RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-2004-828511
Die Medizin ist um eine große Persönlichkeit ärmer geworden: Zum Tode von Thure von Uexküll
Medicine has Lost a Great Man: The Death of Thure von UexküllPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
19. Oktober 2004 (online)
Am 29. September 2004 starb Thure von Uexküll im Alter von 96 Jahren in Freiburg. Aus einer baltischen Familie stammend, wurde er am 15. März 1908 in Heidelberg geboren. Sein Medizinstudium schloss er 1935 in Hamburg ab. Seine internistische Weiterbildung an der Charité Berlin wurde stark geprägt durch G. v. Bergmann. Ab 1955 war er Direktor der Medizinischen Poliklinik an der Universität Gießen, ab 1966 hatte er den Lehrstuhl für Innere Medizin mit Schwerpunkt Psychosomatik an der Universitätsklinik Ulm inne. Nach der Emeritierung 1976 setzte er seine wissenschaftlichen Arbeiten in seinem Haus in Freiburg bis zu seinem Tod fort.
Schon in den frühen Schriften von Thure von Uexküll wird sehr deutlich, dass sein Interesse nicht nur auf naturwissenschaftliche, sondern auch auf psychologische und erkenntnistheoretische Fragen der Medizin ausgerichtet war. Beeinflusst durch das Werk seines Vaters, des Biologen Jakob von Uexküll, entwickelte er seine wissenschaftstheoretischen Ansätze. Diese sind stark bestimmt durch Konstruktivismus, Systemtheorie und Semiotik. Thure von Uexküll verfolgte zeitlebens die Vision einer Überwindung des Dualismus von Leib und Seele im Sinne einer ganzheitlichen Medizin. Er kämpfte für eine gleichrangige Berücksichtigung psychischer und sozialer Aspekte in der Diagnostik und Therapie aller Fachgebiete der Medizin.
Die Verdienste von Thure von Uexküll für die Entwicklung der Psychosomatik sind vielfältig und nachhaltig. Mit seinen zahlreichen Büchern und Schriften, und hier vor allem mit dem Standardwerk Psychosomatische Medizin und dem gemeinsam mit W. Wesiack verfassten Buch Theorie der Humanmedizin hat er erheblich zu der Verbreitung psychosomatischer Erkenntnisse beigetragen. Ein zentrales Anliegen für ihn war die Frage der Gestaltung des Zugangs zum Patienten. Er vertrat den Anspruch, dass der Arzt seiner Verantwortung nur gerecht werden kann, wenn es ihm gelingt, eine „gemeinsame Wirklichkeit” mit seinem Patienten herzustellen. Um dies Ärzten zu vermitteln, hielt er eine Neugestaltung des Medizinstudiums für erforderlich. So hatte er wesentlichen Anteil an der erfolgreichen Implementierung der Psychosozialen Fächer in das Medizinstudium im Rahmen der Approbationsordnung von 1970. Er war Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM). 1992 gründete er die Akademie für Integrierte Medizin (AIM).
Begeisterungsfähigkeit, Neugier und Offenheit, Beharrlichkeit und Konfliktbereitschaft - wenn die ihm wichtigen Überzeugungen infrage gestellt waren - und eine unglaubliche Schaffenskraft bis ins hohe Alter zeichneten ihn als Person mit großem Charisma aus. Noch bis wenige Tage vor seinem Tod diskutierte er Patientengeschichten mit Kollegen. Er besaß aber auch eine ausgeprägte Fähigkeit sein Leben zu genießen und nicht zuletzt das machte ihn so liebenswert.
Die Medizin ist um eine große Persönlichkeit und einen herausragenden Arzt ärmer geworden. Sein Werk wird weiter leben. Wir werden ihn sehr vermissen.
Prof. Dr. Dr. Uwe Koch
Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie · Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg