Balint Journal 2004; 5(1): 29
DOI: 10.1055/s-2004-818936
Leserbrief
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Leserbrief - Zu Mattke „Interaktionelle Beziehungsdiagnostik” (Balint 1/03)

H. Altrogge1
  • 1Duisburg
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Publication Date:
26 March 2004 (online)

Sein Leserbrief enthält schon einige Fragen zu denen man nur ermunternd beifällig nicken kann und sich im stillen sagt: endlich mal einer, aber müssen denn immer nur die Emeritierten sich aus der Deckung wagen um dem „alten Schlachtschiff Balint” mal eine Kurskorrektur anzumahnen, an der es sich lohnt mal wieder LAGE ZU MACHEN UND SICH ZU BETEILIGEN?

Aber was sagt er in seinem Artikel nun konkret.

Was soll der Lärm, eine sehr gute Frage. Es ist wie so oft der Lärm um nichts oder aktuell der Lärm um die Frage nach Inhalten, oder hybrider nach Qualität gruppendynamischer Arbeit. Noch und Gottseidank noch immer ist die Weiterbildung zum Balint-Gruppenleiter eher eine selbsterfahrungsorientierte Ausbildung frei nach dem Motto „wie ging es Ihnen denn als Leiter”. Wenn ich mir die durchgestylten Softies ansehe, die manchmal „von außen” in unsere Gruppen stoßen, so kann man sich im alten Balint-Schlachtschiff doch noch ganz gut und zuhause fühlen. Das ist es aber auch dann schon ... Mattke will interaktionelle Beziehungsdiagnostik vermitteln. Das ist verdammt notwendig, dies zu fordern. Es stünde unserem Schlachtschiff auch gut an, darüber mal zu fantasieren! Wie auch anderswo, so haben auch in unserer Balint-Familie die Leiter das Gefühl, als Psychotherapeut auch die Weihen der didaktischen Gnaden gleich mitverteilt bekommen zu haben. Dem ist nicht so. Die wenigsten in der Balint-Ausbildung Tätigen sind in der LAGE, den Gruppen (MitgliederInnen) zu vermitteln oder auch nur mitzuteilen, was sich nun dynamisch in den abgelaufenen Gruppenstunden abgespielt hat. Selbst die Grosskopfeten unserer Familie sind meist nicht in der Lage, in Seminaren gruppendynamische Balint-Abläufe didaktisch zu vermitteln. Unsere Ausbilder sind zum großen Teil didaktisch-theoretisch unbeleckt, praktisch aber höchsterfahren. In der Theorie wissen sie aber oft nicht zu erklären was sie tun, Balint vergib ... Dies führt mich zwangsläufig zum brainstormmässigen Zusammenstellen der Mattke Theorien. Sie sind alle sowohl in der Balint-Familie als auch in jeder Familie schambesetzt. Allein die Vorstellung, dass dynamische Familien-Gruppenabläufe bestimmten Regeln folgen, löst Angst aus, zumindest bei „Balints”. Aber dieser angstbesetzte Widerstand ist weit verbreitet, und unter uns: auch bei Profis! Das Eingehen auf die Aufforderung „einfach frei zu phantasieren” bedeutet bei uns und auch anderswo nichts anderes, als die Lust am Exhibitionismus in jeder vorstellbaren Form am eigenen Leibe erleben zu wollen. Und die Rache der Restfamilie auch miterleben zu wollen, versteht sich. Diese Schambesetzung gilt es zu durchbrechen. Wenn ich Rettungsschwimmer für verletzte Haifisch-Patienten ausbilde (die anderen Patienten tun mir ja nichts), dann muss ich als Balint-Gesellschaft auch dafür sorgen, dass nach getaner Arbeit diese Schwimmer und die Haifische auch wieder gesund an Land kommen können. Mattkes Haifischbecken ist eher der Seekrieg den er andeutet. Er weiß, dass das alte Segelschulschiff Balint in den Jahren ist. Aber gute Segler kennen sich mit Winden und Strömungen aus und sehen Kurse von Gruppenschiffen früher als Kommandanten von Schnellboten, die sich um solche Feinheiten gar nicht erst kümmern müssen, schnelllebig das alles. Mattkes und anscheinend auch Balints Idee der Beziehungsdiagnostikentfaltung halte ich für absolut antik, aber diskutabel. Meiner Ansicht nach stellen sich in der Balint-Arbeit der vorgestellte Patient in Form der Gefühle eines Gruppenmitgliedes dar und die Symptome und die Krankheit des Patienten in oder bei einem anderen oder bei demselben Gruppenmitglied ein, basta. Und wie das funktioniert, das kann oder sollte mir oder uns Mattke, Balint oder einer unserer Ausbilder mal erklären können, jenseits ihrer Schamgrenzen, wie oben beschrieben. Mattke sei Dank.

Dr. med. Harald Altrogge

Kaiser-Friedrich-Str. 20 - 24

47169 Duisburg