Zur forensischen Anwendung des Begriffs Einsichtsfähigkeit
The Term Insight in Forensic PracticeE. Habermeyer1
, P. Hoff2
1Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Zentrum für Nervenheilkunde
der Universität Rostock (Direktorin Univ. Prof. Dr. med. S. Herpertz)
Der folgende Artikel wird nach Erörterung juristischer und forensisch-psychiatrischer
Grundlagen die Schwierigkeiten, aber auch die Bedeutung von Aussagen zur Einsichtsfähigkeit
darstellen. Abschließend wird ein psychopathologischer Lösungsansatz vorgestellt,
der gutachterliche Äußerungen zur Einsichtsfähigkeit an die Frage der freien Willensbestimmung
koppelt: Beide Begriffe berühren prädezisionale Grundlagen späterer Handlungen. Dabei
ist die Einsichtsfähigkeit auf das engste mit der Fähigkeit verknüpft, den eigenen
Willen frei zu bilden. Krankheitssymptome und Störungen, durch die kognitive und motivationale
Voraussetzungen der Willensbildung beeinträchtigt werden, lassen sich psychopathologisch
erfassen. Auf dieser Basis getroffene Anmerkungen zur Einsichtsfähigkeit sind insbesondere
für Minderbegabungen, demenzielle Abbauprozesse, organische Persönlichkeitsveränderungen,
Störungen mit begleitenden Wahnsymptomen und Residuen schizophrener Psychosen von
Bedeutung.
Abstract
The paper comments the German legal and forensic-psychiatric positions regarding the
complex and yet unsolved question of insight in the context of criminal responsibility.
Possible restrictions of insight are discussed. Finally a solution is suggested, which
connects the assessment of insight with the ability to declare a free will: Both terms
deal with the predecisional cognitive and motivational foundation of acts. Insight
is closely associated with the competence to constitute a free will. Symptoms and
disorders which tend to disturb this ability can be assessed by psychopathological
methods. Possible restrictions concern mental retardation, dementia, organic personality
disorders, mental disorders with delusional ideation and residual states of schizophrenia.
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