Gesundheitswesen 2004; 66: 8-12
DOI: 10.1055/s-2004-812758
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neue Herausforderungen für das Screeningzentrum im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

New Challenges to the Screening Centre in the Bavarian State Office for Health Care and Safe Quality of FoodsU. Nennstiel-Ratzel1 , S. Arenz1 , M. Wildner1 , R. v. Kries2 , B. Liebl3
  • 1Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)
  • 2 Abteilung für Epidemiologie im Kindes- und Jugendalter im Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilans-Universität, München
  • 3Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz
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Publication Date:
21 September 2005 (online)

Zusammenfassung

Ziel des 1999 gestarteten „Modellprojekts zur Neuordnung des Neugeborenen-Screenings in Bayern” war die möglichst frühzeitige und vollständige Erfassung aller Kinder mit behandelbaren schweren angeborenen Stoffwechselstörungen. Dies sollte ermöglicht werden durch die Einführung neuer Labormethoden (Hinzunahme weiterer Erkrankungen, frühere Blutentnahme) und eines sog. Trackingsystems zur Erfassung aller Neugeborenen und Durchführung aller notwendigen Kontrolluntersuchungen. Die Langzeitprognose der neu ins Screeningprogramm aufgenommenen Erkrankungen soll ermittelt werden. Mit dem 2003 begonnenen Modellprojekt „Neugeborenen-Hörscreening in Bayern”, das vorläufig auf den Regierungsbezirk Oberpfalz beschränkt ist, soll untersucht werden, inwieweit es mithilfe des Trackings möglich ist, auch alle Kinder mit angeborenen schweren beidseitigen Hörstörungen frühzeitig zu erfassen. Methodik: Um diese Ziele erreichen zu können, wurde ein Screeningzentrum des öffentlichen Gesundheitsdienstes (öGD) eingerichtet. Das Tracking auf Vollständigkeit erfolgt über einen vom Screeningzentrum koordinierten namentlichen Abgleich von Screening- mit Geburtsmeldungen auf Landkreisebene und individuelle Kontaktaufnahmen mit Eltern von Kindern ohne Screeningmeldung. Nicht durchgeführten Kontrolluntersuchungen wird ebenfalls konsequent fallbezogen nachgegangen. Dieses System wurde zunächst für das Stoffwechsel- und jetzt auch für das Hörscreening von Neugeborenen eingeführt. Die Screeningprogramme werden jeweils wissenschaftlich begleitet. Kinder, deren Krankheit im Screening diagnostiziert wurde, werden in einer Langzeitstudie weiterbeobachtet. Nach schriftlicher Einwilligung werden die Eltern erstmals zum ersten Geburtstag, dann einmal jährlich zur Betreuung, zu ihrem Kenntnisstand über die Krankheit und über die gesundheitliche Entwicklung des Kindes befragt. Ergebnisse: 470 247 Neugeborene wurden in den Jahren 1999 bis 2002 auf behandelbare angeborene Stoffwechselstörungen untersucht. Die dokumentierte Screeningrate stieg nach Einführung des Trackings von zuvor unter 80 auf 98,5 %. Aufgrund des Trackings konnten 99,2 % der notwendigen Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden. Bei 14 erkrankten Kindern wurde erst nach Intervention durch das Screeningzentrum die Diagnose gestellt bzw. die Therapie eingeleitet. Insgesamt wurden 368 von den Zielkrankheiten des Programms betroffene Kinder entdeckt. 332 Kinder konnten in die Langzeitstudie aufgenommen werden. Diese zeigt, neben überaus erfreulichen Ergebnissen, Defizite in der Information der Eltern, der Versorgung mit Notfallausweisen, der Anbindung an spezialisierte Zentren und mitunter eine nicht leitlinienkonforme Behandlung. Entsprechende Daten aus dem Hörscreeningmodellprojekt sind noch nicht verfügbar. Schlussfolgerung: Die Einrichtung eines unabhängigen Screeningzentrums des öGD hat sich sehr bewährt. So ist ein Tracking auf Vollständigkeit auch in einem Flächenstaat und bei Beteiligung von mehr als einem Labor für das Stoffwechselscreening möglich. Eine Langzeitstudie erwies sich in diesem Setting als praktikabel und effektiv.

Abstract

Aim of the newborn screening model programme implemented in Bavaria, Germany, in 1999 was earliest possible and complete detection of all children with treatable severe inborn errors of metabolism. This was to be achieved by the introduction of new laboratory methods (expanded disease coverage, earlier blood take) and of a tracking system to ensure complete access for all newborns and complete requested repeat testing. Long-term prognosis of the newly screened disorders is to be investigated. The model programme ”newborn hearing screening in Bavaria” started in 2003 in the administrative district Oberpfalz aims at testing, whether tracking is also suitable to achieve early detection of all children with inborn severe hearing defects.

Methods: To attain these goals a central state screening centre was established. Demographic tracking coordinated by this centre is achieved by matching screening notifications with all birth notifications on name on a regional basis and individual contacts with parents of children with missing screening notification. In addition, all pending recalls are consequently tracked by case-specific contacts. This system was initially introduced for metabolism screening and is currently being implemented also for hearing screening of newborns. Both screening programmes are being scientifically evaluated. Children with disorders detected by screening are followed up in a long-term study by the screening centre. Written consent by the parents is requested yearly at the childs birthday regarding medical care, knowledge of the disease und health development of the child.

Results: 470,247 newborns were tested for treatable inborn errors of metabolism from 1999 to 2002. With the introduction of tracking, the documented participation rate increased from previously < 80 to 98.5 %. Due to tracking 99.2 % of requested recalls could be achieved. In 14 cases diagnosis was made, respectively therapy was initiated first after intervention by the screening centre. Altogether 368 children affected by the target disorders of the programme were detected. 332 children could be included in the long-term follow up study. Besides encouraging results, this study reveals deficits in parental information, provision with emergency cards, expert medical consultation, and sometimes treatment not according to the guidelines. Corresponding data from the hearing screening programme are not yet available.

Conclusion: The establishment of an independent state screening centre has proved very valuable. It enables comprehensive state-wide demographic tracking despite several laboratories engaged in screening for inborn errors of metabolism. A long-term follow-up study has proved to be effective in this setting.

Literatur

  • 1 Bayer .Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit (Hrsg). Konzept zur Neuordnung des Neugeborenen-Screenings in Bayern. 1998
  • 2 Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst - GDG vom 12. Juli 1986. GVBl 120, BayRS 2120.1-A. 
  • 3 Gesetz über den öffentlichen Gesundheits- und Veterinärdienst, die Ernährung und den Verbraucherschutz sowie die Lebensmittelüberwachung (Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz - GDVG); Bayerischer Landtag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/13 075 vom 9.7.2003. 
  • 4 Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (Hrsg) .Konzept zum Modellprojekt Neugeborenen-Hörscreening in Bayern. 2003
  • 5 Liebl B, Nennstiel-Ratzel U, von Kries R. et al . Very high compliance in an expanded MS-MS based newborn screening program despite written parental consent.  Preventive Medicine. 2002;  34 127-131
  • 6 Liebl B, Nennstiel-Ratzel U, von Kries R. et al . Expanded newborn screening in Bavaria: Tracking to achieve requested repeat testing.  Preventive Medicine. 2002;  34 132-137

Dr. med. U. Nennstiel-Ratzel

Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)

Veterinärstraße 2

85762 Oberschleißheim

Email: uta.nennstiel@lgl.bayern.de