Zentralbl Gynakol 2004; 126 - V1
DOI: 10.1055/s-2004-822045

Zwischen handlungsorientierter Krisenintervention und ethisch-moralischer Problemdimensionierung: Ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Studie zu psychosozialen Beratungsangeboten im Kontext pränataler Diagnostik (PND)

E Ackermann 1
  • 1Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Abt. für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Magdeburg

Fragestellung: Die Studie, die sich im Schnittfeld von Professionssoziologie und interaktionistischer Beratungsforschung bewegt, richtet sich auf psychosoziale Beratungsangebote zu PND, die sich jenseits des Medizinsystems angesiedelt haben. Dieser Etablierungsprozess wurde aus einer biographieanalytischen Perspektive untersucht. Dabei wurden lebensgeschichtliche und soziohistorische Prozessmerkmale extrapoliert, die das Problembewusstsein der ersten Beraterinnen geschärft und sie zur Entwicklung modellhafter Handlungskonzepte motiviert haben. Der Hauptakzent der Arbeit liegt auf der Untersuchung des faktischen Beratungshandelns, wie es sich in den Fallschilderungen der befragten Expertinnen abbildet.

Methode: Die Studie basiert auf 18 biographisch-narrativen Interviews mit Beraterinnen. Die Auswertung erfolgte nach der von Schütze entwickelten sequenziellen Textanalyse, die den Prinzipien der Grounded Theory (Strauss/Corbin) folgt.

Ergebnisse: Es konnte gezeigt werden, dass und wie unterschiedliche professionelle Orientierungshaltungen, die sich in den Situationsdefinitionen und Handlungskonzepten der Beraterinnen niederschlagen, lebensgeschichtlich verankert sind. Hier wurde der Doppelcharakter biographischer Erfahrungen deutlich: Diese erscheinen gerade in der Aufbauphase des Berufsfeldes als bedeutsame Ressourcen für die Bewältigung der komplexen und dilemmatischen Anforderungen des Beratungshandelns zu PND. Sie begünstigen allerdings auch die Ausbildung „blinder Flecke“, die die Bearbeitung systematischer Handlungsprobleme erschweren können. Dies soll am Beispiel der Schwierigkeit gezeigt werden, das moralische Bewusstsein der Klientinnen zu fördern, ohne sie moralisch unter Druck zu setzen. Schlussfolgerung: Dass die Beratungsarbeit zu PND ein hohes Maß an Selbstreflexivität erfordert, sollte in Aus- und Weiterbildungskonzepten stärker berücksichtigt werden.