Der Klinikarzt 2004; 33(4): 83
DOI: 10.1055/s-2004-825245
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Können wir mal anhalten? - Gedanken zur Osterreisezeit

W. Hardinghaus1
  • 1Ostercappeln
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Publication Date:
30 April 2004 (online)

Osterzeit - das bedeutet vielleicht auch für Sie die ersten großen Ferien in diesem Jahr. Das heißt aber auch: Schnell noch nach dem letzten Patienten sehen, schnell noch die letzten Briefe diktieren, Kassenanfragen beantworten, eben noch mal Stress mit der Verwaltung, auf dem Nachhauseweg die verpassten Ostergrüße in den Briefkasten werfen, dann die Familie ins Auto laden und ab zum Flughafen zum Sonnenflieger. Acht Tage entspannen, danach gleich die Tagung der Fachgesellschaft - die Manuskripte sind sicherheitshalber im Koffer.

Die andere Seite: Drei Viertel von uns Ärzten beklagen sich laut einer Umfrage über die zunehmende allgemeine Hektik und leiden unter der Schnelligkeit, die uns unter Druck setzt. Spitzenkräfte der Wirtschaft meinen, dass Flugzeug, Auto, Handy und Laptop in immer kürzerer Zeit und immer müheloser Kontakte einbringen. Doch diese Kontakte sind immer weniger Austausch und Begegnung. Städte, die wir durchreisen, bleiben nicht mehr in Erinnerung, weil wir uns nicht mehr mit deren Menschen befassen. Die beschleunigte Globalisierung macht alles auf der Welt gleich, und alles ist jetzt und auf der Stelle - per Internet - zu haben. Nur die Menschen nicht!

Die Casting-Show „Deutschland sucht die Super-Unis” setzt anscheinend vor allem auf Wirtschaft und Technologie. Welche Rolle spielen noch Geisteswissenschaften, spielt der Mensch, die Persönlichkeit? Ganzheitliche Verantwortung übernehmen - wäre das nicht elitär?

Und zur Medizin? Nicht despektierlich will ich hier mit dem notwendigen Fortschritt umgehen. Schließlich sind wir alle Kinder unserer schnelllebigen Zeit und wollen auch davon profitieren. „Faszinierend ist der Gedanke, dass in jedem von uns eine Quelle erneuerbaren Lebens liegt”. Dieser Satz stammt nicht von einem Pfarrer aus der Morgenansprache. Nein, er ist aus dem Gasteditorial von H.J. Gilfrich („Zum Thema”) der letzten klinikarzt-Ausgabe. Und so meint der Autor mit erneuerbarem Leben die Re-Vitalisierung zerstörten Herzgewebes. Faszinierend, weil realistisch und eben nicht ohne den schnellen Fortschritt der Naturwissenschaft möglich. Punktum.

Schon Antoine de Saint-Exupery schrieb: „Man sieht nur mit dem Herzen gut”. Also doch: Das Auge allein kann nicht sehen, das Auge braucht den Verstand, der Verstand braucht die Seele, die Seele braucht das Herz. Und alles braucht ... Zeit.

Tatsächlich aus einer Morgenandacht des Nordwest-Radios stammt die Einsicht von Heinrich Jacob: „In vielen Jahren des Eingespanntseins und wachsender Anforderungen im kirchlichen Dienst habe ich gelernt, unsere Feiertage als Gegen-Zeit' zu begreifen und sie als Lebensquellen zu verstehen”.

Dies wünsche ich uns allen, verehrte Leserinnen und Leser, gerade zu den Osterferien. Nicht nur zum vitalen Schutz des eigenen Herzmuskels: Entdecken wir die so genannte Langsamkeit neu oder halten wenigstens mal an. Ich gebe zu, es fällt mir schwer.

Prof. Dr. W. Hardinghaus

Ostercappeln

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