Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208(4): 123-125
DOI: 10.1055/s-2004-827217
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Über die zukünftige Entwicklung additiver Überwachungsparameter am Beispiel der fetalen Pulsoxymetrie

M. Butterwegge1
  • 1Marienhospital Osnabrück
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Publication Date:
23 August 2004 (online)

Die Geburt eines gesunden und lebensfrischen Neugeborenen ist das größte Glück für die Eltern und der höchste medizinische Anspruch an Hebammen und Geburtshelfer.

Bei Nichterfüllung dieser Erwartung wird von Seiten der Eltern im zunehmenden Maße durch Einschalten von Rechtsanwälten, Gerichten oder Schlichtungsstellen der Ärztekammern die Überprüfung von Schadenersatzansprüchen angestrebt. Obwohl evidenzbasierte Daten vorliegen, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Kindes intra partum durch den kombinierten Einsatz von Kardiotokographie und Fetalblutanalyse (FBA) zu verhindern sind [11] hat sich die Qualität des geburtshilflichen Managements statistisch anhand der Daten aus den nationalen Perinatalerhebungen in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert.

Nach Angabe der Bundesgeschäftsstelle (BQS) führt jede 4. Geburtsklinik in Deutschland keine Fetalblutanalyse durch und ein als „pathologisch” klassifiziertes CTG bei reifen Kindern in Schädellage am Termin wird lediglich in einem Drittel aller Fälle durch eine FBA abgeklärt [2]. Auch die Erweiterung der Sectioindikation über die Indikation „pathologisches CTG” hinaus hat keine Verbesserung der Parameter Frühmorbidität, Apgar oder Nabelschnur-pH mit sich gebracht.

Die rein visuelle, subjektiv vom Erfahrungsschatz des Geburtshelfers gesteuerte semiquantitative Auswertung der fetalen Herzfrequenz im CTG hat besonders vor Gericht durch fragwürdige oder sich wiedersprechende Gutachten zu medico-legalen Differenzen geführt. Das forensische Risiko und der medizinische Druck für das geburtshilfliche Team ist deutlich gestiegen, während das medizinische Risiko für die Patientinnen in den letzten Jahrzehnten unter anderem durch die Einführung von Standards in deutschen Kreißsäalen gesunken ist [12].

Die Weiterentwicklung additiver Untersuchungstechniken für die intrapartuale Abschätzung fetaler Risikosituationen mit Sauerstoffunterversorgung stand in den letzten 15 Jahren im Focus wissenschaftlicher Forschungsarbeiten. Zahlreiche interessante und im klinischen Ansatz vielversprechende Techniken (wie z. B. Nahinfrarotspektroskopie, Elektroden zur Messung von p02 und pC02, Temperatur) zur kontinuierlichen Messung fetaler Parameter aus den Blutgasen haben neue wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse gebracht, ohne aber in die tägliche Routine eines Kreißsaals etabliert werden zu können [10].

1993 begann im Rahmen einer europäischen Multizenterstudie die Evaluierung der fetalen Pulsoxymetrie bei Risikogeburten mit pathologischen Herzfrequenzmustern im CTG [3] [5] [13]. Ein industriell hergestelltes System benutzt dabei die Absorption von rotem und infrarotem Licht, um das Verhältnis von oxygeniertem zu desoxygeniertem Hämoglobin als sog. Reflexionspulsoxymetrie widerzuspiegeln. Dieses bereits in der Intensivmedizin bewährte Verfahren konnte in Form der Transmissionspulsoxymetrie nicht in die Geburtshilfe eingebracht werden. Erst die Entwicklung eines sterilen und transvaginal applizierbaren Sensors eröffnete die Möglichkeit, an der kindlichen Wange oder am Steiß kontinuierlich die fetale Sauerstoffsättigung (FSp02) mittels Reflexionspulsoxymetrie zu messen. Erste tierexperimentelle und klinische Studien konnten demonstrieren, dass eine ausreichende Sauerstoffversorgung bis zu einem Grenzwert der FSpO2 von >30 % vorliegt [3] [5] [6] [9] [14]. Eine gute Sauerstoffsättigung schließt eine präexistente Azidose nicht aus, sondern beinhaltet lediglich, dass ein signifikanter pH-Abfall wahrscheinlich nicht zu erwarten ist. Somit läßt sich die Frequenz der Fetalblutanalysen während einer Entbindung mit pathologischem CTG zwar reduzieren, jedoch nicht gänzlich vermeiden [13]. Mit Hilfe der Pulsoxymetrie könnte sich die Rate überflüssiger operativer Interventionen wegen falsch positiver hypoxieverdächtiger fetaler Herzfrequenz in etwa dem Ausmaß senken lassen wie bei konsequenter und sachgerechter Anwendung der Fetalblutanalyse. Der Vorteil der Methode besteht in der kontinuierlichen Messung, der für den Feten atraumatischen Applikation und der relativ einfachen Handhabung. Die breite Anwendung der Pulsoxymetrie als zusätzliches Überwachungsverfahren sub partu setzt voraus, dass das Verfahren eine Hypoxämie des Feten mit hoher Sensitivität tatsächlich erfasst und die Entwicklung einer beginnenden Azidose mit hoher Vorhersage treffsicher erkannt und rechtzeitig durch geburtshilfliche Maßnahmen vermieden werden kann.

Als Vorteile dieses Verfahrens können die fehlende Traumatisierung des fetalen Skalps, die geringe Invasivität, gute Praktikabilität und nicht erhöhte fetale oder maternale Morbidität genannt werden [4] [5] [14]. Gerade auch der Wissenszuwachs im Ablauf fetaler physiologischer Parameter und der edukative Charakter bei jungen Geburtshelfern in der Diskussion kritischer fetaler Herzfrequenzen und möglicher klinischer Konsequenzen daraus muss vorrangig gesehen wird. Nachteilig kann eine schwierige Applikation des Sensors oder eine diskontinuierliche Registrierung bei fehlendem Sensor-Haut-Kontakt (z. B. durch Fruchtwasser oder Vernix) sein.

Der historische Rückblick zeigt eine ständige Weiterentwicklung der Technologie von 1993 bis 1996. Die Änderung der Wellenlängen auf 735 nm und 890 nm und die Weiterentwicklung der fetalen Sensoren ermöglichte eine bessere Signalausbeute und exaktere Differenzierung in niedrigen Sättigungsbereichen. Eine Vielzahl von retrospektiv ausgewerteten Studien zeigte Korrelationen zwischen fetaler Sättigung und klinischen Parametern sowie Blutgasanalysen aus dem fetalen Skalp oder der Nabelschnurarterie [3] [14]. Erst die prospektiv angelegte doppelblind randomisierte FDA-Zulassungsstudie in den USA kam zu dem Ergebnis, dass durch den additiven Einsatz der fetalen Pulsoxymetrie eine Reduzierung der Sectiofrequenz wegen der Indikation „pathologisches CTG” um 50 % ohne eine Erhöhung der kindlichen Morbidität oder Mortalität gelang. Dabei betrug die FBA Rate lediglich 5 % (man musste sich also auf die angegebenen FSpO2- Werte verlassen!) und alle intrapartualen Kardiotokogramme wurden standardisiert ausgewertet und einem Audit unterzogen. Gleichzeitig stieg die Zahl der sekundären Sectiones wegen „Dystokie” in der Pulsoxymetriegruppe um 50 % an, so dass die Gesamtsektiorate unverändert blieb. Die Auswertung der Subkollektive zeigte keinen Hinweis auf einen sog. „bias” der Untersucher, denn die klinischen Daten der Neugeborenen waren unbeeinträchtigt [7]. Obwohl die Studie auf einem hohen evidzenzbasierten Level von Ia demonstrieren konnte, dass durch den Einsatz der fetalen Pulsoxymetrie die Sectiorate bei pathologischem CTG ohne Beeinträchtigung der Ungeborenen gesenkt werden kann, versagte das Amerikanische College ACOG den Einsatz in die klinische Routine [1].

Die Marburger Studiengruppe um PD Dr. Maritta Kühnert konnte aktuell in einer klinikinternen prospektiven Studie jedoch den Nachweis führen, dass eine Reduktion der Rate operativer Entbindungen um 50 % bei sog. „pathologischem CTG” durch den Einsatz der fetalen Pulsoxymetrie gelingt. Die Anzahl der notwendigen Fetalblutanalysen konnte in der Testgruppe signifikant um 50 % gesenkt werden und die Rate an Spontangeburten stieg statistisch signifikant an. Die Anzahl der Dystokien zeigte keinen statistischen Unterschied in einer Kontroll-versus einer Testgruppe [8].

Die Globalisierungsbestrebungen großer industrieller Konglomerate führte zu einem mehrfachen Verkauf von Nellcor über Mallinckrodt zu Agilent/Philips und anschließend an den US- Mischkonzern Tyco. Dieses ausschließlich auf Profit orientierte Unternehmen führte alle Ausgaben für wissenschaftliche Aktivitäten und Forschungen zurück. Dies führte dazu, dass keine Weiterentwicklung des Sensorensystems mehr erfolgte. Beim Studium wissenschaftlicher Programme erkennt man unschwer, dass wenige klinische Einzelkämpfer verblieben sind, um gute und valide klinische Daten zu diskutieren [4].

Die Zukunft der fetalen Pulsoxymetrie sieht der Autor in der Integration einer computerunterstützten CTG-Analyse mit quantitativer Auswertung aller Herzfrequenz-Parameter. Die objektiv gute und sichere fetale Überwachung im Kreißsaal gelingt vermutlich mit einer validen PC-gestützten Erkennung der Herzfrequenzmuster. Aufgrund der großen elektronischen Gedächtnisfunktion mit automatischer Reproduzierbarkeit kann eine standardisierte Anwendung mit objektiver Interpretation vorgenommen werden. Durch rechtzeitige Alarme mit Warnmenüs kann der organisatorische Ablauf einer Entscheidungsfindung über den Geburtsablauf zeitlich entspannter erfolgen. Besonders die Berücksichtigung von Oszillationsmustern und Dezelerationsflächen in Kombination mit der transcutan gemessenen fetalen Sauerstoffsättigung kann die Abschätzung der fetalen Sauerstoffreservekapazität bei falsch positiven Herzfrequenzmustern sicherer machen.

Auf diesem Wege eröffnet sich vielleicht wieder die Möglichkeit, die Sectiorate bei falsch positivem CTG wieder zu reduzieren und die praktische Ausbildung in der CTG- Interpretation zu fördern.

Literatur

  • 1 ACOG Committee Opinion. Number 258, September 2001. Fetal pulse oximetry. Obstet Gynecol 2001 98(3): 523-4
  • 2 BQS: Qualität sichtbar machen. Jahresreport 2002
  • 3 Butterwegge M. Fetal pulse oximetry and non-reassuring heart rate.  Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 1997;  72 S63-66
  • 4 Butterwegge M, Seelbach-Gobel B, Kühnert M. Fetal pulse oximetry during risk deliveries in German clinics - a representative national survey in 81 obstetric departments.  Z Geburtshilfe Neonatol. 2002;  206(3) 83-87
  • 5 Carbonne B, Langer B, Goffinet F, Audibert F, Tardif D, Le Goueff F, Laville M, Maillard F. Clinical importance of fetal pulse oximetry. II. Comparative predictive values of oximetry and scalp pH. Multicenter study.  J Gynecol Obstet Biol Reprod (Paris). 1999;  28(2) 137-44
  • 6 Dildy G A, Thorp J A, Yeast J D, Clark S L. The relationship between oxygen saturation and pH in umbilical blood: implications for intrapartum fetal oxygen saturation monitoring.  Am J Obstet Gynecol. 1996 Sep;  175(3 Pt 1) 682-7
  • 7 Garite T J, Dildy G A, McNamara H, Nageotte M P, Boehm F H, Dellinger E H, Knuppel R A, Porreco R P, Miller H S, Sunderji S, Varner M W, Swedlow D B. A multicenter controlled trial of fetal pulse oximetry in the intrapartum management of nonreassuring fetal heart rate patterns.  Am J Obstet Gynecol. 2000;  183 1049-58
  • 8 Kühnert M. Habilitationsschrift Universität Marburg. Persönl. Mitteilung. 2004
  • 9 Porter M L. Fetal pulse oximetry: an adjunct to electronic fetal heart rate monitoring.  J Obstet Gynecol Neonatal. 2000 Sep-Oct;  29(5) 537-48
  • 10 McNamara H M, Dildy G A 3rd. Continuous intrapartum pH, pO2, pCO2, and SpO2 monitoring.  Obstet Gynecol Clin North AM.. 1999;  26(4) 671-93
  • 11 Saling E. Fetal scalp blood analysis.  J Perinat Med. 1981;  9 165
  • 12 Sammlung von Grundsatzpapieren. PerinatalMedizin 1989 9
  • 13 Seelbach-Göbel B, Huch R, Luttkus A, Saling E, Vetter K. Podiumsgespräch: Ist die Pulsoxymetrie ein Gewinn für die Überwachung des Feten sub partu?.  PerinatalMedizin. 1998;  Abstract Volume 10 Issue 3 77-80
  • 14 Seelbach-Gobel B, Heupel M, Kuhnert M, Butterwegge M. The prediction of fetal acidosis by means of intrapartum fetal pulse oximetry.  Am J Obstet Gynecol. 1999;  180 73-81

Prof. Dr. med. Michael Butterwegge

Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie

Perinatalzentrum im Marienhospital Osnabrück

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