Klin Padiatr 2004; 216(3): 129-131
DOI: 10.1055/s-2004-822755
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Therapieoptimierungsstudien der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) und 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinie

Clinical Trials and Studies of the German Society for Paediatric Oncology and Haematology (GPOH) and the European Directive for the Implementation of Good Clinical Practice in the Conduct of Clinical Trials N. Graf1 , U. Göbel2
  • 1Klinik für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Universitätsklinikum Homburg, Germany
  • 2Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und -Immunologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Germany
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Publication History

Publication Date:
03 June 2004 (online)

Die Erfolge der pädiatrischen Onkologie beruhen im Wesentlichen auf der zunehmenden Kenntnis der speziellen Tumorbiologie für die bei Kindern und Jugendlichen vorkommenden bösartigen Erkrankungen und den seit über 25 Jahren durchgeführten Therapieoptimierungsstudien. Diese Therapieoptimierungsstudien eröffnen heute etwa 75 % der an Krebs erkrankten Kinder und Jugendlichen eine Heilungschance und haben durch ihre flächendeckende Anwendung eine Versorgungsstruktur in Deutschland etabliert [1], die im internationalen Vergleich ihresgleichen sucht. Nach den Daten des Kinderkrebsregisters werden über 90 % der in Frage kommenden Patienten nach Protokollen behandelt, die detaillierte Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie beinhalten [2]. Diese Protokolle sind diagnosebezogen und beschränken sich nicht nur auf einzelne Untergruppen, so dass allen Kindern und Jugendlichen mit dieser Erkrankung die derzeit bestmögliche Chance auf Heilung eröffnet wird. Der Verzicht auf die Einbringung von krebskranken Kindern in ein kooperatives Behandlungsprotokoll kann dagegen die Überlebenschancen eindeutig vermindern, wie am Beispiel der besonders bösartigen Non Hodgkin Lymphome gezeigt worden ist [7]. Durch die langjährige supranationale Verflechtung der GPOH mit der International Society of Pediatric Oncology (SIOP) und internationale Kooperationen sind weiterhin die Anforderungen der evidenzbasierten Medizin erfüllt, da das international verfügbare Fachwissen Grundlage der aktuellen Protokolle ist.

In Deutschland haben nach den §§ 2, 70, 72, 135 SGB V der Patient ein Anrecht auf die Weiterentwicklung der Qualität der Behandlung und die Krankenhäuser die Verpflichtung, sich an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen. Dieser qualitätssichernde Aspekt der Therapieoptimierungsstudien kann im Zusammenhang mit der flächendeckenden Versorgung krebskranker Kinder in Deutschland nicht hoch genug bewertet werden. Sowohl vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) [4], der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als auch dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen wird dies ausdrücklich positiv bewertet [6].

Im Rahmen des Förderprogramms „Kompetenznetze in der Medizin” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wird der Punkt der Qualitätssicherung mit als ein primäres Ziel definiert, um langfristig eine hoch qualifizierte, evidenzbasierte Medizin in Deutschland zu gewährleisten. Diesem Ziel, die Kooperationen zwischen Forschungseinrichtungen, Kliniken und Hausärzten - im Rahmen einer horizontalen und vertikalen Vernetzung - zu fördern, entspricht das „Kompetenznetz Pädiatrische Onkologie und Hämatologie” (Sprecher: Prof. Dr. Dr. h. c. Henze, Charité, Berlin). So sind z. B. die Zusammenarbeit mit Grundlagenforschern, die epidemiologische Ursachenforschung, die klinische Behandlung und ambulante Nachsorge im Zusammenwirken mit niedergelassenen Ärzten miteinander verzahnt, wobei die onkologisch tätigen Klinikärzte eine koordinierende Funktion haben. Dieses Förderprogramm optimiert letztlich die Gesundheitsversorgung krebskranker Kinder und Jugendlicher durch strukturelle Verbesserungen, die die Durchführung von Therapieoptimierungsstudien nachhaltig unterstützen und der Generierung neuer Fragestellungen dienen.

Die Integration von „Good Clinical Practice” (GCP-Richtlinien) in die Therapieoptimierungsstudien der Pädiatrischen Onkologie ist bereits heute vor Novellierung des Arzneimittelgesetzes weit fortgeschritten. Jedes neue Studienprotokoll wird im Rahmen der Begutachtung durch externe Gutachter auch auf die Einhaltung der GCP-Richtlinien überprüft. Nur bei positiver Bewertung kann z. B. das Gütesiegel A der Deutschen Krebsgesellschaft verliehen oder die personelle Förderung der Studienzentrale durch die Deutsche Krebshilfe bzw. die Deutsche Kinderkrebsstiftung erhalten werden. Hier ist die Zusammenarbeit mit den Koordinierungszentren für Klinische Studien auf eine tragfähige Grundlage zu stellen.

Die vorhandenen Netzstrukturen sind durch das Kompetenznetz Pädiatrische Onkologie und Hämatologie u. a. durch die Bereitstellung von so genannten Forschungs- und Studienassistenten (FSA) erheblich verstärkt worden, so dass nicht nur die Datenqualität in den Studienzentralen, sondern auch die Kommunikation zwischen Studienzentralen und teilnehmenden Kliniken entscheidend erleichtert ist. Der Aufbau einer Tumorbank im Rahmen der interdisziplinären Therapieoptimierungsstudien eröffnet völllig neuartige Perspektiven vor dem Hintergrund der aktuellen Genom- und Proteomforschung.

International halten die mit den Therapieoptimierungsstudien der GPOH erzielten Behandlungsergebnisse jedem Vergleich stand, obwohl der Benefit der flächendeckenden Versorgungsstruktur der GPOH-Protokolle ein wesentliches Merkmal darstellt [2]. Somit sind die Zielsetzungen der EU-Richtlinien antizipiert und bereits erfolgreich umgesetzt worden. Bei Inkrafttreten der neuen Gesetzgebung ist daher darauf zu achten, dass die bislang erfolgreiche Arbeit in den Therapieoptimierungsstudien nicht durch ein Übermaß an Regulierung behindert und der Spielraum für innovative klinische Forschung eingeschränkt werden, wie dies von der American Society of Clinical Oncology erst kürzlich mahnend dargelegt worden ist [3].

Durch die Gleichstellung nicht-kommerzieller klinischer Studien, die das Surrogat der Patientengerechtigkeit erfüllen, mit Arzneimittelstudien im engeren Sinn durch die 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes entsteht insofern eine neue Situation, als keine Hinweise zur Sicherstellung der Dokumentation gegeben sind. Es gilt, die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes so zu gestalten, dass die gewachsenen und erfolgreich arbeitenden Versorgungs- und Forschungsstrukturen innerhalb der deutschen pädiatrischen Onkologie und Hämatologie auch in Zukunft weiter bestehen können. Insbesondere sind mit der ICH-GCP-Leitlinie E 6 als dem international anerkannten Bezugsdokument für „Good Clinical Practice” die zur Überwachung erforderlichen Maßnahmen zu ermöglichen und die Frage des Sponsors an die gewachsenen Gegebenheiten der Therapieoptimierungsstudien anzupassen. Im Einzelnen ist z. B. auch zu entscheiden, ob auf die besondere Kennzeichnung von sog. Prüfpräparaten verzichtet werden kann, wenn es sich um seit Jahren bei dieser Indikation eingesetzte Präparate handelt.

So sehr die durch die neue Gesetzgebung geforderten hohen Anforderungen an den Schutz der Patienten und die Qualität der Daten klinischer Studien begrüßt werden, ist andererseits aber auch die Finanzierung dieser zusätzlichen Maßnahmen eine Notwendigkeit, da der dokumentarische Aufwand erheblich ist [3]. Dies könnte beispielsweise durch die Einrichtung einer Fallkostenpauschale „Studienpatient” sichergestellt werden. Auch wenn die anderen europäischen Länder mit der Umsetzung dieser EU-Richtlinie gleiche Probleme haben, ist eine Lösung auf nationaler Ebene erforderlich.

Weitere Ziele der Therapieoptimierungsstudien sind Reduzierung oder Vermeidung von Spätfolgen bei gleichzeitiger Konsolidierung der bisherigen Behandlungserfolge. Der vorliegende Band der Klinischen Pädiatrie spiegelt diesen Sachverhalt, aber auch das breite Leistungsspektrum der GPOH wider. Es finden sich Arbeiten zu Ergebnissen verschiedener Therapieoptimierungsstudien, zu hämatologischen Erkrankungen, zur Stammzelltransplantation, zu innovativen Behandlungsverfahren bei Rezidivpatienten und der Palliativmedizin. Die pädiatrische Palliativmedizin verzahnt Hochleistungsmedizin und psychosoziale Betreuung am Lebensende des krebskranken Kindes und seiner Familie. Dies ist vor dem Hintergrund der psychischen Entwicklung der Kinder in unserer Zeit (Beitrag von R. Lempp) und dem zunehmenden Anspruch der Eltern zu sehen, die onkologische Therapie ihres Kindes mitgestalten zu wollen (Stellungnahme der SIOP-Arbeitsgruppe für Psychosoziale Fragen).

Der innovative Charakter der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie wird durch die Abstracts der XVII. Jahrestagung der Kind-Philipp-Stiftung für Leukämieforschung erkennbar. Experimentell arbeitende Forschergruppen stellen ihre Ergebnisse vor und erwarten eine konstruktive Kritik. Ziel ist die Formulierung neuer Hypothesen, die dann z. B. als wissenschaftliches Begleitprojekt von Therapieoptimierungsstudien prospektiv geprüft werden.

Im Rahmen der zunehmenden Internationalisierung der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie wird es ausdrücklich begrüßt, dass die meisten Arbeiten in englischer Sprache publiziert sind. Hierdurch ist eine bessere Darstellung der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie international möglich und weist ihr die Rolle zu, die ihr international auch zusteht.

Bei zunehmender Stratifizierung innerhalb der Therapieoptimierungsstudien nach dem individuellen Risiko des Patienten bei gleichzeitiger Verbesserung der Therapieergebnisse sind Studien mit immer mehr Patienten erforderlich, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dies ist nur noch im internationalen Verbund möglich und wird seit einigen Jahren auch praktiziert, wie u. a. die hier publizierten Ergebnisse der Nephroblastomstudie als auch der Keimzelltumorstudien zeigen. Bei allen Schwierigkeiten, die eine solche Internationalisierung auch mit sich bringen, überwiegt der dadurch gewonnene Erkenntnisgewinn bei weitem.

Angesichts der hohen Heilungsraten mit Hilfe der aktuellen interdisziplinären Protokolle für die Diagnostik und Behandlung von krebskranken Kindern und Jugendlichen ergeben sich drei Fragenkomplexe:

Kann durch Zusatzmaßnahmen der Eltern der Heilerfolg noch gesteigert werden? Hierzu hat kürzlich die SIOP-Arbeitsgruppe für Psychosoziale Fragen in der Pädiatrischen Onkologie Richtlinien erstellt 5, die in deutscher Übersetzung in diesem Heft (S. 194 ff.) wiedergegeben sind, so dass sie betroffenen Eltern auf Wunsch zugänglich gemacht werden können. Welche Therapie kann bei Patienten mit einer seltenen bösartigen Erkankung eingesetzt werden, für die es kein Therapieprotokoll gibt? Für diese Patienten ist mit Hilfe des Kinderkrebsregisters und der internationalen Literatur nach Vergleichsfällen zu suchen, um Hinweise für eine individuelle Therapie zu erhalten. Streng genommen handelt es sich dann um einen individuellen Heilversuch mit all seinen Problemen. Welche Therapie kann bei Patienten mit therapierefraktärer Erkrankung verabreicht werden? Hier ist die Beratung durch die Studienleitung für die Primär- bzw. Rezidivtherapie der jeweiligen Erkrankung als bestgeeignetes Kompetenzzentrum für diese Erkrankung zu konsultieren. Weiterhin bietet sich die Kontaktaufnahme mit der GPOH-Arbeitsgruppe für Experimentelle Pharmakologie (Leiter: Prof. Dr. J. Boos, Münster) an, um Hinweise zu neuen Zytostatika aus Phase 2 Studien zu erhalten. Sollte in einer derartigen Situation eine Therapie unter kurativen Aspekten erfolgen, ohne dass ein Protokoll existiert, handelt es sich gleichfalls um einen individuellen Heilversuch.

Hinsichtlich Frage 1 wird zur Zeit mit Unterstützung der Kinderkrebsstiftung e. V. Bonn eine Bestandsaufnahme in Kooperation mit dem Kinderkrebsregister durchgeführt (federführend Dr. Lengler, Universität Witten-Herdecke), um einen Überblick über die in Deutschland eingesetzten komplementären bzw. alternativen Präparate bzw. Maßnahmen zu erhalten.

Für die individuellen Heilversuche ist zusätzlich zu den schon jetzt vorhandenen Vorgaben eine zentrale Registrierung wünschenswert. Hierdurch könnten unnötige Belastungen für den Patienten und das Gesundheitssystem leichter vermieden und möglicherweise weiterführende Informationen generiert werden und in eine Therapieoptimierungs-Studie Eingang finden. Hier wird dann aus Sicht der GPOH die 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinie besonders segensreich wirken.

Literatur

  • 1 Creutzig U, Henze G, Bielack S, Herold R, Kaatsch P, Klussmann J -H, Graf N, Reinhardt D, Schrappe M, Zimmermann M, Jürgens H. Krebserkrankungen im Kindesalter. Erfolg durch einheitliche Therapiekonzepte seit 25 Jahren.  Deutsches Ärzteblatt. 2003;  100 A842-A852
  • 2 Creutzig U, Winkler K. Empfehlungen für Studien zur Optimierung von Therapieschemata. Klin.  Pädiatr. 1994;  206 1-3
  • 3 Einhorn L, Levinson J, Li S, Lamar L, Kamin D, Mendelson D. American Society of Clinical Oncology 2001 Presidential Initiative: Impact of Regulatory Burdens on Quality Cancer Care. J Clin Oncol 2002; 4722 - 4726
  • 4 Herweck-Behnsen E. Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Arzneimittel, die im Rahmen von Anwendungsbeobachtungen und klinischen Prüfungen, insbesondere Therapieoptimierungsstudien, verordnet oder angewandt werden.  Pharma Recht. 1997;  6 206-212
  • 5 Jankovic M, Spinetta J, Martins A G, Pession A, Sullivan M, D’Angio G J, Eden T, Weyl Ben Arush M X S, Punkko L R, Epelman C, Masera G. Non-Conventional Therapies in Childhood Cancer: Guidelines for Distinguishing Non-Harmful From Harmful Therapies: A Report of the SIOP Working Committee on Psychosocial Issues in Pediatric Oncology.  Pediatr Blood Cancer. 2004;  42 106-108
  • 6 Thiele K -P, Rheinberger P. Klinische Studien. „Unmöglich” gibt es nicht.  Deutsches Ärzteblatt. 2003;  100 A1044-A1046
  • 7 Wagner H P, Dingeldein-Bettler I, Berchthold W, Ridolfi Lüthy A, Hirt A, Plüss H J, Beck D, Wyss M, Signer E, Imbach P, Feldges A, Bleher E A, Plaschkes J, Briner J, Leibundgut K, von der Weid N. Childhood NHL in Switzerland: Incidence and Survival of 120 Study and 42 Non-Study Patients.  Med Ped Oncol. 1995;  24 281-286

Prof. Dr. Ulrich Göbel

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