Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2004; 9(3): 161-166
DOI: 10.1055/s-2004-813161
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Versorgungsforschung und Politikberatung

Health Services Research and Scientific Consulting in Health PolicyF. W. Schwartz1 , P. C. Scriba2
  • 1Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
  • 2Medizinische Klinik Innenstadt, Klinikum der Universität München
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
01. Juni 2004 (online)

Zusammenfassung

Versorgungsforschung muss Gesundheitspolitik anhand der Leitbegriffe ‚Objektivität’, ‚Richtigkeit’ und ‚Langfristperspektive’ beratend unterstützen. Die in der Bundesrepublik durchgeführten Verbesserungen der Datenbasen (Routinedaten der GKV, Gesundheitsberichterstattung des Bundes (www.gbe-bund.de) sind notwendig, aber noch nicht ausreichend, wie u. a. das Gutachten 2000/2001 des Sachverständigenrates (www.svr-gesundheit.de) deutlich gemacht hat. Weiterentwickelt werden muss auch die Infrastruktur der Versorgungsforschung in Deutschland. Die angestoßene Förderung durch den Bund (BMBW) und die Krankenkassen (Spitzenverbände) ist ein notwendiger Schritt, aber bislang für die Entwicklung einer leistungsfähigen Struktur zu schwach und zu kurzfristig finanziert. Forschungskonzeptionell steht die Versorgungsforschung vor der Schwierigkeit, multidisziplinär zu arbeiten und steht vor der Notwendigkeit und Schwierigkeit flächendeckender Aussagen. Solange sie Einzeltechnologien und -verfahren untersucht, bleibt sie in HTA-förmigen, inzwischen bewährten Unersuchungsansätzen. Will sie auch dynamische makro- und mesostrukturelle Einflüsse auf den Versorgungsprozess untersuchen, ebenso die Effekte komplexer Versorgungsdesigns (neue Versorgungsmodelle, DMPs) unter Alltagsbedingungen, ist die gegenwärtige reduktionistische Wissenschaftspraxis dafür nicht hinreichend. Die dann nötigen heuristischen Interpretationen zeigen allerdings die derzeitigen Grenzen wissenschaftlicher Politikberatung auf.

Abstract

Health services research (HSR) should support health policy decisions. Prerequisits are ‘objectivity’, ‘validity’ and adequate long term ‘perspective’ of HSR. Necessary but in Germany not yet sufficient in function is a nationwide routine-database and a adequate HSR-infrastructure itself. Federal ministry of research and the federal association of legal sickness funds have started a small and short time grant programme for HSR. HSR has specific difficulties as a multi-disciplinary task and with their often country- or nationwide approach. As long as HSR investigates simple health technologies or measures it follows the proven pattern of HTA (health technology assessment) research. Investigating complex patterns of care or interactions with the (even dynamic) meso- and macro-structures of the health system the reductionism of science makes heuristic interpretation uninevitable. This indicates the limitation of scientific consulting for health policy and politics.

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1 „… Um ein guter Ratgeber zu sein, muss man nicht … die richtigen Auffassungen besitzen …” (Quelle: Maurice Joly: Das Handbuch eines Aufsteigers, erstmals 1868; Übersetzung: Frankfurt, 2001); rein politische Beratung muss sich nicht nach faktischer oder sachlogischer Richtigkeit richten, sondern folgt Interessenlagen und intendierten Wirkungen im politischen Diskurs und im politischen Wirkungsfeld.

3 Herrn Prof. Dr. Benno Ure, Medizinische Hochschule Hannover, Februar 2004, danken die Verfasser für die Mitteilung.

4 Vgl. Arbeitspapier „Versorgungsforschung” BÄK, Stand 29.04.2003

Friedrich Wilhelm Schwartz

Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung

Carl-Neuberg-Straße 1

30625 Hannover

eMail: schwartz.fw@mh-hannover.de