PiD - Psychotherapie im Dialog 2004; 5(1): 32-39
DOI: 10.1055/s-2003-814815
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychodynamische Psychotherapie einer Patientin mit Anorexie

Günter  Reich
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Publication Date:
12 March 2004 (online)

Abstract

Im psychodynamischen Verständnis erscheint die Anorexie als ein „Kampf um die Grenze”, der nach außen (Essen) und nach innen (Gewichtszunahme) geführt wird. Dieser Kampf kann auf präödipaler, ödipaler und adoleszenter Ebene geführt werden. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer zunehmenden Spaltung zwischen der inneren anorektischen Welt der Patientin und der äußeren Realität. Daher erfordert auch die psychodynamische Behandlung eine Symptomzentrierung und Rahmensetzung durch Absprachen, insbesondere in der Anfangsphase. Die Auseinandersetzung mit der Symptomatik muss mit der Arbeit an den interpersonellen und intrapsychischen Konflikten verbunden werden. Wegen der starken Konflikt- und Affektabwehr müssen die Patientinnen schrittweise an Erleben von Emotionen und Konflikten herangeführt werden. Dabei ist die Abwehr durch Isolierung, Rationalisierung, Verleugnung, altruistische Abtretung und Wendung gegen das Selbst ebenso zu bearbeiten wie die rigiden Über-Ich-Anforderungen. Die Auseinandersetzung um die Autonomie wird von Anfang an in der therapeutischen Beziehung geführt. Das abgestufte therapeutische Vorgehen wird durch ein Fallbeispiel illustriert.

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Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. phil. Günter Reich,Dipl.-Psych. 

Ambulanz für Familientherapie u. für Ess-Störungen
Klinik u. Poliklinik f. Psychosomatik u. Psychotherapie

Humboldtallee 38

37073 Göttingen