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DOI: 10.1055/s-2004-832634
Der mit Risiken behaftete Wunsch nach Sectio
The Hazardous Wish for a Caesarean SectionPublication History
Publication Date:
27 October 2004 (online)
Trotz offensichtlich bestehender begrenzter finanzieller Ressourcen im Gesundheitswesen reißt die Diskussion um die Sectio caesarea ohne medizinische Indikation (sog. „Wunschsectio“) nicht ab. Das ist deshalb verwunderlich, weil viele Frauenärzte zu Recht von den Kassen und den Politikern sowie den Trägern der Kliniken im Rahmen des Budgets einfordern, dringlich erforderliche medizinische Maßnahmen zur Behandlung von Mutter oder Fet zu finanzieren.
Dass zum Beispiel der Wirkstoff Atosiban® zur Behandlung der vorzeitigen Wehentätigkeit nach derzeitigem Wissensstand das Mittel der Wahl ist, steht außer Zweifel. Trotzdem scheuen sich viele von uns, diesen Wirkstoff im Hinblick auf die hohen Kosten und eine so genannte „Budgetüberschreitung“ zu verabreichen.
So mag für manchen von uns die Überlegung vorhanden sein, statt einer teuren personalintensiven spontanen Geburtshilfe der kostensparenden (weil personalsparenden) und erlössteigernden Sectio-Geburtshilfe den Vorzug zu geben, um damit einen Ausgleich des Budgets zu erzielen.
Nach der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung [1] wurden 23,4 % aller Kaiserschnitte unter der Indikation „Sonstiges“ durchgeführt (pathologisches CTG 21,7 %, BEL 15,6 %, relatives Missverhältnis 12,5 %), und das, obgleich 24 (!) medizinische Indikationen zum Ankreuzen angeführt sind. Auch wenn in diesen 23,4 % „Sonstiges“ noch andere Indikationen neben der Sectio ohne medizinische Indikation enthalten sind, passiert hier in Bayern, aber auch im gesamten Bundesgebiet, etwas, was Juristen mit dem hässlichen Wort „Leistungserschleichung - Versicherungsbetrug“ kennzeichnen. Denn tatsächlich dürfen Ärzte nach der Reichsversicherungsordnung nur die Behandlungen durchführen, die „der Sicherung einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten“ erforderlich sind. Die Sectiofrequenz ist in Bayern im Jahr 2003 auf 27,5 % angestiegen und wir alle wissen, dass in einem durchschnittlichen Versorgungszentrum aus medizinischen Gründen die Gesamtsectiofrequenz 15 - 18 % nicht überschreiten muss. Manch einer von uns hat bei der Verschlüsselung der Sectio unter „Sonstiges“ auch deshalb ein gutes Gefühl weil er glaubt, dem Wunsch der Frauen nach „selbstbestimmter Geburt“ als moderner frauenorientierter Geburtshelfer nachkommen zu müssen. Warum lassen sich einige von uns manipulieren, obwohl es doch nur erforderlich wäre der Schwangeren mitzuteilen, dass sie auf diese Leistung versicherungsrechtlich keinen Anspruch hat, und dass sie demzufolge und aus zu fordernder und zu erwartender Rücksicht auf die Interessen der Solidargemeinschaft diese Wunschleistung privat finanzieren muss. Juristen fordern von uns dieses Gespräch im Rahmen der so genannten „Aufklärung zur Wunschsectio“ mit der Schwangeren zu führen.
Im Jahr 1998 haben wir anhand der Nürnberger Zahlen aus unserer Abteilung Decentrales Controlling/Ressourcensteuerungermittelt, dass hochgerechnet auf die Bundesrepublik Deutschland jede 1%-ige Steigerung der Sectiofrequenz die Solidargemeinschaft (ohne Berücksichtigung eventueller Folgekosten, z. B. aus sekundärer Sterilität u. a.) 22 Mio. DM kostet [2]. Nachdem einige Krankenkassen vermutet oder gehofft hatten, dass sich die steigenden Ausgaben für die Sectio-Geburtshilfe „mischkalkulatorisch“ für die Gesamtausgaben nicht oder nur wenig bemerkbar machen würden, zeigt sich jetzt, dass der medizinische Dienst der Krankenkassen zunehmend die Indikation zur Sectio im Einzelfall hinterfragt und auch vor Veröffentlichungen in der Tagespresse nicht zurückschreckt [3]. Es darf nicht sein, dass medizinische Dienste der Krankenkassen Behandlungsmaßnahmen in Zweifel ziehen. Das setzt aber voraus, dass wir Geburtshelfer den Politikern und Versicherungsträgern gegenüber glaubwürdig bleiben. Diese Glaubwürdigkeit stellen wir in Zweifel, wenn in einer durchschnittlichen Versorgungsklinik z. B. Sectiofrequenzen deutlich über 30 % liegen.
Von einigen Krankenkassen wurde angedeutet, dass auch eine Kontingentierung der Fallpauschale Sectio denkbar wäre oder aber auch, dass die Hebammengeburtshilfe zur Regelgeburtshilfe wird und ärztliche Inanspruchnahme über einen besonderen Risikokatalog indiziert werden muss. Kontingentierung einer medizinischen Leistung können und dürfen wir uns nicht aufdrängen lassen.
Zum Abschluss noch ein medizinischer und ein ethischer Aspekt: Es ist befremdlich, wenn, wie zur Zeit der Gesundheitsminister von Katar durch Deutschland reist, um sich zu erkundigen, wie die steigende mütterliche Sectiomortalität in Katar (ca. 600.000 Einwohner) eingedämmt werden kann. Die Durchschnittsfamilien in Katar hat mehr als drei Kinder und bei einer angloamerikanisch beeinflussten Geburtshilfe erscheint in diesem Land die steigende mütterliche Sectiomortalität nicht mehr hinnehmbar zu sein. Der Zusammenhang zwischen Mortalität und Morbidität im Zustand nach Sectio wird von keinem von uns bestritten. Im Zustand nach Sectio mit eingetretener Komplikation befindet sich jede Frau und jeder Fet in Lebensgefahr und wir wissen, dass dieses Ereignis in 1 - 2 % der Fälle eintritt. Wir wünschen uns wieder mehr Kinderreichtum in Deutschland, aber doch nicht um den Preis einer steigenden Müttersterblichkeit!
Und der ethische Aspekt: Ich möchte mir als Geburtshelfer - gleich von wem - nicht sagen lassen, ich hätte dem Budget, das für Frauenheilkunde zur Verfügung steht, Geld für Frauen in jungen Jahren unter fehlenden oder fragwürdigen medizinischen Indikationen entnommen - Geld das ihnen später im höheren Lebensalter zur Behandlung geriatrischer und maligner Erkrankungen nicht mehr im erforderlichen Ausmaß zur Verfügung steht. Seit Anfang dieses Jahres werden Behandlungsmaßnahmen bei ungewollter Kinderlosigkeit nur hälftig durch die Kassen finanziert. Wir wollen wieder mehr Kinder in Deutschland und halten ungewollte Kinderlosigkeit für eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Aber wie sollen wir als fortpflanzungsmedizinisch orientierte Frauenärzte die Forderung nach vollständiger Kostenübernahme durch die Kassen vertreten, wenn wir andererseits als Geburtshelfer medizinisch unvertretbar aus dem gemeinsamen Topf Geld für medizinisch nicht erforderliche Kaiserschnitte entnehmen? Wir alle haben doch erkannt, dass medizinische Leistungen rationiert werden, jetzt geht es darum, dass wir die Rationierung uns nicht aufdrängen lassen, sondern aufgrund unserer Sach- und Fachkompetenz darüber entscheiden, wo die Finanzierung durch die Kassen sichergestellt werden muss und wo dem Patienten Selbstbeteiligung zugemutet werden kann.
Vor allem die Leistungsträger in der Geburtshilfe sind gegenüber Politikern, Krankenkassen, Verwaltungen, aber auch Hebammenverbänden und Frauenorganisationen sowie Medien glaubwürdiger, wenn sie die Sache vertreten, die sie medizinisch/wissenschaftlich erlernt haben. Solange modische Trends nichts kosten und keinem schaden, sollten wir uns großzügig zeigen. Aber wir sollten nicht manipulierbar und dadurch angreifbar werden. Für den Fall der Sectiogeburtshilfe ohne medizinische Indikation heißt das, dass wir versuchen sollen, die Erstsectio an jungen gesunden Frauen mit eutrophen Feten in Schädellage am Termin zu vermeiden.
So ist die Sectio ohne medizinische Indikation (Wunschsectio) ein für alle Beteiligten risikobehaftetes Unternehmen: Für die Schwangere sowohl anlässlich der Erstsectio, vor allen Dingen aber für den „Zustand nach Sectio“ als medizinisches Problem, für den Geburtshelfer risikoreich, was seine Glaubwürdigkeit gegenüber seinen Patientinnen und Versicherungsträgern angeht: Hier droht durch Rationierung der Fallpauschale Sectio, dass Frauenärzte in ihren geburtsmedizinischen Entscheidungen fremdbestimmt werden. Risikobehaftet ist die Sectio ohne medizinische Indikation, aber auch für die Solidargemeinschaft der Versicherten, weil diese das Problem vor allem der chronisch Kranken und alten Menschen mit den vorhandenen Ressourcen lösen muss.
Literatur
- 1 BAQ, Qualitätsbericht Geburtshilfe, Jahresauswertung 2003.
-
2 Feige A. Sectio caesarea: Wirtschaftliche Aspekte. In: (Hrsg Huch A., Chaoui R., Huch R.)
Sectio caesarea. UNI-MED Verlag AG Bremen; 2001 - 3 Taz Bremen Nr. 7371 vom 01.06.2004, Seite 21, 168, TAZ-Bericht Eiken Bruhn: „Den Ärzten aufs Skalpell geschaut".
Prof. Dr. med. Axel Feige
Leitender Arzt, Frauenklinik II
Schwerpunkt Geburtshilfe
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