 study. Dtsch Med Wochenschr. 2001; 18 585-589
- 7 Mogensen C E, Viberti G, Halimi S, Ritz E. et al . Effect of low-dose perindopril/indapamide on albuminuria: preterax in albuminuria regression. Premier Hypertension. 2003; 41 1063-1071
- 8 De Leeuw P W, Birkenhager W H. Treating hypertension is more important than the choice of agent: results from the largest clinical trial until now. Ned Tijdschr Geneeskd. 2003; 12 685-689
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Eberhard Ritz
Medizinische Universitätsklinik Heidelberg
Bergheimer Straße 56a
69115 Heidelberg