Pneumologie 2004; 58(4): 287-288
DOI: 10.1055/s-2004-818446
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Alveoläre Echinokokkose - wächst die Infektionsgefahr in Mitteleuropa?

K.  Tackmann1
  • 1Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV), Standort Wusterhausen, Institut für Epidemiologie
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Publication Date:
20 July 2005 (online)

Die Infektion des Menschen mit der Larve des Kleinen Fuchsbandwurms (Echinococcus multilocularis), die Alveoläre Echinokokkose (AE), führt unbehandelt in über 90 % der Fälle innerhalb von 10 Jahren nach Diagnosestellung zum Tode [1]. Deshalb gilt sie, trotz der hier sehr geringen Erkrankungshäufigkeit (vermutlich weniger als 1 Fall/1 000 000 Einwohner und Jahr), als die gefährlichste parasitäre Zoonose in Mitteleuropa. In anderen Regionen der Welt tritt die AE jedoch sehr viel häufiger auf, zum Beispiel wurde AE in Dörfern in Gansu, China, mit Prävalenzen von bis zu 15,8 % der Einwohner diagnostiziert [2]. Frühzeitige Diagnostik (serologisches Screening, bildgebende Verfahren) und verbesserte (chirurgische und/oder chemotherapeutische) Behandlungsmethoden haben die Sterblichkeit deutlich reduziert [3]. Die 10- bzw. 15-Jahres-Überlebensrate in Mitteleuropa liegt auch bei inoperablen Fällen heute zwischen 53 und 83 % [4].

Das infiltrativ-tumorös wachsende Larvengewebe ist in nahezu allen Fällen primär in der Leber lokalisiert, die Möglichkeit der „Metastasierung” in andere Organe wie der Lunge nach einer iatrogenen oder spontanen Ruptur der kleinen, blumenkohlähnlichen Bläschen (daher „alveoläre” Echinokokkose) muss jedoch beachtet werden. Entsprechend dieser Prädilektion ist die Klinik meist unspezifisch und wird durch eine fortschreitende Leberfunktionsstörung bestimmt [1].

Grundsätzlich gilt der regionale Nachweis infizierter Füchse als Indikator für ein potenzielles Infektionsrisiko für Menschen, jedoch ist nur die Feststellung autochthoner AE-Fälle beweisend [5], denn gerade in Mitteleuropa ist das bekannte Verbreitungsgebiet des Parasiten in der Fuchspopulation deutlich größer als die Gebiete, aus denen Fälle von AE beim Menschen berichtet wurden. Zur Zeit liegen Nachweise infizierter Füchse aus 13 europäischen Ländern vor, aber nicht überall ist E. multilocularis bei diesem Endwirt so flächendeckend präsent wie in Deutschland. Nicht aus allen diesen Ländern sind auch AE-Fälle bekannt, in manchen wurden auch zunächst (z. B. Österreich, Ungarn) oder bislang nur Fälle von AE beim Menschen berichtet, ohne dass infizierte Endwirte nachgewiesen wurden (z. B. Slowenien, Bosnien, Griechenland [5]).

In einigen Regionen muss man sicher davon ausgehen, dass die tatsächliche Verbreitung des Parasiten in den Endwirtpopulationen bislang nicht bekannt ist. In Deutschland wurden seit den 1990er-Jahren viele, zum Teil sehr umfangreiche Studien zur Feststellung des Verbreitungsgebietes infizierter Füchse durchgeführt, so dass heute gesichert von einem flächendeckenden Vorkommen des Parasiten in der Fuchspopulation ausgegangen werden kann, wenn auch die Häufigkeit infizierter Füchse regional sehr große Unterschiede aufweist. Hohe Prävalenzen (bis zu 70 %) werden aus Westdeutschland, vor allem (aber nicht nur) aus Südwestdeutschland berichtet, während in Ostdeutschland (Ausnahme Westthüringen!) großflächig eher niedrige Prävalenzen dominieren, aber auch endemische Foci nachgewiesen wurden [6] [7].

Die zurzeit bekannten AE-Fälle beim Menschen konzentrieren sich dagegen auf eine Kernregion, die neben Süddeutschland auch Ostfrankreich, die Nordschweiz und Westösterreich einbezieht [8]. Diese Diskrepanz zwischen der weiten regionalen Verbreitung des Parasiten in der Fuchspopulation und dem regional eher beschränkten bekannten Vorkommen von AE-Fällen in der Humanpopulation ist Gegenstand von Diskussionen. Die Unterschiede könnten möglicherweise nur scheinbar bestehen, weil die tatsächliche Verbreitung in der Humanpopulation, im Gegensatz zur Fuchspopulation, kaum zu beurteilen ist. Die schwierige Diagnostik und der unzureichende Kenntnisstand der regionalen Ärzteschaft insbesondere außerhalb der bereits länger bekannten Endemiegebiete tragen zu einer großen Datenunsicherheit bei. Die seit dem 1. Januar 2001 nach dem Infektionsschutzgesetz bestehende nichtnamentliche Meldepflicht der AE ist ein Versuch, mehr Klarheit zu schaffen. Auch diese bislang vorliegenden Meldungen zeigen eine Konzentration, aber keine Beschränkung der AE-Fälle auf Süddeutschland [9] [10].

Bis Anfang der 1990er-Jahre ging man davon aus, dass infizierte Füchse nur in Süddeutschland vorkommen, wo AE-Fälle seit über 150 Jahren bekannt sind. Eine gezielte Untersuchung von Füchsen mit geeigneten diagnostischen Methoden fand außerhalb dieser Region nicht statt. Ob das heute bekannte, flächendeckende Vorkommen infizierter Füchse damals schon bestand und nur unbekannt war oder ob es eine Ausweitung des Verbreitungsgebietes in den vergangenen 10 - 20 Jahren gegeben hat, ist schwierig zu beurteilen. Im Falle einer räumlichen Ausbreitung der Infektion beim Fuchs wäre nicht auszuschließen, dass sich auch das potenzielle Risikogebiet für Infektionen beim Menschen ausgeweitet hat. Eine Zunahme der gemeldeten AE-Fälle oder eine wesentliche Ausweitung der Regionen, aus denen autochthone Fälle bekannt werden, wäre erst mit großer zeitlicher Verzögerung zum Beginn des Anstiegs des Infektionsrisikos zu erwarten, da aufgrund der Altersverteilung der Erkrankungen eine Inkubationszeit der AE von 5 - 15 Jahren zu vermuten ist. Das Einsetzen einer solchen Entwicklungstendenz ist bislang nicht bewiesen, auch wenn Fallberichte weit außerhalb der bisher bekannten Kernregion als Hinweis auf eine Ausbreitung des Risikogebietes verstanden werden könnten [8].

Im Zusammenhang mit regionalen Infektionsrisiken ist jedoch nicht nur eine (infrage stehende) räumliche Ausweitung des Verbreitungsgebiets des Parasiten in Endwirtpopulationen in der Diskussion, sondern auch die nachgewiesene Zunahme der absoluten (infolge Anstiegs der Fuchsbestandsdichte) und/oder der relativen Häufigkeit infizierter Endwirte in einigen Regionen der Bundesrepublik, wie z. B. in Niedersachsen [11] und Thüringen (Hoffmann, pers. Mitteilung). Eine zeitliche und/oder räumliche Dynamik bei Infektionen in Endwirtpopulationen könnte sich zudem aus der derzeit noch auf die östlichen Regionen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern beschränkten Etablierung und nachfolgend exponenziell ansteigenden Bestandsdichte des Marderhundes ergeben, dessen Empfänglichkeit für E. multilocularis erst vor Kurzem gezeigt wurde [12].

Die Auswirkungen von möglichen Veränderungen der epidemiologischen Situation von E. multilocularis in den Endwirtpopulationen auf das potenzielle Infektionsrisiko der regionalen Bevölkerung sind derzeit völlig unklar. Ein quantitativer Zusammenhang zwischen der regionalen Infektionshäufigkeit bei Endwirten und bei Menschen ist zwar nicht bewiesen, wäre jedoch plausibel, denn die Kontamination des Lebensumfeldes mit infektiösen Bandwurmeiern hat zumindest Bedeutung für die Kontaktwahrscheinlichkeit. Andererseits können andere Risikofaktoren diesen Zusammenhang auch entkoppeln. Ein neuer Aspekt in dieser Diskussion ist der Nachweis der Übertragung von E. multilocularis im urbanen Raum, zum Beispiel in Zürich [13] [14]. Infizierte Nager- und Fuchspopulationen, die permanent im menschlichen Siedlungsraum leben, zeigen, dass eine Exposition mit infektiösen Eiern des E. multilocularis selbst in städtischen Ballungszentren nicht ausgeschlossen ist. Infektionen bei Katzen und Hunden werden ohnehin in Mitteleuropa als Risikofaktoren diskutiert, auch wenn sie hier selten nachgewiesen werden [15] [16] [17]. Unter den Lebensbedingungen in China und Alaska gelten infizierte Hunde als Hauptrisiko [2]. Zunehmend häufigere Berichte über Zwischenwirtinfektionen bei Affen in menschlicher Obhut, bei Hausschweinen, Schwarzwild, Pferden und Nutrias in Gefangenschaftshaltung könnten Hinweise auf eine möglicherweise steigende Exposition im Lebensumfeld der Menschen sein [18] [19] [20] [21] [22].

Eine Beantwortung der Frage, ob die Gefahr für die Bevölkerung in Deutschland, sich mit AE zu infizieren, steigt, ist aufgrund der fehlenden bundeseinheitlichen epidemiologischen Analyse des Vorkommens des Parasiten in den Endwirtpopulationen sowie der wenig sicheren Datenlage in der Humanmedizin sehr schwierig. Die seltenen Berichte über Erkrankungsfälle selbst aus Regionen, in denen heute nahezu jeder Fuchs infiziert ist, könnten darauf hinweisen, dass das Infektionsrisiko unter mitteleuropäischen Lebensbedingungen relativ gering ist. Solange jedoch ein steigendes Risiko nicht ausgeschlossen werden kann, ist eine vorsorgliche intensive Überwachung der epidemiologischen Situation und die Entwicklung von Strategien zu Gegenmaßnahmen dringend erforderlich.

Literatur

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Dr. Kirsten Tackmann

Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV)

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