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DOI: 10.1055/s-2004-818632
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Gesundes Leben und die Kostenexplosion im Gesundheitssystem
Life style and health care costsPublication History
eingereicht: 22.12.2003
akzeptiert: 7.1.2004
Publication Date:
05 February 2004 (online)
Als der 53-jährige Patient mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Z. n. Carotisdesobliteration und mehrfacher PTCA bei der Visite eine Schachtel Filterzigaretten in der Brusttasche hatte, hätte ich am liebsten die mir vom Stationsarzt vorgestellte Indikation zur erneuten Koronarographie wegen instabiler Angina pectoris abgelehnt. Der Blick in die Patientenkurve zeigte, dass die Vormedikation durch den Hausarzt optimal war: ASS 100, Atorvastatin 40, Concor 5 plus, Delix 5, Zyloric 300, Plavix, Dusodril forte, Glucobay in adäquater Dosierung. Auf meine Fragen antwortete der Kranke, dass er leider kein Gewicht abnehmen könne, das Rauchen sei nun mal seine Leidenschaft, aber die Tabletten nehme er fast regelmäßig ein.
Zweifellos wissen heute zumindest alle Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen um die Bedeutung des Körpergewichts, des Rauchens und der regelmäßigen Bewegung für die Progression ihres Leidens. Sie schaffen es aber nicht, die wirklich fast überall publizierten Leitlinien für ein gesundheitsbewusstes Leben zu befolgen. Es ist eine allgemeine ärztliche Erfahrung, dass unsere Ernährungsberatung nur selten etwas fruchtet. Also greifen wir zum Rezeptblock und verordnen Medikamente, dilatieren Koronarien oder legen Bypasses an. Nicht wenige Patienten verdoppeln die Statindosis, bevor sie zu einem abendlichen Gelage gehen und lassen sich zusätzlich Protonenpumpenblocker rezeptieren, weil der Cognac und die Flasche Wein sonst am nächsten Morgen Sodbrennen verursachten.
Neuere Medikamente sind wirkungsvoller, besser untersucht und in der Regel nebenwirkungsärmer. Das hat seinen Preis. Eine Atorvastatin-Tablette zu 40 mg kostet 2,25 EUR! Die evidenzbasierte Medizin hat uns gelehrt, nur solche Pharmaka zu verordnen, die in kontrollierten Studien einen eindeutigen Nutzen nachgewiesen haben. Die Statin-Therapie bei KHK verlängert statistisch gesehen bei etwa 4 % der behandelten Patienten das Leben. Soll man jetzt alle Patienten nach diagnostizierter KHK mit einem Statin behandeln? Sollte es nicht ebenfalls eine Rolle spielen, ob der Patient selbst etwas zu seiner Gesundheit beiträgt? Ist es nicht auch ärztliche Aufgabe, im Sinne einer ganzheitlichen Medizin zu berücksichtigen, ob der Patient weiter raucht, ein BMI von > 30 hat oder die verordneten Medikamente höchst unregelmäßig einnimmt? Stichprobenuntersuchungen haben gezeigt, dass in Deutschland fast die Hälfte aller Medikamente im Müll landet. Zyniker haben gefragt, ob dies Ausdruck einer freiwilligen Subvention der Pharmaindustrie durch die Kassen oder ein unfreiwilliger Beitrag zur Volksgesundheit sei. Aber lassen wir den Spaß beiseite, die Frage, die wir uns wirklich alle stellen sollten, kann nicht sein, ob die 100 %ige Versorgung aller Mitbürger mit evidenzbasierten Pharmaka finanzierbar sei. Das ist geradezu naiv gedacht. Es ist doch auch absurd, allen Autofahrern einen unfallsicheren Oberklassewagen zu finanzieren! Wir sollten vielmehr die ernsthafte Mitarbeit des Kranken an seinem Gesundungsprozess fordern. Dies wird natürlich ethische Probleme aufwerfen. Ich habe dafür kein Patentrezept. Ich vermisse aber die längst überfällige öffentliche Diskussion über dieses Problem. Als ich vor einigen Jahren in Oxford durch die gefäßchirurgische Station ging, erzählt mir der dortige Chef, dass er alle, die in der Klinik beim Rauchen erwischt wurden, sofort und ohne die geplante Operation nach Hause schickte! Ich könnte heute verstehen, wenn eine Krankenkasse z. B. Statine nur unterhalb eines bestimmten BMI erstattet und andere teure Therapieverfahren von der sichtbaren Mitarbeit der Patienten abhängig machte.
Selbstverständlich ist es bequemer, über fehlende Ressourcen im medizinischen System zu wehklagen und mehr Geld zu fordern, als sich den mehr oder minder bösartigen Unterstellungen der Gutmenschen auszusetzen, die eine derartige Diskussion als Unmoral und soziale Kälte abwürgen werden.
Prof. Dr. med. Erland Erdmann
Klinik III für Innere Medizin
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