Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(15): 799
DOI: 10.1055/s-2004-822876
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kardiovaskuläre Pharmakologie

Cardiovascular pharmacologyU. Ravens, E. Erdmann
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. März 2004 (online)

Prof. Dr. U. Ravens

Prof. Dr. E. Erdmann

Die diesjährige 70. Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung vom 15.-17. April 2003 in Mannheim steht unter dem Zeichen „Kardiovaskuläre Pharmakologie”. Bei der Wahl dieses Themas hatte die Tagungspräsidentin keineswegs die Besprechung spezieller Arzneistoffe mit neuem Wirkmechanismus im Sinn, sondern sie wollte allgemeine Fragen zur Pharmakotherapie diskutiert wissen. Hier einige Beispiele.

Auch der Kardiologe kommt nicht ohne Arzneimittel aus: Sie sind notwendig zur Therapie aktueller Beschwerden und Symptome, zur Primär- und Sekundärprävention. Die rationale Arzneimitteltherapie stützt sich auf die evidenzbasierte Medizin. Ganz zu Recht werden heute neue Therapieverfahren nur dann allgemein akzeptiert, wenn sie ihre Überlegenheit gegenüber Standardverfahren in sorgfältig kontrollierten klinischen Studien bewiesen haben. Auf der Grundlage der evidenzbasierten Medizin werden Leitlinien für die Behandlung bestimmter Krankheitsbilder von Experten erarbeitet. Wie aber geht der Arzt im Einzelfall vor, wenn die leitliniengerechte Therapie so teuer ist, dass unser Gesundheitssystem ihre Finanzierung nicht mehr leisten kann? Und ist nicht gerade auch die evidenzbasierte Medizin mit dafür verantwortlich, dass unsere immer älter werdenden und deshalb multimorbiden Patienten mit viel zu vielen Medikamenten gleichzeitig behandelt werden? Die Übertherapie führt zu völlig unübersichtlichen Verhältnissen mit vermehrten Arzneimittelinteraktionen, nicht vorhersehbaren, meist unerwünschten Wirkungen und einer schlechter Patienten Compliance. Wo bleibt das Augenmaß?

Im Kielwasser der menschlichen Genomforschung haben auch die Erkenntnisse in der Pharmakogenetik rasant zugenommen und finden immer mehr klinische Anwendung. Diese junge Wissenschaft befasst sich mit genetischen Besonderheiten, die eine Bedeutung für Wirkart und Wirkstärke von Medikamenten haben. Polymorphismen in den Enzymen für die Biotransformation von Arzneistoffen beeinflussen die Pharmakokinetik im Sinne eines verlangsamten oder beschleunigten Arzneimittelabbaus und tragen deshalb unmittelbar zum Erfolg einer bestimmten Therapie bei: Verlangsamter Abbau führt zu höheren Wirkspiegeln im Blut und kann Nebenwirkungen auslösen, während beschleunigter Abbau u. U. verhindert, dass überhaupt wirksame Arzneistoffkonzentrationen aufgebaut werden und die Therapie deshalb wirkungslos bleibt. In unserem Schwerpunktheft diskutiert Thomas Eschenhagen die Folgen solcher Polymorphismen für die Therapie mit Betablockern.

Nachdem jetzt die Positivliste mit all den unsäglichen, ungeprüften und kultischen Medikamenten (Cor bovis dextrum, anus bovis) glücklicherweise verschwunden ist, schien sich eine sehr vernünftige Lösung zur Eindämmung der Arzneimittelkosten anzubahnen. Rezeptfreie Medikamente sollten von den Patienten selbst bezahlt werden und nicht mehr von der Solidargemeinschaft. Da die rezeptfreien Medikamente in der Regel bei Befindlichkeitsstörungen und nicht bei schwerwiegenden Erkrankungen verordnet werden, hatte dieser Vorschlag sehr viel für sich. Leider hat der gemeinsame Bundesausschuss nun doch wieder Homöopathika und Anthroposophika dann zur Kostenerstattung durch die Krankenkassen zugelassen, „sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist.” Wieder werden damit durch die Hintertür nicht evidenzbasierte therapeutische Interventionen zur Kostenerstattung akzeptiert. Die wissenschaftlich begründete Pharmakotherapie hat es schwer in diesem Lande!

Wir meinen, dass sich das Nachdenken über die Anwendung von Medikamenten und über die vielen Konsequenzen einer Pharmakotherapie hinsichtlich ihrer Verträglichkeit, ihrer Zumutbarkeit und ihrer Finanzierbarkeit lohnt.

Wir freuen uns auf die 70. Frühjahrstagung in Mannheim!

Prof. Dr. med. Ursula Ravens

Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Technische Universität Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden