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DOI: 10.1055/s-2004-835261
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Angst und Angstmanagement bei Patienten mit implantiertem Kardioverter-Defibrillator
Anxiety and management of anxiety in patient with implanted cardioverter-defibrillatorsPublikationsverlauf
eingereicht: 18.2.2004
akzeptiert: 8.7.2004
Publikationsdatum:
14. Oktober 2004 (online)
Der implantierbare Kardioverter-Defibrillator (ICD) ist eine hocheffektive Methode zur Prävention des plötzlichen Herztodes bei Patienten, die Episoden schwerwiegender ventrikulärer Tachykardien (VT) überlebt haben [22], aber auch bei Patientengruppen, die mit einem hohen potenziellen Risiko zur Auslösung ventrikulärer Tachykardien belastet sind [31]. Das kürzlich publizierte Multicenter Automatic Defibrillator Implantation Trial II (MADIT II) erreichte eine relative Risikoreduktion der Gesamtsterblichkeit von 31 % (absolute Reduktion von 5,6 %) bei Patienten im chronischen Infarktstadium bei einer Auswurffraktion von < 30 %, was wesentlich zu der Empfehlung einer prophylaktischen ICD-Therapie in dieser weit verbreiteten Patientengruppe durch die AHA beigetragen hat [15].
Gegenwärtig stehen einer weiteren Verbreitung dieser Technologie wohl eher Kostenerwägungen [35], aber möglicherweise auch Bedenken in Bezug auf subjektive Technologiefolgen [4] [29] [39] entgegen. Das britische National Institute for Clinical Excellence (NICE) hat die Empfehlung einer verstärkten Nutzung der ICD-Technologie in der Behandlung von Risikopatienten kürzlich mit der Aufforderung zur Entwicklung eines „….rehabilitative approach to aftercare, which includes psychological preparation for living with an ICD” verknüpft [34].
Patienten mit einem ICD sind körperlich schwerkranke Menschen, die nicht selten einen traumatisierenden Krankheitsverlauf mit Herzstillstand, anschließender Reanimation und anhaltender existentieller Bedrohung erlebt haben. Bei anderen Patienten hat sich die Erkrankung schleichend und zunehmend dekompensierend entwickelt. Viele dieser Patienten haben über lange Zeit versucht, das sich progressiv entwickelnde Krankheitsgeschehen ungeschehen zu machen, bis Luftnot und andere Krankheitszeichen die Gewissheit einer schwerwiegenden Erkrankung nicht mehr verdrängen ließ. Pauli et al. [36] ermittelten bei 40 % einer Gruppe von 61 Patienten unmittelbar vor ICD-Implantation Zustände von Todesangst. Unmittelbar nach der Implantation steigt die Lebensqualität der Patienten zunächst signifikant an. Das ICD-Gerät wird als „Lebensretter” [8] wahrgenommen. Entsprechend fanden nach ICD-Implantation eine Reihe von Untersuchungen [36] [38] [44] eine signifikante Abnahme an Zuständen von Todesangst und beschrieben das psychische Erleben nach Implantation eines ICD-Gerätes als Erleichterungsreaktion (relief reaction). Therapiespezifische Belastungen (wie Fremdkörpergefühle) führen zunächst weder zu wesentlichen Einschränkungen des sozialen Handlungsspielraums noch zu krankheitsrelevanten emotionalen Reaktionen.
kurzgefasst: Die ICD-Implantation führt bei der Mehrheit der Patienten zu einer initialen Erleichterungsreaktion, verbunden mit dem Gefühl basaler Sicherheit, das bei der Mehrzahl der Patienten persistiert.
Die Akzeptanz des Gerätes ist bei den Rezipienten in der Regel hoch. Dennoch wird dem Patienten im weiteren Verlauf allmählich - unter anderem bedingt durch strikte Monitorroutinen - die lebenslange diskrete Abhängigkeit vom Funktionieren des ICD bewusst. Das ICD-Gerät garantiert das Über-Leben des Patienten, verursacht aber auch eine deutliche Abhängigkeit davon. Manche Patienten rebellieren gegen das Gefühl der Abhängigkeit mit kontra-phobischer Angstabwehr; mit schablonenhafter Normalität, die in Krisensituationen nicht tragfähig ist und dann zu bedeutsamen existentiellen Einbrüchen führt; häufiger jedoch mit in aller Regel unterschwelliger Unzufriedenheit, in der sehr verhalten die Notwendigkeit des Implantates in Frage gestellt oder eine unzureichende Beratung moniert wird.
Tatsächlich ist der psychische Anpassungsbedarf des Patienten - nicht nur an das ICD-Gerät, sondern auch an den zugrunde liegenden Krankheitsverlauf - erheblich. Gefühle von Unsicherheit über die Zukunft, Kontrollverlust über das eigene Leben, pausenlose Abhängigkeit vom Funktionieren der Technik, sozialer Rückzug, Schlafstörungen, Störungen in der intimen Partnerbeziehung, dauernde innere Anspannung und Beschäftigung mit dem Gerät [5] [12] gehören zu den konkreten Problemen, die Patienten im Kontext mit dem ICD erleben können. Dubin et al. [6] berichten, dass 63 % einer Kohorte von Patienten mit ICD im Alter unter 40 Jahren aus Furcht vor einer Schockauslösung sich deutlichen Restriktionen in körperlicher Aktivität unterwarfen. In einer US-Umfrage [40] an 103 Ärzten und 157 nicht-ärztlichen Pflegepersonen, die mit entsprechenden Patienten routinemäßig im klinischen Alltag betraut waren, wurden als Hauptprobleme dieser Patientengruppe die Beschränkungen beim PKW-Fahren, der Umgang mit der Schockauslösung, psychische Störungen, familiäre Überfürsorglichkeit, sexuelle Probleme und der Umgang mit Stress genannt. Die Ärzte zeigten sich insgesamt weniger über die subjektive Seite des Krankheitsverlaufs informiert als die Pflegekräfte.
Das Ausmaß an (passageren) affektiven Störungen, die Patienten mit ICD im Verlauf der Erkrankung nach der ICD-Implantation erleiden (Lebenszeit-Prävalenz) ist bedeutsam: Angstzustände von Krankheitswert werden bei 13 - 38 %, vital erschöpfte und depressive Stimmungslagen bei 24 - 33 % dieser Population beobachtet [39]. Die Punktprävalenz affektiver Störungen liegt mit einem Anteil von 12,7 % für klinisch relevante Angstwerte [19], von 34 % der Patienten mit Symptomen einer Panikstörung [36], von 19,4 % mit Agoraphobien/Angststörungen [13] in einem Prävalenzbereich, der deutlich über den einer unausgelesenen Bevölkerungsstichprobe liegt.
In einer zwölfmonatigen Nachverfolgungsstudie von 95 Patienten konnten Lüderitz et al. [27] zeigen, dass für 26 % die Angst vor Schockauslösung ein beherrschendes Gefühl in ihrem Leben blieb. May et al. [28] fanden bei 21 untersuchten Patienten einen deutlichen Einbruch (gegenüber dem Prä-Implantatstatus) im emotionalen Erleben nach 6 Monaten, jedoch eine Verbesserung nach 12 Monaten. In der prospektiven Studie von Pelletier et al. [37] konnten von zunächst 112 eingeschlossenen Patienten insgesamt 74 Patienten über 12 Monate vollständig und mit standardisierten Instrumenten nachuntersucht werden. Die Untersuchung ergab einen signifikanten Abfall in der Lebensqualität der Untersuchten (gemessen mit dem SF36) in Bezug auf die Selbsteinschätzung der generellen Gesundheit und in Bezug auf die soziale Funktionsfähigkeit der Betroffenen. Zu den wichtigen personenbezogenen Risikofaktoren für einen psychisch belasteten Verlauf gehört das jüngere Alter von Patienten, Berufstätigkeit und weibliches Geschlecht [6] [27] [41].
Allerdings ist die Datenbasis insgesamt bescheiden: noch erlauben die Fallzahlen der bislang publizierten klinischen Studien keine evidenzbasierten Aussagen im strengen Sinn [39]. Zudem wurden häufig nicht standardisierte Instrumente und querschnittliche Studiendesigns verwendet. Trotz dieser methodischen Einschränkungen müssen die in hoher Übereinstimmung verfassten Einzelbefunde ernst genommen werden, nach denen insbesondere persistierende Angstzustände überzufällig häufig auftreten, die den Schweregrad einer eigenen ko-morbiden Erkrankung annehmen können und sich bis zu einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln können [16]. Sie sprechen insgesamt dafür, dass in einer klinisch relevanten Untergruppe von ICD-Trägern eine psychische Ko-Morbidität ein bedeutsamer Seiteneffekt der ICD-Therapie sein kann.
Viele Patienten überstehen anscheinend seelisch unbelastet auch schwere Zwischenfälle mit dem ICD. Dies hat sicher damit zu tun, dass Patienten ihre eigene Persönlichkeit und Vorgeschichte mit in die Krankheit einbringen - diese Faktoren tragen nicht unerheblich zu einer gelungenen oder misslingenden Krankheitsentwicklung bei. Primärpsychologisch ängstliche oder zu depressivem Rückzug neigende Menschen werden durch die Erkrankung sicher eher in entsprechenden Verhaltens- und Erlebensweisen verstärkt.
kurzgefasst: Eine Untergruppe von Patienten weist Zeichen einer schwergradigen psychischen Maladaptation mit hohem Ausmaß an Ausweglosigkeit, Niedergeschlagenheit, katastrophierender Zukunftserwartung, bisweilen verbunden mit dem Wunsch nach Explantation des Aggregates auf. Prädominierend leiden diese Patienten an einer phobischen Angsterkrankung von hohem Krankheitswert. Hinzu kommen Somatisierungstendenzen, Hilflosigkeit und ein angespannt-nervöser Habitus.
Die therapeutische Überlebensfunktion des Gerätes (im deutlichen Gegensatz zu einer pharmakologischen Therapie) ist mit einem in der Regel bewusst erlebten, gleichzeitig völlig unerwarteten und unvorbereiteten intrakardialem Schockerleben verknüpft. Mit einer solchen Schockauslösung haben im ersten Jahr nach Implantation 30-50 % der ICD-Träger zu rechnen. Die durchschnittliche Schockapplikationshäufigkeit pro Jahr (bei eher regulärem Verlauf) beträgt ca. 2,5 Schocks [1] - keineswegs seltene Gerätefehlfunktionen und Komplikationen wie Sondenbrüche und Fehlinterpretationen nicht mitgerechnet [1] [37].
Die Schockabgabe des Implantats macht wieder psychische Bewältigungsleistungen erforderlich, mit dem Erleben einer aversiven Stimulation im Inneren des eigenen Körpers fertig zu werden. Überraschenderweise scheinen aber die ersten, noch vereinzelten Schockabgaben die Akzeptanz des Gerätes eher weiter zu steigern [19]. Die Patienten erleben die Abhängigkeit vom Implantat noch als lebensrettend und bilanzieren vermutlich unbewusst das aversive Erleben einer intrakardialen Schockabgabe gegenüber der Überlebenschance als positiv.
Die Applikation von fünf und mehr intrakardialen Schocks des ICD hat sich aber als ein bedeutsamer Grenzwert in der psychischen Belastbarkeit der Patienten erwiesen. Mit der Applikation von ³ 5 Schocks steigt die psychische Morbidität der Patienten deutlich an [17-19] [25] [27]. Leider werden die Patienten auch mit Clustern oder in Einzelfällen sogar mit Stürmen von ICD-Applikationen konfrontiert [10] [42]. Diese Patienten erleben extrem schmerzhafte interozeptive Stimuli; das Gefühl von Sicherheit, mit dem sie die damit verbundenen unkonditionierten Schreckreize bislang vielleicht kompensieren konnten, bricht zusammen und macht dem Einbruch dysfunktionaler, katastrophierender Gedanken Platz, die die Patienten zusätzlich in eine extrem leidvolle Situation bringen und den Charakter einer posttraumatischen Belastungsstörung [16] annehmen können.
Auf den ersten Blick scheint die Theorie des Klassischen Konditionierens, bei dem auf einen unkonditionierten Reiz (die schmerzhafte Schockapplikation) eine unkonditionierte Angst und Schreck-Antwort des Patienten folgt, die Entstehung von schwerwiegenden „post-Schock”-Angststörungen erschöpfend zu erklären: Zunächst neutrale Stimuli (Umgebung, Aktivitäten wie Fernsehen) während des Schocks werden mit diesem Stimulus assoziiert und führen so zu einer konditionierten Reaktion. Tatsächlich können Patienten aber Zustände von präokkupierender Erwartungsangst vor Schockauslösung erleben, ohne jemals einen Schock erlebt zu haben [36]. Überdies reagieren keineswegs alle Betroffenen uniform auf eine intrakardiale Schockapplikation im Sinne einer „unkonditionierten” Schreckreaktion.
Tatsächlich zeigt der erlebte Schweregrad der körperinneren Schmerzperzeption eine extreme individuelle Varianz, die wiederum die Bewältigung des Ereignisses mit beeinflusst. Das Spektrum reicht von der Schmerzbewertung als unerträglich bis überhaupt nicht bemerkt [1] [3] [24] [37]. Für den Schweregrad der Schmerzwahrnehmung scheinen dabei weniger psychische Faktoren als vielmehr zentral-nervöse neuronale Netzwerke („gates”) [24] verantwortlich zu sein.
kurzgefasst: Unvorhersehbarkeit und damit die Unkontrollierbarkeit der Auslösung des Aggregats verbunden mit einer zunehmend angstvollen Beschäftigung mit körperinneren Prozessen tragen wesentlich zu dem psychopathologischen Zustand bei. Jüngere, weibliche Patienten und Patienten nach Schockapplikation (mit ≥ 5 Schocks als kritischer Grenze) haben ein erhöhtes Risiko, eine solche Anpassungsstörung zu erleiden.
Die Gründe, warum eine akkumulierte intrakardiale Applikation von > 5 Schocks in der Literatur immer wieder als ein kritischer Schwellenwert für das Risiko genannt wird, eine andauernde psychische Anpassungsstörung zu entwickeln, sind bislang nicht ausreichend verstanden worden - denkbar ist als Grundlage der psychischen Alteration eine andauernd erhöhte Bereitschaft des autonomen Nervensystems zu überschießenden Reaktionen („sustained sympathetic arousability”).
Um diese Frage zu untersuchen, setzten wir [25] [26] das akustische Schreckreflexmodell („acoustic startle reflex paradigma, ASR”) bei 134 Patienten mit ICD (67 Patienten ≥1 Schock; 35 Patienten ≥5 ICD-Schocks) ein und applizierten eine Folge von 15 akustischen Stimuli (95 dB, 1000 Hz, 500 ms Dauer). Erfasst wurde u. a. die elektrodermale Aktivität (EDA) am Thenar der nichtdominanten Hand und das Elektromyogramm (EMG) am Musculus orbicularis oculi unterhalb des linken Augenwinkels.
Das EMG zeigte keine signifikanten Unterschiede in den Untersuchungsgruppen. Die Untersuchung konnte jedoch eine signifikant erhöhte mittlere EDA-Amplitude (P = 0,007) und deutlich verzögerte EDA-Habituation (P = 0,003) für die Patienten mit ≥5 ICD Schocks im Vergleich zu Patienten mit < 5 Schocks nachweisen. Bei der Untersuchung des unabhängigen Einflusses einer Vielzahl möglicher konfundierender Faktoren auf eine erhöhte EDA-Reagibilität (Alter, Angst, perzeptierte Aversivität des Schreckstimulus, Zeit seit letzter ICD-Entladung, beta-adrenerge Medikation) zeigte sich, dass die intrakardiale Schockabgabe mit einem Schwellenwert von ≥5 ICD Schocks den stärksten Einfluss auf das Zielkriterium einer erhöhten EDA-Amplitude (adjustiertes odds ratio von 3,0 (95 % CI: 1,3 - 7,2, P = 0,01) und verzögerter EDA-Habituation (adjustiertes odds ratio von 2,8 (95 %-CI: 1,2 - 6,3, P = 0,015) ausübt [26].
Die dauerhaft erhöhte autonome Schreckreagibilität bei den betroffenen Patienten ist zentralnervös vermittelt und stellt das psychophysiologische Korrelat einer konditionierten phobischen Anpassungsstörung dar. Neurophysiologisch geraten diese Patienten in einen Zustand dauerhaft erhöhter Bereitschaft zu einer sympathikotonen Hyperregulation, die möglicherweise wiederum die Vulnerabilität für die Auslösung ventrikulärer Tachykardien erhöhen und damit im Sinne eines Circulus vitiosus auf die Grunderkrankung zurückwirken kann [20].
kurzgefasst: Neurophysiologisch löst die Schockapplikation als aversive Stimulation eine Notfallreaktion aus, die reflexartig eine „fight or flight”-Reaktion zu Folge hat, deren Realisierung aber unmöglich ist. Hemmung der Fluchtreaktion, verbunden mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit, ist die Folge.
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Prof. Dr. K.-H. Ladwig
Institut u. Poliklinik für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Med. Psychologie, Universitätsklinikum rechts der Isar der TUM
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