Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(50): 2631
DOI: 10.1055/s-2003-45480
Editorial
Diabetologie / Epidemiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Versorgungsforschung tut not!

Health services research: We need more!P. C. Scriba
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Publication Date:
15 December 2003 (online)

Dieses Heft bringt zwei Sekundärdatenanalysen, beide von der AOK und der KV Hessen, zum Diabetes mellitus (Seiten 2632 bzw. 2638). Das ist eine bemerkenswerte und erfreuliche Kooperation im Sinne der Versorgungsforschung! Leider ist die Datenlage zur Versorgung in Deutschland sehr lückenhaft. Deshalb hat der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (SVR) vor 2 Jahren mit großem Nachdruck eine Intensivierung der Versorgungsforschung gefordert. Ich zitiere (www.svr-gesundheit.de): „In Deutschland bestehen Defizite hinsichtlich der Daten zum Versorgungsgeschehen”.

Übrigens listet schon das Sondergutachten 1995 des SVR (Nomos Verlag, Baden-Baden) in Textziffer 338 eine Reihe von Themenfeldern der Versorgungsforschung auf, „bei denen es für die Kassen unter Berücksichtigung ihrer gesetzlichen Aufgaben und Ihrer Interessenlage durchaus attraktiv ist, sich an der inhaltlichen Mitgestaltung und finanziellen Forschungsförderung zu beteiligen”. Lange hat dieser Vorschlag gebraucht, bis er vor 2 Jahren zum ersten Mal ganz vorsichtig grünes Licht sah.

Im Konkreten lassen sich aus der Befragung von rund 300 Organisationen, die im Jahre 2000 für das vorletzte SVR-Gutachten durchgeführt wurde, zahlreiche Datenlücken ableiten. Dies gilt sowohl für die bekannten thematischen Schwerpunkte des Gutachtens, also neben der Versorgung chronisch Kranker insbesondere ischämische Herzkrankheiten, Schlaganfall, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Rückenleiden, Krebserkrankungen, depressive Störungen sowie Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, als auch für weitere, bisher nicht ausreichend bearbeitete Themen (regionale Versorgungsdisparitäten, die Versorgung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, Pflegeversorgung, Prävention von Unfällen, teilstationäre Versorgungsstrukturen, Rettungs- und Transportdienste).

Es geht dem Sachverständigenrat bei seinen Vorschlägen um ein ausreichend ausgestattetes, befristetes und mehrgliedriges Programm zur Gesundheitsforschung, insbesondere der Versorgungsforschung, an dessen Umsetzung sich BMBF und BMGS inhaltlich und finanziell beteiligen. Die Einbindung der Kassen in Programmgestaltung, Begutachtung von Anträgen und Bewertung der Ergebnisse soll helfen, die Versorgungsrelevanz sicherzustellen.

Der SVR hat darüber hinaus gefordert, dass die Fachgesellschaften gezielt beteiligt werden sollen. Unsere Fachgesellschaften können durch eine forschungsbezogene Drittmittelausstattung mit Hilfe zusätzlichen, qualifizierten Personals projektbezogen unabhängige Forschungsarbeit leisten. Fachgesellschaften könnten den Zugang zu den Quellen für Versorgungsdaten erheblich erleichtern. In diesem Sinne könnte ein finanziell unabhängiges Urteil von Fachgesellschaften auch bei der Entwicklung evidenzbasierter Leitlinien von großer Bedeutung sein. Steigerung der Transparenz des Leistungsgeschehens und laienverständliche Nutzerinformation sind weitere Forderungen des vorletzten Gutachtens. Hier besteht die Aufgabe, jeweils fachspezifische Modelle, z. B. für obligatorische Leistungsberichte und für geeignete Informationsmaterialien für Nutzer zu entwickeln. Bereits gegebene Fortschritte im Bereich der Patienteninformationen seitens der Fachgesellschaften einschließlich der AWMF könnten durch ein Förderprogramm noch an Schwung gewinnen.

Insgesamt betrachtet der Rat diese Vorschläge als dem Ziele dienlich, den Sachverstand der wissenschaftlichen Fachgesellschaften noch besser als bisher für die Optimierung der tatsächlichen Krankenversorgung einzubinden. Die bereits genannten Fragestellungen sind zugleich die Fragestellungen des empfohlenen mehrgliedrigen Förderungsprogramms durch das BMBF, das immer leicht bremsende BMGS und die Krankenversicherungen.

Die Gewährleistung der Qualität der Versorgung durch Ärzte ist konstitutionelle Aufgabe der Ärztekammern. Es geht daher auch um eine Allianz zwischen den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und den Ärztekammern. Als Ziele seien genannt:

Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung durch Eigen-initiative. Sichtbarmachung der Bemühungen um Qualität und der erreichten Qualität durchaus i. S. der BQS. Aber auch die ÄZQ und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärtzeschaft wären hier u. a. zu nennen.

Wenn wir Ärzte diese beiden Ziele erreichen, wird es für staatliche, d. h. politische Eingriffe sehr viel schwieriger, dirigistisch oder rationierend einzugreifen. Qualität der Versorgung ist der beste Schutz vor allem, was wir im negativen Sinne unter Staatsmedizin verstehen.

Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Peter C. Scriba

Medizinische Klinik Innenstadt, Klinikum der Universität

Ziemssenstraße1

80336 München