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DOI: 10.1055/s-2004-835274
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
ACE-Hemmertherapie bis ans Lebensende?
Zum Beitrag aus DMW 27/2004Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. Oktober 2004 (online)
Werner und Böhm überraschen in ihrer Übersicht [1] mit der Feststellung: „Bis zum Beweis des Gegenteils sollte bei fehlenden Kontraindikationen eine bestehende ACE-Hemmertherapie zur Therapie der arteriellen Hypertonie und der chronischen Herzinsuffizienz bis ans Lebensende fortgeführt werden.“
Diese Formulierung ist meines Erachtens klinisch fragwürdig, da der Patient kein Angeklagter ist, für den der In-dubio-pro-reo-Grundsatz gilt. Der Nutzen einer Therapie sollte schon belegt sein - Evidence-based Medicine! Anderenfalls könnte es leicht passieren, dass ein durchschnittlicher Patient am Lebensende 20-30 Wirkstoffe bekommt, wenn sich dieses Prinzip generalisieren würde. Die Formulierung ist aber auch ethisch fragwürdig, da die pharmazeutische Industrie geradezu animiert wird, auf entsprechende klinische Studien zu verzichten, die schlimmstenfalls demonstrieren würden, dass ältere Menschen mehr sind als „Pharmakophagen“. Wir sollten nicht vergessen, dass die meisten Arzneimittel Xenobiotika sind. Schließlich steht die Formulierung im offenkundigen Widerspruch zu den Vorstellungen ausgewiesener Gerontologen, alten Menschen möglichst nur wenige Medikamente, möglichst nicht mehr als drei, zu verordnen. Die Gründe sind einleuchtend: Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Compliance-Probleme.
Wir müssen uns also fragen, weshalb Werner und Böhme zu dieser Aussage kommen. Wie schon so häufig ist auch bei ihnen die HOPE-Studie Ausgangspunkt weiterer Überlegungen. Sie schreiben: „In der HOPE-Studie reduzierte Ramipril bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten ohne Herzinsuffizienz das Risiko für den kombinierten primären Endpunkt um 25 %, für den Myokardinfarkt um 22 %, für den Schlaganfall um 33 %, sowie für die Gesamtmortalität um 24 %.“ Die 95 %-Konfidenzintervalle müssen hier nicht interessieren. Abgesehen davon, dass die Zahlen in der Studie im Detail anders lauten, nämlich 22 %, 20 %, 32 % bzw. 16 %, schließen sich Werner und Böhm mit diesen unwahrscheinlich hohen Zahlen den Aussagen der HOPE-Autoren [2] kritiklos an. Wenn man dagegen aus der Originalarbeit die Zahlen der Ereignisreduktion ( = absolute Risikoreduktion) selbst errechnet, dann resultiert ein ganz anderes Bild:
Der primäre Endpunkt wird durch Ramipril im Vergleich zu Placebo um 3,8 % gesenkt (Placebo 17,8 %, Ramipril 14,0 %), daraus errechnet sich ein NNT (number needed to treat)-Wert für 4,5 Jahre von 26 (100 dividiert durch 3,8). Die entsprechenden Werte betragen für Myokardinfarkt 2,4 % (NNT = 42), für Schlaganfall 1.5 % (NNT = 67) und für die Gesamtmortalität 1,8 % (NNT = 56). Das klingt schon viel weniger euphorisch und bedeutet, wenn 26 Patienten über 4,5 Jahre mit Ramipril behandelt werden, dann kann nur bei einem Patienten therapieassoziiert ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt oder ein kardiovaskulärer Todesfall verzögert werden. Bei den von Werner und Böhm zitierten 25 % hat man aber das Gefühl, es könnte jedem vierten Patienten geholfen werden. In der Tat hat aber nur jeder 26. Patient einen Nutzen zu erhoffen. 25 Patienten haben keinen Nutzen zu erwarten, wohl aber mit arzneimittelbedingten Problemen (einschließlich der Kosten) zu rechnen.
Leider verschweigen Werner und Böhm eine weiteres gravierendes Problem, worauf Taylor aufmerksam machte [3]. In der HOPE-Studie ist die Randomisierung offenbar misslungen. Mit Ausnahme von Hypertonie und Diabetes ist die Placebogruppe stärker mit den Risikofaktoren belastet als die Ramiprilgruppe. Dadurch werden die Ergebnisse erheblich verzerrt. Hinsichtlich des primären Endpunktes wäre eine Ereignisreduktion von 2,8 % (NNT = 36) realistischer. Wir können also davon ausgehen, dass die hohen Prozentzahlen, mit denen die Autoren ihre Forderung begründen, Fiktionen sind, da die Angaben der Werte der relativen Risikoreduktion (RRR) Therapie-irrelevant sind.
Leider erfolgen in der Arbeit von Werner und Böhm auch alle anderen Informationen als RRR-Werte, sodass es nicht möglich ist, den tatsächlichen Nutzen von ACE-Hemmern zu erkennen. In dieser Art wurden in Abbildung 2 auch die Ergebnisse von AIRE, HOPE und CHARME-overall präsentiert. Man erkennt trotzdem deutlich, dass es keine signifikanten Differenzen zwischen den Altersgruppen gibt, da sich die 95 %-Konfidenz-Intervalle sehr stark überschneiden.
Auf der Basis der vorliegenden Datenlage würde ich die Forderung von Werner und Böhm, eine ACE-Hemmertherapie bis ans Lebensende fortzuführen, sehr stark relativieren. Dass konkrete Untersuchungen auch an sehr alten Patienten möglich sind, haben die Statine-Studien HPS und PROSPER demonstriert. Eine Therapie ohne Studiengrundlage „bis zum Beweis des Gegenteils“ zu betreiben, halte ich aus klinischen und ethischen Gründen für unangemessen. Schnurrer und Frölich [4] haben vorgerechnet, dass in Deutschland etwa 1 % aller stationär behandelten internistischen Patienten durch ihre Medikamente sterben. Den Prozentsatz iatrogen bedingter Todesfälle bei älteren, ambulant behandelten Patienten kennen wir leider noch nicht. Die Studien zur postmenopausalen Hormonersatztherapie (die ja durchaus plausibel war) haben uns doch gezeigt, wie vorsichtig man mit einer nicht durch Daten belegten Dauertherapie sein muss. Meine Zurückhaltung hat nichts mit therapeutischem Nihilismus zu tun, sondern mit dem Respekt vor dem Leben und dem Alter.
Literatur
- 1 Werner N, Böhm M. ACE-Hemmertherapie bis ans Lebensende?. Dtsch Med Wochenschr. 2004; 129 1513-1518
- 2 The Heart Outcomes Prevention Evaluation Study Investigators . Effects of angiotensin-converting-enzyme inhibitor, ramipril, on cardiovascular events in high-risk patients. N Engl J Med. 2000; 342 145-153
- 3 Taylor R. How large studies may mislead: the HOPE-study. Pract Diab Int. 2001; 18 208-211
- 4 Schnurrer J U, Frölich J C. Zur Häufigkeit und Vermeidbarkeit von tödlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Internist. 2003; 44 889-895
Prof. Dr. Frank P. Meyer
Magdeburger Straße 29
39167 Groß Rodensleben