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DOI: 10.1055/s-2003-45463
Prävention bei Kindern mit Behinderungsrisiko vor kostenintensiver Frühförderung, Sonderbeschulung und Rehabilitation! - Appell der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter[1]
Prevention in Children at Risk of Disablement to Take Precedence over Costly Early Intervention, Special Schooling and RehabilitationPublication History
Publication Date:
16 December 2003 (online)
Prävention von Behinderungen hat Vorrang - so ist es seit 1. 7. 2001 festgeschrieben in § 3 SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Speziell wird in § 30 SGB IX bestimmt, dass sich alle beteiligten Träger der Früherkennung von Behinderungsrisiken und der Frühförderung von Behinderungen bedrohter und behinderter Kinder untereinander und mit den fachübergreifend zu ihrer Förderung bereit stehenden Diensten/Einrichtungen über Indikation, Art und Umfang dieser komplexen Leistungen abstimmen. Zudem gibt § 4 Abs. 3 SGB IX in aller Klarheit vor, zur Sicherung der Teilhabefähigkeit würden die „Leistungen für ... von Behinderungen bedrohte Kinder ... so geplant und gestaltet, dass ... Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt werden und gemeinsam mit nicht behinderten Kindern betreut werden können ...”, wobei sie in diesem ihrem Umfeld (Familie, Kindergarten, Kindertagesstätte und Schule) sowohl selbst - alters- und entwicklungsentsprechend - als auch ihre Sorgeberechtigten intensiv „... in die Gestaltung der Hilfen einbezogen ...” würden.
Die Umsetzung dieser Vorgabe ist während der zwei Jahre seit Inkrafttreten des SGB IX nach Überzeugung der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V. (DVfR) in keiner Weise ausreichend gelungen.
Die für diesen Bereich (mit-)verantwortlichen Träger haben
auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation innerhalb der ihnen vorgegebenen Frist keine „Gemeinsame Empfehlung zur Komplexleistung Frühförderung” zu Stande gebracht, die einen praktikablen Rahmen, gerade auch für die Prävention von Behinderungen im Kindesalter, geschaffen hätte, bisher die dazu ersatzweise erlassene Verordnung der Bundesregierung erst entgegen genommen, ohne schon ihre bisherige Praxis erkennbar zu ändern, sogar Tendenzen erkennen lassen, sich sowohl inhaltlich als auch organisatorisch voneinander abzugrenzen mit der Folge, dass sich früh erkennbare Entwicklungsauffälligkeiten weiterhin zum Nachteil von Kindern, ihren Familien und der Gesellschaft verfestigen konnten.
Die kostenlos angebotenen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) sind weiterhin das einzige bundeseinheitliche Rahmenangebot zur gesundheitlichen Prävention im Kindesalter - mit eher primär präventiver Ausrichtung. Seit langem ist aber bekannt, dass selbst diese wichtigen Angebote gerade von jenen Eltern oft nicht wahrgenommen werden, deren Kinder Maßnahmen aktiver familienbegleitender Gesundheitsförderung und gezielter Verringerung schon früh im Ansatz erkennbarer Risiken für Gesundheit und Entwicklung dringendst brauchen. So werden bereits vorhandene Entwicklungsauffälligkeiten zu oft nicht erkannt und die Entstehung von Entwicklungsrückständen zugelassen bzw. es wird versäumt, diese durch entsprechende Förder- und Therapieangebote auszugleichen. Das liegt nicht im Interesse einer Gesellschaft, in der Kinder ohnehin ein immer knapper werdender Schatz für die soziale Zukunft aller sind.
Die DVfR hat vor diesem Hintergrund kein Verständnis dafür, wenn Entwürfe von länderspezifischen Bildungsprogrammen für Kindertagesstätten - so zum Beispiel in Berlin und Brandenburg - nun die Prävention von Behinderungen im frühen Kindesalter nicht mehr berücksichtigen bzw. sogar ausschließen. Werden derartige Planungen umgesetzt und bleibt es bei ungenügender Beachtung der Prävention von Behinderungen als prioritärem Ziel, wird die Chancengleichheit von Kindern in der Teilhabefähigkeit schwer beeinträchtigt, obwohl diese durch spezielle Förder- und Rehabilitationsmaßnahmen vielfach mit Erfolg erreicht werden könnte.
Die DVfR fordert deshalb die Einhaltung der §§ 3 und 30 SGB IX und der dazu erlassenen Verordnung des Bundes auch durch erkennbare Anstrengungen und konstruktive Umsetzungsbereitschaft im Bereich der Bundesländer. Dringend benötigt wird, u. a. auf Basis der neuen Frühförderverordnung, ein koordiniertes Konzept aller derjenigen Träger, die verantwortlich dafür sind, geeignete Bedingungen für die Prävention von Behinderungen im Umfeld von Familie, Kindergarten, Kindertagesstätte und Schule zu ermöglichen. Speziell die fehlende Vernetzung der beteiligten Leistungsträger der Frühförderung verursacht nicht nur subjektive Erschwernisse im Einzelfall, sondern wird in der Folgezeit auch zu erheblichen finanziellen Mehrkosten führen.
Berücksichtigung müssen deshalb besonders Kinder finden, die in sozialen Brennpunkten und unter belasteten gesellschaftlichen Umständen aufwachsen, wo es oftmals an elterlicher Vorsorgeinitiative fehlt.
Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass in der Bundesrepublik Deutschland auf allen staatlichen Ebenen geeignete Möglichkeiten geschaffen und genutzt werden, um in Überstimmung mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen die Interessen der Kinder wahrzunehmen, die infolge von Vernachlässigung der elterlichen Pflichten nicht bei den Kinder-Vorsorgeuntersuchungen in Kinderarztpraxen vorgestellt werden und somit überhaupt keine vorbeugende Gesundheitssorge erhalten, wenn Zugänge zur präventiven Förderung außerhalb der Vorsorgeangebote des SGB V trotz erkennbarer Entwicklungs- und Gesundheitsrisiken nicht länger hinreichend aufrecht erhalten bleiben.
Die Forderungen der DVfR richten sich deshalb auch darauf, die Modalitäten der gesamten Vorsorgediagnostik und frühen Intervention im Kindesalter
hinsichtlich der Einbeziehung aller Kinder und hinsichtlich der Erweiterung des Blickfeldes von reinen Gesundheitsstörungen auch auf weitere Gefährdungen für die Teilhabefähigkeit im Sinne des SGB IX
neu zu gestalten. Es wäre zu erwägen, diese Vorsorgeuntersuchungen mit mehr Gesamtverantwortung und Engagement aller Leistungsträger ganzheitlicher als bisher zu handhaben und vor allem - wie etwa die Schuleingangsuntersuchung - zur Pflicht zu machen. Sie könnten dabei z. B. federführend in die Hände (niedergelassener) Kinderärzte oder des Jugendgesundheitsdienstes gelegt werden.
Bitte unterstützen Sie das Anliegen der DVfR, den Grundsatz der vorrangigen Prävention nach § 3 SGB IX speziell für Kinder jetzt zügig und zielführend umzusetzen!
Oktober 2003
1 Dieser Appell wurde vom Geschäftsführenden Vorstand der DVfR verabschiedet und basiert auf einer Initiative des Arbeitsausschusses „Interdisziplinäre Entwicklungsförderung im Kindesalter” (Leitung: Frau Dr. paed. Ina Schubert, Berlin). Er wurde im Oktober 2003 an einen breiten Adressatenkreis versandt.
1 Dieser Appell wurde vom Geschäftsführenden Vorstand der DVfR verabschiedet und basiert auf einer Initiative des Arbeitsausschusses „Interdisziplinäre Entwicklungsförderung im Kindesalter” (Leitung: Frau Dr. paed. Ina Schubert, Berlin). Er wurde im Oktober 2003 an einen breiten Adressatenkreis versandt.
Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V. (DVfR)
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