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DOI: 10.1055/s-2004-818631
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Unterversorgung in der kardiovaskulären Pharmakotherapie - wer soll das bezahlen?
Underutilization of cardiovascular pharmacotherapy: how to pay for it?Publikationsverlauf
eingereicht: 2.12.2003
akzeptiert: 22.1.2004
Publikationsdatum:
05. Februar 2004 (online)
Eines der erfolgreichsten Kapitel der modernen Medizin könnte die Behandlung der Risikofaktoren der Herz-Kreislauferkrankungen sein. Der Konjunktiv ist mit Bedacht gewählt, denn Faktoren wie hoher Blutdruck und hohe Blutfette werden nur bei unter 10 % der Betroffenen im Sinne internationaler Leitlinien korrekt behandelt [1] [2]. Die Zahl der etwa 500000 Herz-Kreislauf-Toten pro Jahr in Deutschland könnte allein durch konsequente Cholesterinsenkung um etwa 25 % vermindert werden [3]. Die Annahme einer um 100000 Tote zu hohen Sterblichkeit erscheint also realistisch. Die Gründe dieser Unterversorgung sind vielfältig. Einer davon ist Geldmangel.
Wie könnte die Lösung aussehen?
Durch Umverteilung vorhandener Ressourcen (z. B. Abbau überflüssiger Diagnostik, Nichteinsatz unwirksamer Arzneimittel) ließe sich eine bessere Effizienz der teuren Medizin erreichen. Warum muss es in und um München über 30 Linksherz-Katheterplätze geben? Viele Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wie das Kur-„Unwesen”, müssen neu bewertet werden, vor allem aber die völlig überdimensionierten Verwaltungskosten von 314 gesetzlichen Krankenkassen 4.
Trotz aller Sparanstrengungen lassen sich mit dem vorhandenen Geld nicht alle Patienten korrekt behandeln. Daher schlage ich vor:
1. Die GKV legt ihre reale Leistungsfähigkeit offen. Die GKV muss zugeben, dass mit den verfügbaren Ressourcen selbst bei sparsamstem Umgang keine Vollversorgung zu erzielen wäre. Sie darf nicht den Ärzten den „schwarzen Peter” zuschieben („Man würde ja jede ethische Therapie bezahlen, wenn nur die Ärzte richtig behandeln würden”) und gleichzeitig mit Regressforderungen drohen.
2. Folgendes Modell der Vollversorgung ist anzubieten: Die GKV legt fest, wie weit sie sich am Erreichen eines Therapiezieles beteiligen kann. Dies ist bei kardiovaskulären Krankheiten einfach möglich: Blutdruck, Blutzucker bzw. HbA1c und LDL-Cholesterin lassen sich relativ kostensparend auf einen „GKV-Zielwert” oberhalb der heute als notwendig erachteten Zielwerte senken, z. B. Blutdruck 150/90 mmHg, HbA1c 8,0 %, LDL-Cholesterin 130 mg/dl in der Sekundärprävention. Dem Versicherten wird mitgeteilt, dass dies nicht dem Stand der ärztlichen Kunst entspricht, sondern die eigentlichen Zielwerte für Diabetiker 130/85 mmHg, 6,5 % bzw. 100 mg/dl betragen und er die Kosten der Mehrtherapie selbst tragen muss. Patienten sind bereit, in präventive Maßnahmen zu investieren. Das zeigt sich an den großen Umsätzen bei Vitaminpräparaten (300 - 500 Mio EUR/Jahr [5]). Die Bereitschaft zur Selbstbeteiligung dürfte für etwas wissenschaftlich als wirksam Erwiesenes eher noch größer sein.
Das Modell hat Schwächen, und eine Härtefallregelung wäre erforderlich. Aber die geschilderte Situation zeigt, wie hohl das Medizinsystem der Gegenwart ist. Den Bürgern (Wählern) muss klar gesagt werden, dass es für sie keine den medizinischen Möglichkeiten entsprechende Versorgung mehr gewährleistet. Dann können Maßnahmen ergriffen werden, und wenn es nur die öffentliche Bankrotterklärung ist.
Literatur
- 1 Hense H W. et al . MONICA-Studie. Epidemiologie der arteriellen Hypertonie und Implikationen für die Prävention. 10-Jahres-Ergebnisse der MONICA-Studie Augsburg. Dtsch Med Wochenschr. 2000; 125 1397-1402
- 2 Ruof J, Klein G, März W, Wollschläger H, Neiss A, Wehling M. Lipid lowering medication for secondary prevention of coronary heart disease in a german outpatient population: the gap between treatment guidelines and real life treatment patterns. Prev Med. 2002; 35 48-53
- 3 Scandinavian Simvastatin Survival Study Group . Randomised trial of cholesterol lowering in 4444 patients with coronary heart disease: The Scandinavian Simvastatin Survival Study (4S). Lancet. 1994; 344 344-389
-
4 http://www.bmgs.bund.de/downloads/PMNr107.pdf
-
5 Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller eV .Der Arzneimittelmarkt in Deutschland in Zahlen 1999. IMS Health GmbH & Co. OHG, Institut für Medizinische Statistik Frankfurt: Der Pharmazeutische Markt
Prof. Dr. med. Martin Wehling
Institut für Klinische Pharmakologie Mannheim, Universität Heidelberg
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim
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