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DOI: 10.1055/s-2004-831856
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Präoperative kardiovaskuläre Risikoeinschätzung
Zum Beitrag aus DMW 22/2004Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
28. September 2004 (online)
Die aktuelle Übersicht des kardiovaskulären Operationsrisikos [1] zeigt, dass die erstrangige postoperative Komplikation der Herzinfarkt und dessen wesentlicher patientenbezogener Risikofaktor die koronare Herzkrankheit ist. Die Bedeutung der Koronarinsuffizienz und ihre Einschätzung nach rein klinischen Parametern wurden schon 1975 in dieser Zeitschrift publiziert [2]. Erstmals wurde hier an einer größeren Fallzahl die für den postoperativen Myokardinfarkt entscheidende Trias Koronarinsuffizienz + intraoperativer Blutverlust + früh-postoperative Stressperiode aufgezeigt. Daraus wurde geschlossen, dass eine perioperative Betarezeptorenblockade das postoperative Infarktrisiko senken könnte.
Nach dem günstigen Ergebnis einer Pilotstudie mit Practolol an 20 Patienten [3] [4] wurde eine prospektive, geschichtet randomisierte, einfach-blinde, plazebokontrollierte Studie an 101 kardialen Risikopatienten mit Gefäßrekonstruktionen oder Beinamputationen durchgeführt [5]. 120 mg Oxprenolol täglich wurden ≥ 2 Tage präoperativ und ≥ 7 Tage postoperativ 46 Patienten verabreicht, falls p. o. nicht möglich, alternativ 6 mg i. v. Die Vergleichsgruppe erfasste 53 Patienten. Das Ergebnis war im Wesentlichen jenem der DECREASE-Studie [6] vergleichbar: In der Verumgruppe erlitt ein Patient einen postoperativen Myokardinfarkt, der letal verlief, in der Vergleichsgruppe acht Patienten (p < 0,05); drei verliefen letal. Insgesamt 10 kardiale postoperative Komplikationen (letal und nicht-letal) traten bei fünf Patienten unter Oxprenolol auf, versus 31 bei 16 Fällen unter Plazebo (p < 0,025). Insgesamt verstarben postoperativ drei Patienten bei Betarezeptorenblockade (1 AMI, 1 Herzversagen bei Sepsis, 1 hämorrhagischer Schock nach Hämatemesis), sechs Patienten der Vergleichsgruppe ( 3 AMI, 3 Herzversagen; n. s.) und zwei Dropout-Fälle mit präoperativem Abbruch der Oxprenolol-Medikation. Auch diese Studie ergab eine Korrelation zwischen kardialen Komplikationen und einer Tachykardie in der früh-postoperativen Periode. 6 mg Oxprenolol i. v. waren nicht immer ausreichend wirksam. Deshalb wurde damals empfohlen, die Herzfrequenz postoperativ zwischen 70 und 100/min einzustellen. Von Poldermans et. al. [6] wurde postoperativ bei intravenöser Gabe von Bisoprolol die Reduktion der Herzfrequenz unter 80/min im Studienplan festgelegt.
Nach allen, jahrzehntelangen Erfahrungen treten bei entsprechender Risikokonstellation Myokardinfarkte während der ersten postoperativen Tage auf. Auch eine Betarezeptorenblockade allein während dieser kritischen Phase sollte eine kardioprotektive Wirkung erzielen.
Obwohl Wirkung und Sicherheit der perioperativen Betarezeptorenblockade heute nicht mehr bezweifelt werden [7], wird diese Prophylaxe nicht allgemein eingesetzt. Auch ohne aufwändige präoperative Diagnostik ist eine großzügige Indikationsstellung angezeigt [7]. Die Empfehlung, Risikopatienten, die ohne Vorbehandlung operiert werden, nur während des postoperativen stationären Aufenthalts frequenzkontrolliert zu behandeln, könnte die Akzeptanz der Methode fördern.
Literatur
- 1 Cremers B, Maak C, Böhm M. Präoperative kardiovaskuläre Risikoeinschätzung - Diagnostik. Dtsch Med Wochenschr. 2004; 129 1256-1259
- 2 Vormittag E, Kohn P, Zekert F, Grabner H. Risikofaktoren des postoperativen Myokardinfarktes. Dtsch Med Wochenschr. 1975; 100 1365-1368
- 3 Vormittag E. Die Beeinflussung kardiovaskulärer Komplikationen durch Betarezeptorenblockade. Wien klin Wschr. 1974; 86 474-476
- 4 Vormittag E. Postoperative myocardial infarction (Letter to the editor). Circulation. 1975; 51 396
- 5 Vormittag E. Kardiale Komplikationen in der Chirurgie: Prognose, Pathogenese, Prophylaxe. Springer, Wien, New York ISBN 3 - 211 - 81 516 - 3; ISBN 0 - 387 - 81 516 - 3 (New York, Wien) 1979: 87
- 6 Poldermans D, Boersma E, Bax J J. et al . The effect of bisoprolol on perioperative mortality and myocardial infarction in high-risk patients undergoing vascular surgery. Dutch Echocardiographic Cardiac Risk Evaluation Applying Stress Echocardiography Study Group. N Engl J Med. 1999; 341 1789-1794
- 7 Cremers B, Maak C, Böhm M. Präoperative kardiovasuläre Risikoeinschätzung -Therapie. Dtsch Med Wochenschr. 2004; 129 1260-1264
Dr. Erich Vormittag
Facharzt für Innere Medizin
Thaliastraße 2-/5
A-1160 Wien