Aktuelle Dermatologie 2004; 30(12): 584-586
DOI: 10.1055/s-2004-826135
Kleine Kulturgeschichte der Haut
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Antike Weihgeschenke im Blickpunkt der Andrologie

Antique Gifts of Blessing in AndrologyWaltrud  Wamser-Krasznai
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Publikationsdatum:
03. Januar 2005 (online)

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Wer mit wachen Sinnen eine Wallfahrtskirche betritt, wird die Devotionalien in Form von Teilen des menschlichen Körpers gewiss nicht übersehen. Vor allem Augen und Ohren, Arme, Beine oder Herzen schmücken, aus Holz und Wachs, Kunststoff oder dünnem Blech geformt, die Altäre und Bilder wundertätiger Heiliger.

Körperteile nachzubilden und denjenigen höheren Wesen zu weihen, denen besondere Kräfte und Fähigkeiten gegen Not und Krankheit zugeschrieben werden, ist ein uralter Brauch. Schon in prähistorischer Zeit unterstreicht der Besucher eines Heiligtums seine Bitte um Linderung in Schmerz und Leid durch die Dedikation anatomischer Votive. So begegnen uns im Museum von Iraklion auf Kreta Gliedmaßen und andere Teile des menschlichen Körpers aus Terrakotta, die nachweislich bereits im 2. Jahrtausend vor Christus geweiht worden sind[1]. Etwas später formte man sie auch aus edlem Metall oder aus Marmor[2] und stellte somit das verbal vorgetragene Flehen bzw. den Dank für erfahrene Hilfe auf eine anspruchsvolle, greifbare Basis.

Manchem Körperteil kommen darüber hinaus noch andere Funktionen zu. Ein Fuß z. B. dokumentiert die Anwesenheit des Adoranten im Heiligtum; er vertritt gleichsam den Weihenden selbst. Ähnliches gilt für die häufigen Nachbildungen der Hand, die auch unter dem Aspekt der Beschwörung und des Bannens zu sehen sind. Man denke an die Fluchtafeln mit den stets gegen den Betrachter geöffneten Händen, die geeignet waren, den Zorn der Götter auf einen Übeltäter herab zu rufen[3]. In ähnlichem Sinne ,doppelt‘ sind auch die Augendarstellungen zu sehen: einerseits als leidensfähiges Organ, andererseits als magischer Gegenstand. Ohrvotive dagegen appellieren immer auch an die Gottheit als an die „gnädig Erhörende”[4]; das häufig auf Weihinschriften erscheinende Beiwort „epekoos” = erhörend macht dies deutlich.

Nun stellte man in der Antike aber auch solche Körperteile dar, die dem frommen Pilger in Alt-Ötting nicht begegnen. Beim Betrachten eines Terrakottatäfelchens aus dem Asklepieion von Korinth erkennen wir in dem plastisch angegebenen Ohrenpaar ebenfalls einen Appell an den gnädig hörenden Gott. Nur nehmen diese Ohren hier ein männliches Geschlechtsorgan in die Mitte[5]. Dass ein solches Weihtäfelchen als Sinnbild dreier von einer Krankheit befallener Körperteile zu deuten wäre, ist wohl auszuschließen. Vielmehr dürfte sich der Adorant mit seinen Sorgen um die Funktionsfähigkeit des zentralen Organs an den Gott gewandt haben, und zwar, wie die flankierenden Ohren zeigen, an den „gnädig Erhörenden”.

Abb. 1

Abb. 2

Antike Genitalvotive (männliche und weibliche) sind rings um das Mittelmeer gefunden worden, in Heiligtümern, aber vor allem auch in Votivdepots, wo man die Weihgaben rituell niederlegte, um Platz für neue zu schaffen und die alten einem etwaigen profanen Gebrauch zu entziehen. Wie das hier abgebildete männliche Geschlechtsorgan aus Veji, Südetrurien[6], waren die Adressaten meist Vegetationsgottheiten in ländlichen Heiligtümern, die unter verschiedenen Aspekten verehrt wurden. Die Bedeutung solcher Votive ging denn vermutlich auch weit über nahe liegende Aspekte wie die Sorge um Potentia coeundi und andere organspezifische Störungen hinaus. Wir werden hinter diesen Weihungen den Wunsch nach Fruchtbarkeit und Wachstum ganz allgemein sehen dürfen. Sie gelten der Fortpflanzung im weitesten Sinne, dem Schutz und Gedeihen der Nachkommenschaft des Menschen, aber auch der Tier- und Pflanzenwelt, die ihn ernähren.

Unser etruskisch-italisches Votiv zeigt einen halb erigierten, vom Präputium vollständig bedeckten Penis. Einige gelockte Strähnen bezeichnen das Schamhaar. Die Hoden sind sorgfältig modelliert; der linke steht etwas tiefer und ist leicht zurückgesetzt. Rechts sind die Skrotalfalten mit einem flachen Instrument nachgearbeitet.

Die Vorhaut ragt „rüsselartig vor”; „an diesem vorderen Abschnitt ganz leichte zirkuläre Furchen” sind von Stieda als Abdruck der Kynodesme, eines das Präputium abschnürenden Bandes, interpretiert worden [7]. Die phimosenartig bedeckte Eichel hatte auch an eine Darstellung der pathologischen Vorhautverengung denken lassen[8]. Nun sind aber Weihungen krankhaft veränderter Körperteile extrem selten. Wahrscheinlich also folgten die Etrusker dem Schönheitsideal der Hellenen [9]. Zahlreiche Darstellungen auf Vasen zeigen, dass sich der nackt in der Palaistra übende griechische Sportler (gymnos) der Infibulation [10] bediente und die Glans penis mit dem vorgezogenen Präputium „verhüllte”. Dieser Sitte entsprechend sind auch die Genitalvotive der Griechen und Etrusker gebildet, während man auf Zypern und in römischer Zeit die Wiedergabe des membrum virile in vollständig erigierter Form und mit „entblößter” Eichel bevorzugt [11].