Geburtshilfe Frauenheilkd 2004; 64(6): 569-573
DOI: 10.1055/s-2004-817937
Editorial

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Additive Krebstherapien: Möglichkeiten und Grenzen

Complementary Cancer Therapies: Possibilities and LimitsJ. Beuth1
  • 1Institut zur wissenschaftlichen Evaluation naturheilkundlicher Verfahren an der Universität zu Köln
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Publication Date:
04 June 2004 (online)

Komplementäre Therapiemaßnahmen werden von der wissenschaftlich begründeten Onkologie kontrovers diskutiert und abgelehnt, weil der obligate klinische Wirksamkeitsnachweis für die meisten Therapeutika bislang nicht erfolgt ist. In den vergangenen Jahren wurde die Grundlagenforschung und studienmäßige klinische Evaluation von definierten komplementäronkologischen Therapiemaßnahmen forciert mit dem Ziel, sie in die Evidence-Based Medicine (EBM) zu integrieren.

Definitionsgemäß können komplementärmedizinische Therapiemaßnahmen die erprobten tumordestruktiven Standardtherapien nicht ersetzen und können demnach auch nicht als „alternative Therapie“ betrachtet werden. Komplementärmedizinische Therapiekonzepte, die begleitend zur tumordestruktiven Standardtherapie vorgeschlagen werden, erheben den Anspruch, diese optimieren zu können. Ausdrücklich zu warnen ist vor nicht auf Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit geprüften Außenseitermethoden, die zuweilen fälschlich mit der Komplementärmedizin assoziiert werden, was zu deren ungerechtfertigter Ablehnung führt.

Alle in Deutschland zugelassenen und anzuwendenden Arzneimittel, auch die der Komplementärmedizin, müssen auf biologische und pharmazeutische Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit geprüft sein. Durch Bereitstellung und Bewerbung von Präparaten mit unzureichend dokumentierter Zusammensetzung (Qualität) und unbelegter Wirksamkeit werden bei Patienten/Innen ungerechtfertigte Hoffnungen geweckt. Wer eine neue Heilmethode oder ein neues Medikament einführt, hat nach den Gesetzen der Wissenschaft durch sachgerechte Studien für den Nachweis der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zu sorgen. Die Ergebnisse müssen detailliert zugänglich sein (publiziert in begutachteten Fachzeitschriften), so dass jeder Interessierte diese überprüfen und nachvollziehen kann.

Eine wissenschaftlich fundierte diagnostische und therapeutische medizinische Entscheidung erfordert vom Arzt umfangreiches Faktenwissen und erfolgt in aller Regel individuell, um im Einzelfall den optimalen Weg einschlagen zu können. Patienten setzen dieses Wissen bei ihren betreuenden Ärzten voraus und gehen davon aus, umfassend über mögliche Optionen aufgeklärt zu werden. Eine derartige ärztliche Expertise setzt u. a. die ausreichende praktische Berufserfahrung sowie die kontinuierliche Weiterbildung voraus. Die moderne Medizin (Onkologie, inklusive der Komplementärmedizin) basiert auf der Synthese aus unabhängigem, nachprüfbarem Regelwissen und praktischer Kompetenz, was derzeit vermehrt in evidenzbasierte Leitlinien (Disease Management Programme; u. a. Mammakarzinom) verankert wird.

Das ärztliche Handeln wird demnach durch individuelles Können und Erfahrung sowie Regelwissen bestimmt. Dieses Regelwissen setzt sich aus unterschiedlichen Informationen zusammen und ist letztlich die Grundlage für die konkrete ärztliche Entscheidung. Daher müssen Informationen vor Übernahme in den Regelwissensstand und vor individuellen diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen wissenschaftlich bewertet werden. Neben praxisbezogener Relevanz (u. a. Art der untersuchten Parameter; Übertragbarkeit in die medizinische Praxis; Größe des Effektes) und Fallbezug (u. a. Relevanz der Studienergebnisse für den konkreten Patienten; Nutzen/Schaden für den Patienten) ist die Validität (u. a. Beurteilung der Untersuchung/Studie nach Art der Fragestellung und Qualität) von besonderer Bedeutung. Dabei wird die Information in verschiedene Grade der Evidenz eingeteilt, je nach Design der Studien und Quelle der Information. Zu beachten ist hierbei, dass ausschließlich Studien der EBM-Evidenzgrade 1 (randomisierte kontrollierte Studien; RCT) und 2 (pharmakoepidemiologische Kohortenstudien) den Unbedenklichkeits- und Wirksamkeitsnachweis einer medizinischen Maßnahme definitiv belegen können. Untersuchungen der EBM-Evidenzgrade 3 - 5 können u. a. Trends aufzeigen, Hypothesen generieren und therapeutische Maßnahmen aufzeigen, die bei definierten Erkrankungen individuell hilfreich sein können, nicht jedoch den Wirksamkeitsnachweis führen. Daher sollten alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen (auch die der Komplementärmedizin) in Studien evaluiert werden und zwecks vergleichbarer Bewertung je nach Studiendesign/-typ in Anlehnung an Empfehlungen des Center for Evidence-Based Medicine (CEBM), Universität Oxford, UK eingeteilt werden.

Für definierte komplementäre Therapiemaßnahmen (Behandlungsintensität und -dauer in Abhängigkeit von Tumorart, -stadium bzw. individuellen Risiko-/Prognosefaktoren) liegen biometrisch gesicherte Daten aus wirksamkeitsnachweisrelevanten Studien (EBM-Evidenzgrade 1 und 2) vor. Sie belegen deren Wertigkeit, erkennbar am Patientenbenefit (insbesondere verbesserte Lebensqualität durch Reduktion tumor- bzw. therapieinduzierter Symptome/Auswirkungen) und sind nachfolgend kurz skizziert. Alle genannten Therapieansätze werden in kontrollierten Studien weiter evaluiert. Da der Wirksamkeitsnachweis für einzelne Tumorarten und -stadien zu führen ist, sind weitere Studien unabdingbar, um wirksame komplementärmedizinische Therapiemaßnahmen in die wissenschaftlich-begründete Onkologie zu integrieren.

Prof. Dr. J. Beuth

Institut zur wissenschaftlichen Evaluation naturheilkundlicher Verfahren an der Universität zu Köln

Robert-Koch-Straße 10

50931 Köln