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DOI: 10.1055/s-2004-826897
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Zur zukünftigen Perspektive der Universitätskliniken[1]
Academic medicine - a future perspectivePublication History
eingereicht: 3.2.2004
akzeptiert: 6.4.2004
Publication Date:
21 July 2004 (online)
Die Kunst ist lang, das Leben kurz,
das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig.
Handeln ist leicht, Denken schwer,
nach dem Gedanken handeln unbequem.
Der Lehrbrief aus Goethes Wilhelm Meister veranschaulicht mit großer Klarheit und Strahlkraft das immanente Dilemma der Medizin: Die große unüberbrückbare Lücke zwischen Anspruch und Vermögen, zwischen dem Ziel und den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Dies gilt um so mehr für die Hochschulmedizin, in der Forschung, die Versorgung Schwerstkranker und der Betrieb einer Lehrlingswerkstatt vereinigt sind.
Ich möchte Sie einladen, mit mir zusammen die deutschen Universitätskliniken aus der Perspektive eines möglichen Investors zu betrachten. Eines Menschen also, der seine Ressourcen, die er bereit ist einzusetzen, verzinst, also vermehrt sehen möchte. Lassen Sie uns dazu folgenden Fragen nachgehen: Würden Sie in eine Universitätsklinik investieren? Und: Wie stellen Sie sicher, dass sich Ihr Einsatz vermehrt und Wert geschaffen wird?
Zunächst muss man, glaube ich, sehenden Auges konstatieren, dass ökonomisches Denken aus der Wirklichkeit der Universitätskliniken lange aktiv oder passiv ferngehalten wurde. Und das, obwohl dieses Prinzip der Biologie inne wohnt, denn überall dort, wo die Biologie luxuriert, zerstört sie Leben, wie zum Beispiel in einem über die Maßen wuchernden Biotop oder einem Krebsleiden. Als Investor will ich eine Wette auf die Zukunft abgeben, und versuche, mir über die zukünftige Perspektive meines Investitionsobjektes Klarheit zu verschaffen. Ich gehe systematisch vor und prüfe verschiedene Kriterien. Diese sind:
das Geschäftsmodell, das Personal, insbesondere das Management, die Anlagegüter, die finanzielle Ausstattung, die Fähigkeiten, und schließlich der „Track record”, also die Erfolgsgeschichte des zu begutachtenden Investitionsobjekts.
Weiterhin schaue ich auf das Umfeld und versuche, durch direkte Vergleiche, sogenannte Benchmarks, meine Unsicherheit in der Entscheidungsfindung zu minimieren. Gehen wir also vor wie ein Investor und schauen uns die Universitätskliniken näher an.
Beginnen wir mit dem Geschäftsmodell: Universitätskliniken sind in drei Geschäftsfeldern aktiv: in der Lehre, der Forschung und der Krankenversorgung. Diese drei Bereiche sind in den Institutionen durch ein Band, und, wenn man so will, ein Budget unmittelbar miteinander verwoben. Da die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht nur begrenzt, sondern auch gesetzlich limitiert sind, muss die Expansion eines der Bereiche auf Kosten der anderen Bereiche geschehen, sozusagen durch einen internen Verdrängungswettbewerb. Die Kliniken haben teilweise versucht, diese Dynamik durch getrennte Finanzierungsmechaniken voneinander abzugrenzen, jedoch mit nur mäßigem Erfolg. Ein weiterer Versuch besteht darin, die Krankenversorgung aus der Trias herauszulösen und als Großklinikum in selbständiger Rechtsform zu führen. Es bleibt abzuwarten, ob diese meist politisch und nicht strategisch motivierten Maßnahmen zum gewünschten Effekt, einer Dynamisierung und Verbesserung des Geschäftes führen.
Im Geschäftsfeld Lehre wird die nächste Ärztegeneration ausschließlich an den Universitätskliniken ausgebildet. Nach einer nicht nachvollziehbaren gesetzlichen Logik werden seit Jahrzehnten die besten Schüler eines Jahrgangs, das Beste also, was eine Generation zu bieten hat, wenn ich der Abiturnote überhaupt noch irgendeine Bedeutung beimessen will, „kampflos” in die medizinischen Fakultäten geschaufelt. Für einen potenziellen Investor ein immenses Potenzial an Humankapital. Dieses nutzen zu können und damit den Schlüssel für die Zukunft der Medizin im Lande in der Hand zu halten, ist eigentlich eine Ungeheuerlichkeit. 70 % der Kosten, d. h. der Leistungsausgaben der Krankenversicherungen werden direkt vom entscheidenden Arzt veranlasst. Das bedeutet, dass die ärztliche Urteilskraft und die Fähigkeit, sichere Entscheidungen zu treffen, den größten Hebel zur Kontrolle der Kostendynamik im Gesundheitswesen darstellt. Gute, treffsichere Entscheidungen, die auch die ökonomische Dimension der Entscheidungsfolge berücksichtigen, sind letztlich die Lösung des Kostenproblems und nicht dirigistische Kostendämpfungsgesetze. Das bedeutet aber auch, dass die spürbare Dynamik der Leistungsausgaben im Wesentlichen ärztlich verursacht, bzw. durch schlechte ärztliche Urteilskraft bedingt ist. Deshalb gehört die Ökonomie der ärztlichen Entscheidung in die analytische Grundverantwortung der akademischen Lehr- und Ausbildungsstätten.
Ein Viertel eines Jahrgangs an Medizinstudenten beendet das Studium nicht und verlässt den eingeschlagenen Pfad. Dass eine so große Zahl freiwillig, frustriert den Karriereweg verlässt, zeigt in einer weiteren Dimension, dass es um die medizinische Ausbildung nicht gut bestellt ist, was mich als Investor befremdet und irritiert.
In der medizinischen Forschung besteht das Geschäft der Universitätskliniken in der Generierung klinisch-relevanten Wissens. Dies gilt nach meinem Dafürhalten auch oder gerade für die dort durchgeführte Grundlagenforschung. Ich persönlich halte es deshalb für problematisch und bedenkenswert, in den Grundlagen- und theoretischen Fächern Nicht-Ärzten die Verantwortung zu übergeben. Der finanzielle Aufwand für Forschung und Lehre in der Biomedizin in Deutschland ist zwar beträchtlich, aber im Vergleich zu anderen westlichen Ländern eindeutig zu niedrig. In einer Benchmarking Studie der Boston Consulting Group konnte ein Förderdefizit gegenüber den USA von 1,5 Milliarden Euro berechnet werden. Im Vergleich zu den USA wird in unserem Land aber nur 1/5 des Publikationserfolges pro Einwohner erreicht. Auch Israel, Schweden, Kanada oder Großbritannien sind wissenschaftlich eindeutig erfolgreicher. Das ist in dieser dramatischen Signifikanz ernüchternd.
In der Krankenversorgung stellen die 35 Universitätskliniken in Deutschland mit ihren fast 50000 Betten 15 % des gesamten stationären Marktes. 180000 Mitarbeiter setzen pro Jahr 14 Milliarden Euro um. Dies ist ein immenser Block, den keine andere Gruppierung im Gesundheitswesen hat. Dabei ist der Einfluss, den die deutschen Universitätskliniken auf die Systemgestaltung des Gesundheitswesens haben, mehr als gering. Weder die Regelungen zur Ausbildung, noch die innovativ gepriesenen Vergütungsregelungen, das Arbeitszeitgesetz oder die Maßnahmen zur integrierten Versorgung tragen Merkmale universitätsmedizinischen Einflusses. Die Qualität der Krankenversorgung, die eine klassische Wertschöpfung darstellt, ist wohl gut - es liegen aber keine Daten vor. Letztlich können wir nur indirekt, beispielsweise aus dem Interesse, das ausländische Patienten an einer Versorgung in einer deutschen Universitätsklinik zeigen, auf die gute Reputation schließen. Bei uns als Investor macht sich hier Unsicherheit breit, denn es fällt schwer, Risiken und Chancen adäquat einzuschätzen.
Wie aber kann man sich eine Universitätsmedizin vorstellen, in die zu investieren lohnt? Universitätskliniken müssen sich in Zeiten knapper werdenden Ressourcen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: Auf die umfassende Ausbildung der zukünftigen Generation fähiger, entscheidungskräftiger und urteilssicherer Ärzte und auf die Generierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, welche die Basis für die zukünftigen Lösungen ungelöster klinischer Probleme darstellt. Dies kann nur durch eine enge Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen gelingen, die durch Partnerschaftlichkeit und nicht durch Scheu, Argwohn oder Arroganz gekennzeichnet ist. Hier liegt möglicherweise auch ein Schlüssel zur Lösung von Finanzierungsproblemen.
Unerlässlich ist ebenfalls das ständige Bemühen, die Grenzen der klinischen Medizin für und mit dem Patienten auszuweiten. Dies muss in erheblichem Umfang auch die Möglichkeit zum Experimentieren mit Versorgungsformen beinhalten. Nach einer Analyse der eigenen Arbeitsgruppe fallen ca. 60 % der universitätsmedizinischen Diagnosen und Maßnahmen in die Kategorie Standard bzw. Routinefälle, die sich problemlos auch in das Portfolio anderer Krankenhäuser der Maximalversorgung eingliedern ließen, knapp 30 % der Patienten können als Hochleistungsfälle der Supramaximalversorgung angesehen werden und ungefähr 10 % aller Fälle sind letztlich experimentelle Medizin. Dieses Verhältnis, das natürlich abhängig von den umgebenden Strukturen ist und damit in Freiburg anders aussieht als in Hamburg oder Berlin, ist zukünftig nicht durchzuhalten. Die Universitätskliniken müssen sich mittelfristig in kleinere, schlagkräftigere Organisationen wandeln, in denen vor allem Zukunft stattfindet, damit andernorts die Gegenwart besser wird.
Die gezielte und gewollte Diffusion des Wissens muss die Aufgabe der Universitätskliniken sein, ihre vornehmste Leistung und Verpflichtung. Da es sich um eine hoheitliche Aufgabe handelt, muss die Finanzierung seitens des Staates ausreichend gewährleistet werden. Die Wertschöpfung der akademischen Medizin wird, befreit vom Ballast der Routine, klarer und damit auch die Attraktivität für uns Investoren.
Wir brauchen eine neue Vision für die deutsche Universitätsmedizin, und als Hochschullehrer sind wir verpflichtet, diese auch zu kommunizieren. Wir müssen umsetzbare Strategien zur Weiterentwicklung der Kliniken erarbeiten, damit wir den offenen Fragen in der großen Tradition deutscher Medizin international beachtete Antworten entgegensetzen können.
Hoffnungs- und erwartungsvoll fährt auch Goethe im eingangs zitierten Lehrbrief des Wilhelm Meister fort:
Aller Anfang ist heiter,
die Schwelle ist der Platz
der Erwartung.
1 Aus dem Manuskript der Rede anlässlich des festlichen Abends zur Feier „30 Jahre Kardiologie in der Medizinischen Hochschule Hannover”
1 Aus dem Manuskript der Rede anlässlich des festlichen Abends zur Feier „30 Jahre Kardiologie in der Medizinischen Hochschule Hannover”
Univ.-Prof. Dr. med. Matthias P. Schönermark
Professor für Management, Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover
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