Geburtshilfe Frauenheilkd 2004; 64(4): 357-358
DOI: 10.1055/s-2004-817831
Editorial

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Aktuelle Entwicklungen der Stammzellforschung: Implikationen für das Banking von Nabelschnurblut-Stammzellen

Present-Day Developments of Stem Cell Research: Implications for Banking Umbilical Cord Blood Stem CellsW. Holzgreve1 , D. Surbek1
  • 1Universitäts-Frauenklinik, Basel, Schweiz
Further Information

Publication History

Publication Date:
08 April 2004 (online)

Seit längerem ist bekannt, dass Nabelschnurblut reich ist an hämatopoietischen Stammzellen. Sie können bei der Geburt gewonnen, gewebstypisiert und eingelagert werden. Inzwischen ist erwiesen, dass Nabelschnurblut mit Erfolg als Quelle für die Transplantation hämatopoietischer Stammzellen verwendet werden kann, in Ergänzung zu Knochenmark und mobilisierten Stammzellen aus peripherem Blut. Die Stammzellen wurden bisher hauptsächlich für allogene Transplantationen verwendet, entweder zwischen HLA-identischen Geschwistern (familiäre Spende) oder zwischen HLA-ähnlichen Unverwandten (Fremdspende). Die meisten Empfänger waren Kinder mit malignen Erkrankungen des hämatopoietischen Systems (Leukämien) oder mit genetischen Erkrankungen, zunehmend aber auch Adoleszente und Erwachsene. Die guten Ergebnisse der Transplantation von Stammzellen aus Nabelschnurblut führten zum Aufbau von Nabelschnurblutbanken mit kryopräservierten HLA-typisierten Stammzellen anonymer Spender, welche für allogene Transplantationen bereit stehen (so genannte „öffentliche“ Nabelschnurblutbanken). Daneben sind aber auch so genannte „private“ Nabelschnurblutbanken entstanden, welche Nabelschnurblut von gesunden Kindern ohne erkranktes Familienmitglied bei der Geburt einlagern, damit im Falle einer späteren Erkrankung des Kindes selbst (autologe Transplantation) oder eines Familienmitgliedes (allogene Transplantation) Stammzellen zur Verfügung stehen. Zur Zeit werden „öffentliche“ Banken in der Regel durch gemeinnützige Organisationen finanziert und „private“ Banken durch die Eltern selbst. Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Stammzellforschung stellen diese Unterscheidung zwischen „privatem“ und „öffentlichem“ Banking von Nabelschnurblut zunehmend infrage. Sollte sich verwirklichen und umsetzen lassen, was so viele Forschungsergebnisse versprechen, könnte sich vielmehr ergeben, dass ein medizinischer wie auch gemeinschaftlich-finanzieller Nutzen resultieren würde, wenn die Einlagerung von Stammzellen aus Nabelschnurblut bei der Geburt jedes Kindes propagiert und von der Grundversicherung übernommen würde.

Die neusten Entwicklungen zeigen nämlich, dass die Stammzellen im Nabelschnurblut nicht nur dazu befähigt sind, hämatopoietisches Gewebe z. B. nach iatrogener Knochenmarksablation zu regenerieren, sondern möglicherweise auch andere Gewebe und Organe, die von häufigen degenerativen Erkrankungen betroffen sind. Die Plastizität und Multipotenz adulter Stammzellen, welche in jüngster Zeit entdeckt wurde, könnte in Zukunft dazu führen, dass auch autologe Stammzellen aus Nabelschnurblut im Bereich der regenerativen Therapie (Zell- und Organersatz) für verschiedenste Indikationen therapeutisch eingesetzt werden. Die Stammzellforschung gehört tatsächlich zu den Forschungsbereichen, mit denen zur Zeit die größten therapeutischen Hoffnungen verbunden werden. Sie gelten als Hoffnungsträger für mögliche Behandlungen schwerer chronischer Krankheiten, wie z. B. Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, Herzinfarkt und viele andere im Rahmen der so genannten „Regenerativen Medizin“.

Die Stammzellforschung ist in den letzten Jahren von einem begrenzt wahrgenommenen Forschungsgebiet in das Zentrum des Interesses in Forschung, Medizin und Gesellschaft gerückt, und dies vor allem aus zwei Gründen: Zum einen hat die Forschung bahnbrechende neue Erkenntnisse erbracht; zum anderen ist sie im Bereich der embryonalen Stammzellen in ethische Grenzbereiche gestoßen. Diese Diskussion um die ethischen Aspekte der Verwendung embryonaler Stammzellen hat gezeigt, dass es zumindest im aktuellen gesellschaftlichen Umfeld im deutschsprachigen Raum schwierig ist, die Forschung und evtl. zukünftige therapeutische Verwendung dieser Zellen voranzutreiben.

Im Gegensatz dazu gilt die Forschung mit so genannten adulten Stammzellen, wie sie in Nabelschnurblut vorkommen, als höchst förderungswürdig. In jüngster Zeit haben sich auf diesem Gebiet Entwicklungen in der Forschung ergeben, welche vor kurzem noch undenkbar waren und heute Realität sind. So haben wir z. B. durch unsere Arbeiten über fetale Zellen und DNA in der mütterlichen Peripherie festgestellt, dass Stammzellen vom Kind bei der Mutter in verschiedene Zelltypen differenzieren können und dieser spezielle Mikrochimerismus belegt, dass diese Zellen pluripotent waren, so wie die embryonalen Stammzellen. Zu diesen Entwicklungen gehören eben die Entdeckung der Plastizität und Multipotenz verschiedener adulter Stammzellen. Hier wurden z. B. in Deutschland bereits erste klinische Studien initiiert, welche beispielsweise die Wirksamkeit des therapeutischen Einsatzes adulter Stammzellen zur Regeneration von Herzmuskelzellen nach Myokardinfarkt untersuchen. Vorerst bleibt jedoch spekulativ, ob diese Art der Therapie wirklich den gewünschten Effekt zeigt.

Die Forschung der nun folgenden Jahre auf dem Gebiet der Stammzellentwicklung und Differenzierung wird versuchen, hier Antworten zu finden. In diesem größeren Zusammenhang wird es bald unerheblich sein, „öffentliche“ von „privaten“ Nabelschnurblutbanken zu unterscheiden, weil dies nur die Art der Finanzierung anspricht, die in Zukunft wohl häufiger auf zwei Beinen stehen wird. Angemessener scheint die Differenzierung zwischen allogenem und autologem Banking von Stammzellen zu sein, da damit die medizinischen Aspekte im Hinblick auf eine therapeutische Verwendung gewürdigt werden. In jedem Falle ist jedoch eine abschließende Beurteilung im Sinne einer Empfehlung oder Ablehnung des autologen Bankings zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, es geht wohl eher um die korrekte Aufklärung der Ratsuchenden über Vor- und Nachteile der alternativen Methoden. Nach Spenden von Nabelschnurblutstammzellen für erkrankte Geschwister und auch für Fremdspenderbanken sind bisher bereits einige Tausend Transplantationen vorgenommen worden, zahlenmäßig am häufigsten sind allerdings Stammzellen-Einlagerungen in privaten Banken zur autologen Zweckbestimmung. Forschungsanstrengungen werden auch künftig dringend nötig sein, um das gesamte therapeutische Potenzial dieser sonst mit Restnabelschnur und Plazenta entsorgten Stammzellen in der regenerativen Medizin zu definieren, eine große Forschungs- und Entwicklungsaufgabe in Labor und Klinik.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Wolfgang Holzgreve Departementsvorsteher und Chefarzt

Universitäts-Frauenklinik Basel

Spitalstraße 21

4031 Basel

Schweiz

Email: Wolfgang.Holzgreve@unibas.ch