Zentralbl Gynakol 2004; 126(4): 280-281
DOI: 10.1055/s-2004-822757
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Tumorabhängig replizierende Adenoviren zur Therapie von Karzinomen

Tumour-Dependent Replicating Adenoviruses in the Treatment of CarcinomasG. J. Bauerschmitz1 , A. Hemminki1 , D. T. Curiel1 , P. Dall1
  • 1Universitäts-Frauenklinik
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. August 2004 (online)

Im Jahr 2000 wurde mit geschätzten 51 710 Neuerkrankungen und 19 149 Sterbefällen für das Mammakarzinom in Deutschland gerechnet. Obwohl sich die Heilungsrate in den letzten Jahren durch adjuvante Therapieformen durchschnittlich um 5-15 % erhöhen ließ, bleibt neben einer besseren Patientenselektion die Hinzunahme tumorselektiverer Therapieverfahren Ziel der Forschung. Eine Option hierfür bilden gentherapeutische Ansätze.

Das zunehmende Verständnis von zellbiologischen Vorgängen und die Entwicklung moderner molekularbiologischer Methoden haben ab den 80er-Jahren zur Entwicklung verschiedener Formen onkologischer Gentherapie geführt. Derzeit können mindestens sechs verschiedene Ansätze unterschieden werden: Mutationskompensation (z. B. p53, BRCA1/2), Molekulare Chemotherapie („Suizidgentherapie”), Immunpotenzierung, Zellresistenz-Modulation, virale Onkolyse und Antiangiogenese. Bei all diesen Ansätzen haben sich Adenoviren bislang als beste Vektoren in klinischen Studien erwiesen, die Umsetzung aller Wirk-Prinzipien in klinischen Studien offenbarte jedoch stets die gleichen Schwächen: die Effizienz und Spezifität des Gentransfers.

Vorraussetzung für eine effiziente und nebenwirkungsarme Gentherapie ist zum einen ein spezifischer Gentransfer in die Zielzellen, zum anderen eine ausreichend hohe Gentransferrate. Ein spezifischer Gentransfer kann auf zwei Wegen erreicht werden. Eine Möglichkeit besteht in der Modifikation der Virushülle zur selektiven Bindung und Infektion der Zielzelle (transduktionales Targeting). Die andere Möglichkeit ist die Beschränkung der Genaktivierung durch vorgeschaltete Promotoren (transkriptionales Targeting). Beide Wege führen zu befriedigenden Ergebnissen. Das größere Problem in der Praxis ist aber, eine ausreichend hohe Gentransferrate zu erreichen.

Bisher eingesetzte Adenoviren waren nicht replikationsfähig und hatten eine deutlich eingeschränkte klinische Wirksamkeit. Aktuelle Studien zur Krebsgentherapie legen nahe, dass die Tumorpenetration des Virus wichtiger Punkt zum Erfolg ist. Virale Replikation mit nachfolgender Freisetzung der Virionen könnte daher zu verstärktem antitumoralem Effekt führen. Folge der viralen Replikation ist eine Onkolyse der Zelle, Freisetzung der neu gebildeten Virionen und nachfolgende Infektion der Nachbarzellen.

Einen möglichen Lösungsansatz bieten konditional replizierende Adenoviren (CRAD). Gezielte Veränderungen im Genom ermöglichen es, die virale Replikation auf Ziel- beziehungsweise Tumorzellen zu beschränken [1] [2]. Die Replikation des Virus zerstört die Tumorzelle und ist also der eigentliche Wirkmechanismus dieser Therapieform. Das Virus vermag auf diese Weise größere Tumoren zu penetrieren und Tumorzellen unter Schonung des umgebenden Gewebes zu zerstören.

Ein Ansatz ist ein neuartiges, replikationskompetentes Virus mit einer 24 Basenpaar Deletion im Bereich des E1A-Genabschnittes, dem ersten Steuerungselement der Virusreplikation: Ad5- Δ24RGD. Dieses Virus kann sich ausschliesslich in Zellen mit defizientem Rb/p16 Zyklus vermehren, welcher in fast allen humanen Karzinomzellen defekt ist, wohingegen normale Zellen nicht defizient sind. Die Spezifität dieses CRAD [3] [4] [5] wurde bereits im Tierversuch nachgewiesen.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass der Adenoviren bindende Zellrezeptor CAR in vielen Tumorzellen vermindert exprimiert ist [6]. Andererseits ist CAR in unterschiedlich starker Ausprägung in allen Epithelien und von Epithelien abstammenden Geweben vorhanden und begünstigt damit den adenoviralen Gentransfer in gesunde Körperzellen, was zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Durch Einbringen eines Integrinbindenden RGD-4C Motivs in den adenoviralen Fiber konnte ein bis zu 30fach stärkerer Gentransfer in CAR-negative und CAR-arme Zellen erreicht werden, was zu einer relativen Akkumulation der Viren im Tumorgewebe führt [7] [8].

Neben erfolgreichen in vitro Versuchen mit Mamma-, Zervix- und Ovarialkarzinom Zelllinien konnten wir zeigen, dass sich Ad5-Δ24RGD ebenfalls effizient in Spheroiden von primären Ovarialkarzinomzellen in vitro repliziert. Dies ist aufgrund der Dreidimensionalität dieses Modells mit primären, unpassagierten Tumorzellen besonders aussagekräftig für spätere Anwendungen in klinischen Studien.

Mittels vier in vivo Versuchen in Mausmodellen mit Ovarial- bzw. Zervixkarzinom Zellinien konnten wir präklinisch die mögliche Bedeutung von Ad5-Δ24RGD für eine onkologische Gentherapie aufzeigen:

Nach intraperitonealer Injektion von Ovarialkarzinomzellen wurden drei Tage später Ad5-Δ24RGD im Vergleich zu den relevanten Kontrollen ebenfalls intraperitoneal injiziert. In diesem disseminiertem Modell führt Ad5-Δ24RGD zu einem signifikant verlängertem Überleben der therapeutisch behandelten Gruppe mit völliger intraperitonealer Tumorfreiheit.

Zwei weitere Versuche wurden mit subkutan injizierten Zervixkarzinomzellen als Modell für metastatische Tumoren durchgeführt. Nach Injektion der Zellen subkutan wurde diesen eine dreiwöchige Etablierungszeit eingeräumt. Anschließend wurden in einem ersten Versuch Ad5-Δ24RGD bzw. die relevanten Kontrollen in Dosen zwischen 3 × 107 und 3 × 1010 Viruspartikeln direkt intratumoral gespritzt. Hierbei zeigte sich schon mit der niedrigsten Virusdosis eine deutliche Inhibition des Tumorwachstums. Im zweiten Versuch wurden die Viren nach Etablierung der Tumoren intravenös appliziert. Während mit einer Dosis von 1010 Viruspartikeln Ad5-Δ24RGD, was exakt der viralen Leberaufnahme bei Mäusen entspricht, wie erwartet kein Effekt nachgewiesen werden konnte, zeigte die um eine Zehnerpotenz höhere Dosis, unabhängig ob als Einzeldosis oder auf drei gleiche Dosen verteilt, eine signifikante Reduktion des Tumorwachstums. Damit konnte nachgewiesen werden, dass Ad5-Δ24RGD effektiv in vivo für metastatische Tumoren eingesetzt werden kann.

Dies konnte mittels eines weiteren Versuches bestätigt werden. Nach erneuter Etablierung von subkutanen Tumoren wurde eine Dosis von 5 × 1010 Viruspartikeln intravenös infiziert. Nach 24 Stunden bzw. sieben Tagen wurden je eine Gruppe von Mäusen getötet und die Tumoren sowie die relevanten Organe entnommen. Anschließend wurden mittels TaqMan-PCR die viralen Kopien pro definierter Menge Gewebe ermittelt. Hierbei zeigte sich, dass initial bereits ein Siebtel der Leberdosis im Tumorgewebe nachgewiesen werden konnte. Damit ließ sich zweifelsfrei feststellen, dass Ad5-Δ24RGD erfolgreich das metastatische Tumorgewebe ansteuert und infiziert. Nach sieben Tagen ließen sich in den Kontrollorganen nur geringe bis keine Virenkopien mehr nachweisen. Im Gegensatz dazu hatte sich die Anzahl der Viruskopien im Tumorgewebe um den 558-fachen Satz erhöht. Somit konnte präklinisch nachgewiesen werden, dass Ad5- Δ24RGD im metastatischen Mausmodell bei intravenöser Injektion gerichtet Tumorgewebe infiziert und nur in diesem Gewebe auch erfolgreich replizieren kann.

Zusammenfassend [9] kann festgehalten werden, dass das onkolytische Adenovirus Ad5-Δ24RGD viel versprechend für die Behandlung gynäkologische Tumoren auch im metastasierten Modell ist.

 Ad5-Δ24RGD repliziert in humanen Ovarial- und Zervixkarzinom Zellinien sowie in primären Ovarialkarzinomzellen und führt zur Onkolyse. Erste Daten bestätigen dies ebenfalls für das Mammakarzinom. Ad5-Δ24RGD erlaubt signifikant verlängerte Überlebenszeiten bzw. Inhibition von Tumorwachstum in Tier-Modellen von Ovarial- und Zervixkarzinomen (p < 0,0001) und repliziert in vivo bevorzugt im Tumorgewebe.

Eine klinische Phase-I-Studie zur Therapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms wird derzeit vorbereitet und soll noch in diesem Jahr beginnen.

Literatur

  • 1 Heise C, Kirn D H. Replication-selective adenoviruses as oncolytic agents.  J Clin Invest. 2000;  105 847-851
  • 2 Alemany R, Balague C, Curiel D T. Replicative adenoviruses for cancer therapy.  Nat Biotechnol. 2000;  18 723-727
  • 3 Fueyo J, Gomez-Manzano C, Alemany R, Lee P S, McDonnell T J, Mitlianga P, Shi Y X, Levin V A, Yung W K, Kyritsis A P. A mutant oncolytic adenovirus targeting the Rb pathway produces anti-glioma effect in vivo.  Oncogene. 2000;  19 2-12
  • 4 Heise C, Hermiston T, Johnson L, Brooks G, Sampson-Johannes A, Williams A, Hawkins L, Kirn D. An adenovirus E1A mutant that demonstrates potent and selective systemic anti-tumoral efficacy.  Nature Med. 2000;  6 1134-1139
  • 5 Suzuki K, Fueyo J, Krasnykh V, Reynolds P, Curiel D T, Alemany R. A conditionally replicative adenovirus with enhanced infectivity shows improved oncolytic potency.  Clin Cancer Res. 2001;  7 120-126
  • 6 Khuu H, Conner M, Vanderkwaak T, Shultz J, Gomez-Navarro J, Alvarez R, Curiel D T, Siegal G P. Detection of coxsackie-adenovirus receptor (CAR) immunoreactivity in ovarian tumors of epithelial derivation.  Appl Immunohistochem Molec Morphol. 1999;  7 266-270
  • 7 Dmitriev I, Krasnykh V, Miller C R, Wang M, Kashentseva E, Mikheeva G, Belousova N, Curiel D T. An adenovirus vector with genetically modified fibers demonstrates expanded tropism via utilization of a coxsackievirus and adenovirus receptor-independent cell entry mechanism.  J Virol. 1998;  72 9706-9713
  • 8 Reynolds P, Dmitriev I, Curiel D. Insertion of an RGD motif into the HI loop of adenovirus fiber protein alters the distribution of transgene expression of the systemically administered vector.  Gene Ther. 1999;  6 1336-1339
  • 9 Bauerschmitz G J, Lam J T, Kanerva A, Suzuki K, Nettelbeck D M, Dmitriev I, Krasnykh V, Mikheeva G V, Barnes M N, Alvarez R D, Dall P, Alemany R, Curiel D T, Hemminki A. Treatment of ovarian cancer with a tropism modified oncolytic adenovirus.  Cancer Res. 2002;  62 1266-1270

Peter Dall

Univ.-Prof. · Heinrich-Heine-Universität

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