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DOI: 10.1055/s-2004-831858
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Management kardiovaskulärer Erkrankungen
Management of cardiovascular diseasesPublication History
Publication Date:
30 September 2004 (online)
Was hat über den Tag hinaus Bestand in Diagnostik und Therapie der kardiovaskulären Erkrankungen? Auf dem Weg zum gesicherten Bestand spielen zwar das Lehrbuch und das Handbuch noch eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur Medizin des letzten Jahrhunderts singen die Fachgesellschaften heute über „guide-lines” das hohe Lied der „evidence-basierten Medizin” (EBM). Gar nicht so selten reden wir von EBM und betrachten nur vordergründig den Einzelfall („individual based medicine”), was a priori nicht falsch sein muss. Oder wir unterwerfen uns angeblichen Standards, die von den Landessitten („culture based medicine”), eigenen Vorlieben („belief based medicine”), dem Markt („money based medicine”) oder der Meinung von „opinion-leaders” („opinion based medicine”) beeinflusst sind. Nicht alles, was unter dem Flaggschiff EBM segelt, ist wirklich in doppelt blind randomisierten Studien validiert. Und manches lässt sich auch nicht, bevor es in der DRG-Welt in Behandlungspfade umgesetzt wird, randomisiert und doppelt blind evaluieren.
Dies gilt für viele Aspekte des Themas „Inflammation als pathogenetisches Prinzip kardiovaskulärer Erkrankungen” - einer der vier Schwerpunkte der diesjährigen Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - das sich in diesem Heft der DMW wiederfindet. R. Kandolf gibt einen fundierten, systematischen Überblick über die Virusätiologie der Kardiomyopathien. Seine Erfahrungen kommen der EBM nahe und sind gleichwohl auch „opinion based medicine”. S. Pankuweit et al. zeigen exemplarisch („individual based medicine”) anhand der Kasuistik einer Parvo B19-positiven Myokarditis diagnostische und therapeutische Möglichkeiten. Die diagnostische PCR-Bestimmung auf kardiotrope Erreger und der Nachweis einer Entzündungsreaktion im Myokard stellen die Plattform für eine ätiopathogenetisch begründete Diagnose dar, so das Credo der Autoren. Therapiestudien wie die Myokarditistherapiestudie im Kindesalter, die ESETCID-Studie (Marburg, dreiarmig (Imurek/Cortison, Immunglobuline oder Interferon, doppelt blind randomisiert)) und die BIC-Studie (Berlin, Interferon alpha bei viraler Kardiomyopathie) werden dadurch erst möglich. Dies gilt auch für die heute immer besser verstandene Rolle des Immunsystems bei der peri- und epikardialen Entzündung (Lamparter et al.). Für die Perikarditis, aber nicht für die Myokarditis, hat die European Society of Cardiology als erste internationale Gesellschaft Empfehlungen für deren Management veröffentlicht (Eur Heart J 2004; 25: 587 - 610).
Die Magnetresonanztomographie (Schulz-Menger et al.) hat neben der Echokardiographie einen etablierten Platz in der Funktionsdiagnostik der Kardiomyopathien erhalten. Für das Imaging der Entzündung bei Myokarditis ist sie wissenschaftlich und klinisch hochinteressant, aber noch auf dem Weg von „individual based medicine” zur „evidence based medicine”. Komplex ist die Pathogenese der Transplantatvaskulopathie: Immunpathogenese vs. Infektion mit CMV ist eine noch immer aktuelle Kontroverse, wie Baron et al. in ihrem Beitrag ausführen, also auch hier noch nicht ausschließlich EBM.
Ein gelungenes Bespiel der Umsetzung von evidenzbasierten Leitlinien beim ST-Elevations-Myokardinfarkt (STEMI) stellt der Beitrag von Schneider et al. dar. Durch Netzbildung mit Krankenhäusern der Primärversorgung konnten über 90% der Patienten mit transmuralem Infarkt in der Prähospital- und Hospitalphase gleichermaßen mit einem GP-IIb/IIIa-Antagonisten versorgt und anschließend einer auch langfristig erfolgreichen interventionellen Therapie zugeführt werden.
Welche dieser neueren Erkenntnisse werden nun über den Tag hinaus Bestand in Diagnostik und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen haben? Darf nur durch EBM gesichertes Wissen dazu gezählt werden? Was ist mit ärztlicher Kunst und patientenbezogener Empathie? Spielt nur die pathophysiologisch begründete Therapie eine wesentliche Rolle bei der beabsichtigten Heilung? Bei einer Antwort auf diese Fragen muss zwischen Situationen bei ernsthaften Erkrankungen und eher nur belästigenden Befindlichkeitsstörungen unterschieden werden. Schworen noch vor kurzem viele Patienten (und Ärzte!) als Anhänger der „Erfahrungsmedizin”, die keine EBM nötig hatte, auf die unglaubliche Wirksamkeit von Phytopharmaka und anderen eigentlich rezeptfreien Heilmitteln, so werden diese nach Ausklammerung aus der Erstattungsfähigkeit durch die Kassen jetzt kaum noch genommen bzw. verordnet. Was lehrt uns dies? Vor allem die eigenen Kosten spielen auch in der Medizin wohl doch eine größere Rolle als Glaube und vermeintliches Wissen.
Prof. Dr. Bernhard Maisch
Klinik für Innere Medizin - Kardiologie
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