Suchttherapie 2004; 5(3): 140-142
DOI: 10.1055/s-2004-813490
Schwerpunktthema

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen bei Frauen in der Fachklinik Schloß Mackenzell

Addiction Treatment for Women at the Specialised Hospital Schloss MackenzellA. Kirchhof-Knoch1
  • 1Fachklinik Schloß Mackenzell, Hünfeld
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Publication Date:
31 August 2004 (online)

In der Fachklinik Schloß Mackenzell werden Frauen mit den Diagnosen Alkoholabhängigkeit, Medikamentenabhängigkeit sowie politoxikomane Patientinnen behandelt. Das therapeutische Angebot umfasst die Mitbehandlung von Doppeldiagnosen wie Essstörungen, Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen sowie Schlafstörungen und Schmerzen wie z. B. Migräne. Die Klinik bietet 30 Behandlungsplätze, davon 6 für Mütter mit Kindern. In einer Tagesstätte werden 6 bis 8 Kinder im Alter von 2 bis 10 Jahren von 8 bis 16 Uhr betreut. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt drei bis vier Monate. Der Träger ist das Guttempler-Hilfswerk.

Unser Therapieansatz beruht auf einem ganzheitlichen Menschenbild und beinhaltet kreative, körperorientierte und kognitive Methoden. Der Rehabilitation dienen verschiedene in den Klinkbetrieb integrierte Arbeitstherapiebereiche. Zusätzlich besteht auch die Möglichkeit externer Berufspraktika in verschiedenen Berufsfeldern außerhalb der Klinik. Jede Patientin erhält einmal in der Woche ein Angebot zum einzeltherapeutischen Gespräch. Der Schwerpunkt der psychotherapeutischen Arbeit liegt jedoch in den Kern- und Indikationsgruppen. Sowohl in Angehörigengesprächen als auch im Rahmen regelmäßiger Angehörigenseminare werden die Familienmitglieder in den therapeutischen Prozess einbezogen. In der Müttergruppe, in speziellen von den Mitarbeiterinnen der Kindertagesstätte angeleiteten Mutter-Kind-Aktivitäten und gemeinsamen Gesprächen wird den Müttern Gelegenheit geboten, ihr Erziehungsverhalten und die Auswirkung ihrer Suchterkrankung auf die Entwicklung ihrer Mutter-Kind-Beziehung zu reflektieren.

Wir gehen von einem frauenspezifischen Ansatz aus, der die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit der Rolle von Frauen in der Familie, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft bietet. Gleichzeitig sehen wir in der ausschließlichen Behandlung von Frauen einen Schonraum für traumatisierte Patientinnen, die zunehmend zu unserer Klientel gehören. Neben den Frauen mit einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines traumatischen Erlebnisses in der Vergangenheit fällt jedoch auf, dass ein großer Anteil der Patientinnen ebenfalls traumatische Kindheitserfahrungen wie Vernachlässigung, körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt hat. Sind die Traumatisierungen später entstanden, ist häufig nicht klar zu unterscheiden, ob das Trauma zuerst vorhanden war und mit dem Suchtmittel selbst „medikamentiert” wurde oder ob durch den sorglosen Umgang mit sich selbst und erhöhte Risikobereitschaft unter Einfluss von Suchtmitteln traumatische Erfahrungen gemacht wurden. Frühe Traumen sind allerdings auch in diesen Fällen meistens vorhanden.

Eine Diskussion über Prioritäten der Ursache-Wirkungs-Kette ist therapeutisch überflüssig, da sich nicht mehr auseinander halten lässt, ob die aktuellen Symptome aus der Quellszene stammen oder durch die Retraumatisierungen entstanden sind. Ebenso scheint eine Diskussion darüber, ob zuerst die Komorbidität oder die Sucht behandelt werden sollte, in diesen Fällen nicht sinnvoll. Es ist effektiver, eine parallele Behandlung durchzuführen, wobei nach Abschluss der Suchtbehandlung eine Fortführung der Therapie der psychischen Erkrankung angezeigt ist. Ebenfalls ist anfangs oft unklar, ob es sich bei bestimmten Erscheinungen (z. B. Schlaflosigkeit, diffuse Ängste) um Entzugssymptome handelt oder um wiederkehrende Symptome einer psychischen Erkrankung. Daher ist neben der Behandlung der aktuellen Symptome in einem ganzheitlichen Kontext zu prüfen, ob die Symptomatik bei längerer Behandlung abklingt. Eine psychiatrische Diagnose während der Entwöhnungsbehandlung, welche die Symptome des Entzugs unterschätzt, kann im Sinne einer „self-fulfilling-prophecy” zu einer Identifizierung mit der Diagnose führen. Zur Vermeidung einer Chronifizierung sollte daher zu diesem Zeitpunkt keine Festschreibung auf eine psychiatrische Diagnose erfolgen, weil durch die Abstinenz auch solche Symptome nachlassen können, die im Entzug zunächst stärker geworden waren.

Der Zusammenhang zwischen der Suchtmittelabhängigkeit und anderen Diagnosen, wie der posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen und Angststörungen wird vielen Patientinnen überhaupt erst während der Therapie deutlich, wie das folgende Beispiel zeigt:

„Am Anfang dachte ich, lediglich ein Suchtproblem zu haben. Bei der Aufarbeitung meiner Biografie und der Entstehung der Sucht sind ungeahnte Abgründe aufgetaucht, von denen ich dachte, diese gut in meinem Unterbewusstsein vergraben zu haben. Darüber wollte ich eigentlich nie mehr reden, aber nun habe ich erkannt, dass ich im Hier und Jetzt nur glücklich werden und abstinent leben kann, wenn ich diese Ereignisse aus meiner Kindheit nicht länger in mich hineinfresse. Wenn es nur nicht so wehtun würde!”

Dieser Satz einer Patientin, die nach sexuellen Gewalterfahrungen in der Kindheit später in der Prostitution und in der Ehe weitere heftige Gewalterlebnisse hatte, macht deutlich, wie wichtig es ist, das erste Trauma zu verstehen, um die eigenen untauglichen Schutz- und Bewältigungsversuche einordnen zu können, mit denen eine permanente Selbstschädigung verbunden war. Gerade in Fällen von sexuellem Missbrauch leiden die Opfer unter Schuldgefühlen. Diese und andere emotionale Spätfolgen werden durch Alkohol, Medikamente oder Drogen betäubt. Sehr häufig kommen neue und manchmal schwerere Traumatisierungen unter dem Einfluss von Suchtmitteln hinzu, nicht selten wie eine Abfolge von „mehr desselben” infolge des ungeeigneten Versuchs, eine Lösung für emotional belastende frühere Erlebnisse zu erreichen. Daraufhin verstärken sich die Schuldgefühle, weil diese Situationen als selbst gewählt erlebt werden. Dies führt häufig zu Selbstbestrafungen, oft in Form von Selbstverletzung. Nicht selten haben diese Patientinnen Angst davor, Schwächen zu zeigen, und treten betont burschikos auf. Die Angst, die sie dadurch nach außen hin anderen machen können, entspricht immer der Angst, die sie in sich tragen. Darauf angesprochen, fühlen sie sich oft verstanden und können ihre Verletzlichkeit zugeben. Wer sich von der rauen Art beeindrucken lässt und zurückweicht, findet keinen Zugang zu ihnen. Die Schwierigkeiten, in die sie dadurch in Kontakten mit anderen Menschen immer wieder geraten, bestätigen ihnen, dass sie sowieso nicht gemocht werden. Unbewusst wird durch solches Verhalten ebenfalls eine emotionale Selbstverletzung herbeigeführt, wenn dadurch Freundschaften, oft auch der Arbeitsplatz oder die Wohnung verloren gehen.

Für den Heilungsprozess ist deshalb das Verstehen der eigenen Problematik sowie der Entwicklung und Bedeutung der Suchterkrankung gleichermaßen bedeutsam. Daher werden verschiedene therapeutische Methoden eingesetzt, die sowohl einen kognitiven Zugang zur Erkrankung als solcher als auch einen emotionalen Zugang zur individuellen Problematik ermöglichen.

Vertrauensbildung zum therapeutischen Personal und zu Mitpatientinnen wird besonders in der Gruppentherapie gefördert, die regelmäßig dreimal in der Woche stattfindet. Neue Patientinnen werden darauf in der Anfangsgruppe vorbereitet. Die hier eingesetzten Methoden sind Gruppentherapie, systemische Therapie und Gestalttherapie. Gerade Menschen, die in Beziehungen traumatisiert worden sind, haben große Angst vor dem Alleinsein und gleichzeitig vor Nähe. Viele Frauen berichten, dass sie aufgrund ihrer Missbrauchserfahrungen Sexualität nur alkoholisiert ertragen können, aber andererseits von ihrem Mann nicht verlassen werden wollen, weil sie ja nicht allein leben möchten. In den Indikationsgruppen „Körperwahrnehmung”, „Gestaltungstherapie”, „Partnerschaft und Sexualität” und „Angst und Trauma” können die Patientinnen diese Problematik bearbeiten, indem sie einen nonverbalen Zugang zu ihren Gefühlen und ihren körperlichen Empfindungen bekommen. Wir arbeiten mit Mitteln der Tanz- und Bewegungstherapie, Gestalttherapie, aber auch mit kognitiven und verhaltenstherapeutischen Methoden. Biografiearbeit und aktuelle Themen werden in diesem Kontext berücksichtigt. Dabei wird darauf geachtet, dass es nicht durch detailgenaue Schilderungen erlittener Traumata zu Retraumatisierungen bei Teilnehmerinnen der jeweiligen Gruppe kommt.

Die kreativen Methoden der Gestaltungstherapie und die Arbeitstherapie unterstützen durch Erlebnisaktivierung die Entfaltung von Ressourcen. Um diesen aktivierenden Prozess zu unterstützen, werden „Selbstsicherheitstraining” und „Bewerbungstraining” angeboten.

In regelmäßigen Fachvorträgen des therapeutischen Personals wird der dazu gehörende Erkenntnisprozess angestoßen und gefördert. Vielfache schwierige gruppendynamische Prozesse werden durch die therapeutische Begleitung in Lernfelder umgewandelt. Einzelne Patientinnen müssen immer wieder durch schwierige Situationen hindurch getragen werden, um das Selbstvertrauen zu erlangen, das für eine gelingende Lebensgestaltung erforderlich ist. Dazu gehört auch die Arbeit mit dem Rückfall, wie überhaupt die Arbeit mit Symptomen im Sinne der Frage: „Wozu war das Symptom bisher gut?” zu dieser Begleitung dazu gehört.

Auf die Rückfallproblematik wird besonders in der Entlassungsgruppe eingegangen.

Die Notwendigkeit veränderter Sichtweisen und neuer Erfahrungen trifft jedoch nicht nur auf traumatisierte Patientinnen zu, deren Abhängigkeit sich als Verarbeitungsversuch sexueller oder anderer körperlicher Gewalterfahrungen entwickelt hat, sondern auch auf Patientinnen, die einen extremen Anspruch internalisiert haben, jederzeit perfekt funktionieren zu müssen. Die Frau als das „Herz der Familie” ist ohnehin in unserer Gesellschaft für das Wohlergehen aller Familienmitglieder zuständig, für die alltägliche Versorgung ebenso wie für die emotionale Harmonie. Viele Frauen gehen zusätzlich einer Berufstätigkeit nach. Das ist im Sinne der Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung auch gewollt und wird von uns im Hinblick auf das Rehabilitationsziel gestützt und gefördert. Andererseits haben die Ehemänner oder Partner im häuslichen Bereich noch längst nicht ihren Anteil der Aufgaben übernommen. Die dadurch entstehende dauerhafte Überlastung kompensieren viele Frauen oft jahrelang ohne aufzufallen mit Suchtmitteln. Der größte Teil der Patientinnen im fortgeschrittenen Alter mit Essstörungen zusätzlich zur Substanzabhängigkeit fällt zumeist in diese Gruppe der „perfekten Frauen”. Auch Medikamentenabhängigkeit und Depressionen entwickeln sich häufig in diesen Zusammenhängen. Irgendwann nach jahrelangem verborgenen Leid kommt es zu Dekompensationserscheinungen und die Fassade bricht zusammen. Diese Frauen müssen lernen, Fehler machen zu dürfen, nein sagen und an sich selbst denken zu dürfen. Oft kennen sie ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht und haben wenig Zugang zu ihren Gefühlen, ähnlich wie bei traumatisierten Patientinnen. Auch bei ihnen ist das Zusammenwirken von nonverbalen und kognitiven Methoden in den Indikationsgruppen für Patientinnen mit Essstörungen, Depressionen und Medikamentenabhängigkeit ein Weg zum Erlernen neuer Verhaltens- und Beziehungsmuster.

Dipl.-Psych. Anke Kirchhof-Knoch

Ltd. Psychologin Fachklinik Schloß Mackenzell

Burgstr. 3

36088 Hünfeld

Email: a.knoch@schloss-mackenzell.de

URL: http://www.schloss-mackenzell.de