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DOI: 10.1055/s-2004-818802
Verbessertes Outcome durch Neuromonitoring in der Chirurgie thorakoabdominaler Aortenaneurysmen
Improving Surgical Outcome in Thoracic Aortic Aneurysm Repair Using NeuromonitoringPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
09. Februar 2004 (online)
Eine 5-Jahres-Mortalität bei unbehandelten Aortenaneurysmen von bis 80 % erklärt, dass ein aggressives chirurgisches Vorgehen indiziert ist. Die Mortalität der operativen Intervention nach Aortenruptur ist mit 15 - 90 % ebenfalls sehr hoch. Durch die Fortentwicklung von chirurgischen und anästhesiologischen Techniken konnte die Mortalität des elektiven Eingriffes ebenso wie schwerwiegende Komplikationen deutlich gesenkt werden [1] [2] [3]. Schwerwiegende neurologische Defizite wie Paraplegien oder Paresen treten in bis zu 40 % der Fälle auf und stehen im Zusammenhang mit operationsbedingter Ischämie des Rückenmarks [4]. Das Auftreten spinaler Komplikationen mit Paresen und Paraplegien nimmt einen zentralen Stellenwert ein, da diese ein zusätzliches Risiko für die postoperative Spätmortalität darstellen. Es wird eine bis zu 40 %-ig höhere 5-Jahresüberlebensrate für die Patienten beschrieben, die postoperativ keine neurologischen Defizite aufweisen. Abgesehen von neurologischen Defiziten stehen insbesondere Alter, Abklemmzeiten und vorbestehende chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) mit einer Zunahme der frühen postoperativen Mortalität in Zusammenhang. Die Variablen für die Prognose von Spätkomplikationen erscheinen dagegen mit der Klassifikation (s. u.), stattgehabter Ruptur, vorbestehenden Erkrankungen von Herz, Kreislauf und den basalen Hirnarterien, COPD sowie Niereninsuffizienz vielfältiger [5]. Weltweit werden die Aortenaneurysmen nach DeBakey (Typ I bis Typ III) und nach Stanford (Typ I und Typ II) klassifiziert. Bei DeBakey-Typ-I beginnt die Dissektion im Bereich der Aorta ascendens und erstreckt sich bis zur Aorta abdominalis. Bei DeBakey-Typ-II ist nur die Aorta ascendens betroffen, wohingegen bei DeBakey-Typ-III die Dissektion im Bereich der Aorta descendens beginnt und bis zum Zwerchfell (Typ III A) oder bis zur Bifurkation (Typ III B) reicht. Nach Stanford werden alle Aneurysmen der Aorta ascendens unabhängig davon, ob der Aortenbogen oder die Aorta descendens mitbetroffen sind, als Typ A und alle Aneurysmen der Aorta descendens als Typ B bezeichnet.
Zur Vermeidung ischämiebedingter Schädigungen durch die Operation kommt der Kenntnis über die Blutversorgung des Rückenmarks eine besondere Bedeutung zu. Diese unterliegt anatomisch einer interindividuell hohen Variabilität und wird insbesondere durch das aortale „Cross Clamping” beeinträchtigt [4]. Besondere Risiken bestehen für die Blutversorgung des Vorderseitenstranges (u. a. motorische Bahnen), die i. d. R. zu einem erheblichen Anteil aus der A. radicularis magna stammt. Diese Gefäßversorgung, auch als A. von Adamkiewicz bekannt, verlässt die Aorta auf Höhe Th 9 - 12 und versorgt die A. spinalis anterior. Abgesehen von einer direkten Schädigung in diesem Bereich ist die Inzidenz einer postoperativen Paraplegie äußerst vielschichtig und hängt allgemein ab von der Höhe und der Dauer der Abklemmung, dem Ausmaß vorbestehender Aortenerkrankungen, operationstechnischer Einflüsse auf bestehende Kollateralkreisläufe, möglichen Ligaturen „kritischer” Segmentarterien, Thrombosen reimplantierter Segmentarterien, ebenso wie von der Abnahme der Rückenmarkperfusion durch hypotone Kreislaufverhältnisse, intrakraniellen Drucksteigerungen, Variationen des Liquordrucks und der Durchführung von möglichen prophylaktischen Maßnahmen.
Potenzielle Strategien zur Rückenmarkprotektion sind Gegenstand klinischer und experimenteller Forschung [4] [6] [7]. Die Bedeutung der spinalen Liquordruckmessung zur Detektion von Ischämieereignissen wird kontrovers diskutiert. Zur möglichen Erhöhung der Ischämietolerenz wurden in den letzten Jahren eine Vielzahl von pharmakologischen Therapieansätzen (Kalziumantagonisten und Kortikosteroide), Hypothermieverfahren und chirurgische Shunttechniken (z. B. Linker Vorhof- Femoralarterie) sowie die Rekonstruktion von Segmentarterien zur Optimierung der Rückenmarkperfusion vorgeschlagen. Derzeit kann jedoch kein Verfahren generell für die klinische Anwendung empfohlen werden. Als effektivste Prophylaxe wird derzeit eine sorgfältige chirurgische Technik und Abklemmzeiten unter 30 min angesehen [1]. Darüber hinaus wird von verschiedenen Autoren dem Neuromonitoring mittels Evozierter Potenziale (EP) ein zentraler Stellenwert bei der Ischämiedetektion zugeschrieben. Diese elektrophysiologischen Verfahren haben bewiesen, dass sie eine frühzeitige Intervention ermöglichen und damit ischämiebedingte neurologische Schädigungen begrenzen können. EP sind reizbezogene Antworten des zentralen Nervensystems und können als Neuromonitoring die Integrität und die erfolgreiche Signaltransduktion aufsteigender und absteigender Leitungsbahnen des Rückenmarks widerspiegeln [8].
Somatosensorisch Evozierte Potenziale (SSEP) stellen ein über dem Kortex ableitbares, reizbezogenes Antwortpotenzial dar, welches nach elektrischer Reizung eines peripheren Nerven bei funktioneller Integrität afferenter Leitungsbahnen (Hinterstrangbahnen: Propriozeption und Vibrationsempfinden) generiert wird [8] [9]. Nach Stimulation des N. tibialis posterior kann die Integrität der Signaltransduktion entlang der Hinterstrangbahnen (z. B. Wirbelsäulenhöhe L 1 und C 2) angenommen und die spinale Leitungszeit der kortikalen Potenziale ermittelt werden. SSEP-Signalkomponenten sind gegenüber dem spontanen EEG (20 - 200 µV) um zehner Potenzen kleiner und müssen mittels triggersynchroner Registrierungstechnik gemittelt (125 - 500 sweeps) werden. Letzteres bedingt eine zeitliche Verzögerung (Zeitfenster) der Signaldarstellung. Bei intraoperativer, artefaktfreier SSEP-Ableitung gelten Amplitudenreduktionen von 50 % oder deutliche Latenzzeitzunahmen als ischämieverdächtig. Betroffen ist hierbei insbesondere die Blutversorgung dorsaler Rückenmarkanteile über die Aa. spinales posteriores (Vertebralisstromgebiet). Grundsätzlich gelten langsam abfallende Potenziale, z. B. 15 - 30 min nach dem Abklemmen, als weniger bedrohlich als ein schneller Amplitudenverlust. Von Nachteil ist, dass SSEP-Signalverluste auch als Folge einer Ischämie in peripheren Nervenanteilen auftreten und eine Abgrenzung zur Schädigung auf Rückenmarkebene schwierig ist. Insgesamt geht die N. tibialis SSEP-Überwachung mit einer relativ hohen Rate falsch negativer Befunde für funktionelle Störungen einher, insbesondere weil ein Integritätsverlust des Vorderseitenstranges unentdeckt bleiben kann.
Störungen und Leitungsunterbrechungen ventral gelegener Bahnen (motorischer Bahnen) und deren Gefäßversorgung u. a. durch die A. spinalis anterior, können mit dem SSEP-Monitoring nicht abgeschätzt werden. Hier zeigen Motorisch Evozierte Potenziale (MEP) Vorteile. Die Überwachung des motorischen Systems soll sowohl Ischämien, als auch Reperfusionsschäden am Rückenmark zeitnaher und zuverlässiger als die SSEP anzeigen [4] [10]. Darüber hinaus konnte anhand tierexperimenteller Studien ein Zusammenhang zwischen MEP-Befunden und dem neurologischen Outcome gezeigt werden [11] [12]. Bei der MEP-Ableitung werden motorische Kortexareale transkraniell elektrisch oder magnetisch stimuliert, wobei die erzielte neuronale Aktivität bei intakten Leitungsbahnen zu einer Antwortzuckung des Zielmuskels führt. Die Antwort kann typischerweise als Muskelsummenaktionspotenzial (sog. myogenes MEP) vom M. tibialis anterior oder den Handmuskeln abgeleitet werden. Tierexperimentelle Befunde konnten zeigen, dass die direkte epidurale EP-Ableitung weniger sensitiv, gegenüber der nicht-invasiven myogenen Ableitung im Muskel, eine Ischämie im Rückenmark anzeigt [13]. Beim wachen Patienten sind die myogen abgeleiteten Potenziale meist deutlich abgebildet (mV-Bereich), so dass sogar auf eine Mittelungstechnik verzichtet werden kann und damit eine zeitnahe Überwachung möglich ist. Die Antwortpotenziale können auch als Antwortpotenziale von peripheren Nerven als sog. neurogene MEP abgeleitet werden. Letztere weisen allerdings eine große Artefaktanfälligkeit und geringe Potenzialgrößen auf.
Im Gegensatz zu den SSEP handelt es sich bei den MEP allerdings um eine technisch schwierigere Methode [8]. Die kortikale Stimulation braucht einen erfahrenen Untersucher und kann darüber hinaus problematisch sein. Die elektrische MEP-Stimulation mit hohen Hautübergangswiderständen und einer Stromverteilung in der Haut ist schmerzhaft und kann beim wachen Patienten kaum eingesetzt werden. Im Gegensatz zur schmerzlosen magnetischen Stimulation mit einer großen ringförmigen Elektrode, scheinen die elektrisch stimulierten MEP gegenüber Anästhetika weniger empfindlich zu sein, so dass die elektrische Stimulation bevorzugt beim intraoperativen Monitoring Anwendung findet. Dennoch setzt die Empfindlichkeit der MEP gegenüber den Anästhetika (Amplitudenreduktion) besondere Erfahrungen in den Stimulationstechniken für das intraoperative Monitoring mittels myogener MEP-Ableitung vorraus. Nationale und internationale Anerkennung haben die langjährigen anästhesiologischen Erfahrungen mit klinischen und tierexperimentellen Untersuchungen zur Detektion von Rückenmarkischämien mittels MEP-Monitorverfahren der Arbeitsgruppe um Kalkman in den Niederlanden erhalten [8] [10] [13] [14] [16] [17] [18] [19] [20] [21].
Vor dem Hintergrund, dass MEP und SSEP die Integrität ventraler bzw. dorsaler Rückenmarkbereiche reflektieren, scheinen diese EP-Verfahren als Neuromonitoring prinzipiell geeignet, operationsbedingte Ischämien zu detektieren. Verschiedene Autoren empfehlen uneingeschränkt das MEP-Monitoring insbesondere bei thorakoabdominaler Aortenchirurgie [4] [8], wobei das SSEP-Monitoring aufgrund ableitbedingter zeitlicher Verzögerung (Mittelungsverfahren) und möglichen falsch positiven (z. T. 39 %) und falsch negativen Befunden mit einer geringeren Sensitivität und Spezifität für Ischämieereignisse kritischer beurteilt wird [14]. Elektrophysiologische Überwachungsparameter haben Einschränkungen in der Aussagekraft als Ischämiedetektor bei allen Operationstechniken, die an der Aorta mittels extrakorporaler Zirkulation (z. B. thorakale Aneurysmen) in Hypothermie durchgeführt werden [9]. Systemische Kühlung bewirkt eine Suppression bzw. Verlängerung von Amplitude und Latenz, wobei eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass bei systemischer Kühlung von 38 auf 28 °C die MEP-Amplituden mit bestimmten Stimulationsfolgen am Kortex im Gegensatz zu Einzelstimulationen unverändert bleiben [15]. Wenngleich es bislang an klinischen Studien fehlt, folgern die Autoren, dass neben regionaler Rückenmarkkühlung zum zwecke der Protektion [16] auch bei systemischer Hypothermie MEP-Monitoring mittels spezieller Stimulationstechniken möglich ist.
Klinische Studien unter normothermen Bedingungen haben gezeigt, dass bei Operationen von thorakoabdominalen Aortenaneurysmen durch Neuromonitoring mit evozierten Potenzialen und insbesondere mit den MEP innerhalb von Minuten Ischämieereignisse erkannt werden können. Signaländerungen repräsentieren den Verlust synaptischer Funktionen der motorischen Vorderhornzellen im Rückenmark, wobei experimentelle Befunde darauf hindeuten, dass Schädigungen in lumbalen Segmenten zeitnaher als in thorakalen Segmenten durch einen Amplitudenverlust angezeigt werden. Solche falsch negativen MEP-Befunde lassen sich anatomisch durch selektive Ischämien thorakaler Rückenmarksegmente ohne Beteiligung lumbaler Motorneurone erklären [17]. Demnach können diese Verfahren benutzt werden, um einen regulierenden Einfluss auf die Perfusionsverhältnisse in der distalen Aorta zu nehmen [18]. Darüber hinaus kann die Notwendigkeit von Reimplantationstechniken von Segmentarterien zur Erreichung einer ausreichenden Perfusion des Rückenmarks angezeigt werden [8] [10]. Auch hier zeigt die niederländische Arbeitsgruppe zukunftsweisend vielversprechende tierexperimentelle Modelle zur erfolgreichen selektiven segmentalen Perfusion von lumbalen und thorakalen Segmentarterien [19]. Für den klinischen Bereich kann abschließend herausgestellt werden, dass Neuromonitoring insbesondere unter MEP-Ableitung das Outcome nach Chirurgie thorakoabdominaler Aortenaneurysmen verbessert. Die Häufigkeit schwerwiegender Komplikationen ischämiebedingter Paraplegien und Paresen kann auf unter 3 % reduziert werden [20] [21], wenngleich intraoperative Integrität nicht notwendigerweise das Auftreten postoperativer Störungen ausschließt [22].
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