Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(16): 909
DOI: 10.1055/s-2004-823039
Pro & Contra

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nierenersatztherapie im Alter - Contra

Renal replacement therapy in elderly - againstG. F. Hillebrand
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eingereicht: 8.12.2003

akzeptiert: 18.3.2004

Publication Date:
08 April 2004 (online)

Ein Gespenst geht um in Deutschland und den westlichen Industrie­nationen: Die Finanzierung der Sozialsysteme speziell der Krankenversorgung ist nicht mehr gewährleistet. Die Kosten für Dialyse und Nierentransplantation betragen schon jetzt 2,5-3 Milliarden Euro pro Jahr (3). Nachwuchspolitiker fordern bereits den Ausschluss von Älteren von bestimmten (kostenintensiven) medizinischen Leistungen.

Nach Angaben von „QUASI-Niere“ lag der Altersdurchschnitt der in 2001 neuaufgenommenen Patienten bei 67 Jahren; davon waren 45 % über 70, 11 % über 80 Jahre alt. Einschließlich Lebendnierenspende (19,1 %) wurden 2002 2325 (2001: 2352) Nieren verpflanzt. Davon wurden 71 Nierentransplantationen (3,1 %) bei über 70-jährigen Empfängern vorgenommen; von den 9300 Patienten auf der Warteliste (Stand Oktober 2003) waren 88 über 70 Jahre alt (0,9 %) (1). Bei der gesamten Eurotransplant-Warteliste nahm von Januar 2001 bis Oktober 2003 die Zahl der über 70-jährigen gelisteten Patienten von 99 (0,8 %) auf 153 (1,2 %) zu. Wenn es ein Problem der Durchführung einer Nierenersatztherapie im hohen Lebensalter gibt, dann handelt es sich um die Altersgruppe der über 75- bzw. über 80-Jährigen. Die polarisierte Diskussion über ein PRO oder CONTRA kann sich nicht nur am Problem der medizinischen Machbarkeit festmachen, vielmehr müssen medizin-ethische Argumente über Allokationsgerechtigkeit bei der Verteilung des nicht ausreichenden Organangebotes bei der Transplantation wie auch das Problem der Multimorbidität der Patienten berücksichtigt werden.

Vor diesem Hintergrund kann die Nierenersatztherapie nur gesondert nach den einzelnen Verfahren: Dialyse auf der einen und Transplantation auf der anderen Seite betrachtet werden. Es besteht ein allgemeiner Konsens, dass eine reine gesundheitsökonomische Betrachtung der Dialyseindikation im hohen Lebensalter aus ethischen Gründen nicht vertretbar ist. Hämodialyse und Peritonealdialyse sind grundsätzlich auch beim alten Patienten mit einer in etwa altersentsprechenden Lebensqualität möglich. Eine verkürzte Lebenserwartung im Vergleich zu nicht niereninsuffizienten Patienten kann a priori kein Argument gegen eine lebenserhaltende Therapie sein. Maßgebend ist hier insbesondere beim multimorbiden Patienten die autonome Entscheidung nach entsprechender Beratung. Kann diese infolge eines zerebralen Abbaus nicht mehr geäußert werden, ist von einer lebensverlängernden Therapie wie der Dialyse abzusehen. Die Frage nach einem Dialyseabbruch bei zunehmenden Leidensdruck und gehäuften Komplikationen wird seitens des Dialysearztes mit Patient und Angehörigen häufig gescheut. Hier ist eine vermehrte Schulung von Ärzten und Pflegepersonal geboten. Die Aufnahme in ein Hospiz sollte häufiger als bisher geplant werden.

Für die Transplantation müssen wir von völlig anderen Gegebenheiten ausgehen: Im Gegensatz zu „jüngeren Patienten” kann bei 75-80-Jährigen nicht von einer lebens-verlängernden Therapie gesprochen werden. Der mögliche Gewinn an Lebensqualität ist fraglich und relativ. Der gut rehabilierte alte Dialysepatient riskiert durch die Komplikationen der Transplantation gerade diesen Rehabilitationsgrad. Die Verteilung eines so limitierten medizinischen Gutes, wie sie Spendernieren darstellen, kann in Anbetracht der Patientenzahlen auf den Wartelisten nicht ausschließlich nach medizinischer Machbarkeit durch Mediziner entschieden werden [4].

Ausgehend von der gelebten natürlichen Lebensspanne des älteren Patienten ist die Transplantation zur Erhaltung der Lebensführungskompetenz nicht von der zentralen Bedeutung wie beim Jüngeren. Daher erscheint Alter als ein Allokationsinstrument bei der Vergabe von Organen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten (2, 5).

Ich bin gegen einen unreflektierten Dialysebeginn bei einem multimorbiden, schwerkranken Patienten ohne Aussicht auf eine altersentsprechende Rehabilitation. Ich bin dagegen, die Möglichkeit eines Dialyseabbruches und Aufnahme in ein Hospiz nicht mit dem Patienten und Angehörigen zu besprechen. Ich bin grundsätzlich gegen eine Nierentransplantation jenseits des 75.-80. Lebensjahres. Ich bin dagegen, durch den unkritischen „Einsatz von Verfahren der Maximalmedizin eine in vielen Fällen nur geringe Lebensverlängerung und kaum eine Verbesserung der Lebensqualität, sondern im Gegenteil ein erzwungenes Leben oder ein verlängertes Sterben zu bewirken.” [2].

Literatur

  • 1 DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation). Organspende und Transplantation in Deutschland.  2002 Neu-Isenburg 2003
  • 2 Fleischhauer K. Altersdiskriminierung bei der Allokation medizinischer Leistungen. Kritischer Bericht zu einer Diskussion. de Gruyter, Berlin, New York In: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik. (Honnefeld L, Streffer C, Hrsg.); 4: 195 - 251 1999
  • 3 Nebel M. Kosten der Nierenersatztherapie. Thieme, Stuttgart In: Dialyseverfahren in Klinik und Praxis; Hrsg. Hörl W. und Wanner C 2003 im Druck
  • 4 Veach R M. Who empowers medical doctors to make allocative decisions for dialysis and organ transplantation. Springer, Berlin In: Organ Replacement Therapy: Ethics, Justice, Commerce. Land W, Dossetor JB (eds.)331 - 335 1991
  • 5 Veach R M. The role of age in allocation. Georgetown University Press, Washington D.C In: Transplantation ethics (Veach RM ed.) 336 - 351 2000

Dr. G. F. Hillebrand

Schwerpunkt Nephrologie, Medizinische Klinik I, Klinikum der LMU Großhadern

Marchioninistraße 15

81366 München