Zusammenfassung
Der Roman „Krebsstation” von Alexander Solschenizyn ist zwar auch als antitotalitäre
Kritik zu lesen, aber vielmehr lässt sich das Buch als klassische und realistische
Darstellung des konfliktreichen Krankenhausalltages vestehen. In medizinethischer
Hinsicht steht besonders das Problem der freiwilligen Behandlungszustimmung des Patienten
im Vordergrund. Im Zusammenhang damit zeigt der Autor, welche Bedeutung das selbständige
Lesen für den Prozess der individuellen Patientenaufklärung besitzt. Der Aufsatz beschreibt
zuerst die kulturhistorischen und -theoretischen Voraussetzungen solchen Lesens, bevor
er dem Zusammenhang von Lesen und Aufklärung in Hinblick auf zwei Protagonisten des
Romanes nachgeht. Hierbei spielt in entwicklungspsychologischer Hinsicht die Alters-
und Erfahrungsdifferenz zwischen dem jugendlichen und dem erwachsenen Patienten eine
entscheidende Rolle. Der Aufsatz versteht sich als ein Plädoyer für das individuelle
Lesen als möglichem Aufklärungsmittel in der Medizin.
Literatur
- 1 Solschenizyn wurde 1961 mit „Ein Tag im Leben des Ivan Denissowitsch” fast über
Nacht zum gefeierten Autor, dem es in der Tauwetterperiode unter Chrustschow endlich
erlaubt war, das Lagerschicksal der Stalin-Ära offen darzustellen. Später distanzierte
man sich im Namen des „sozialistischen Realismus” von seiner Forderung nach unbedingter
Aufrichtigkeit in der Literatur. Wie die „Krebsstation” durfte auch das Hauptwerk,
der dreibändige „Archipel Gulag”, wie auch die epische Schilderung der Revolutionszeit
in einzelnen „Knoten”-Romanen nur im Westen erscheinen. Vgl. zu Werk und Biografie:
Neumann-Hoditz, R. (1974): Solschenizyn. Reinbek u. Thomas, D.M. (1998): Alexander
Solzhenitsyn. London.
- 2 Solschenizyn A. Krebsstation. Buch 1, Neuwied u. a. u. Solschenizyn, A. (1969):
Krebsstation. Buch 2, Neuwied u.a
- 3 Bobbert M. Moralpsychologie/Moralentwicklung. In: Düwell u. a. (Hg.) 2002: S. 428-432
- 4 Solschenizyn A. Djomka freute sich über Oleg [Kostoglotow, M.B.], als wäre es sein
älterer Bruder. 1969: S. 133
- 5 Solschenizyn A. Nobelpreis-Rede 1970. In: Markstein, E. u. a. (Hg.)
Über Solschenizyn. Aufsätze, Berichte Materialien. Neuwied u. a. 1973: S. 246-266
- 6 Augustinus A. Bekenntnisse. München; 1983
- 7 Solschenizyn A. 1973: S. 248f
- 8 Solschenizyn A. 1973: S. 258
- 9 Böll H. Vorwort. In: Solschenizyn 1968: S. 5-9, 6
- 10 Vico J B. Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker.
Das Werk erschien erstmals 1725 in Neapel. Hamburg; 1990
- 11 Vico J B. 1990: S 142f
- 12 Oser F, Althof W. Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Entwicklung und Erziehung
im Wertebereich. Stuttgart; 1992
- 13 Nietzsche F. Kritische Studienausgabe 1, darin: Vom Nutzen und Nachteil der Historie
für das Leben. Berlin u. a.; 1980: S. 243-334
- 14 Beauchamp T L, Faden R. History of Informed Consent. In: Reich, W.T. (Hg.)
Encyclopedia of Bioethics. New York; 1995: S. 1232-1238
- 15 Kant I. Was ist Aufklärung? Aufsätze zur Geschichte und Philosophie. Göttingen;
1985: S. 55
Matthias Bormuth
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