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DOI: 10.1055/s-2004-836078
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Sepsis - ein Krankheitsbild mit vielen Herausforderungen
Sepsis - a disease with many challengesPublikationsverlauf
eingereicht: 28.10.2004
akzeptiert: 29.10.2004
Publikationsdatum:
19. November 2004 (online)
Sepsis ist eine der häufigsten Komplikationen der modernen Intensivtherapie und geht mit einer extrem hohen Sterblichkeit einher. Als Folge der veränderten Demographie der Gesellschaft und der Fortschritte der Medizin mit mehr invasiven Maßnahmen bei älteren und kränkeren Patienten beträgt nach jüngsten Daten aus den USA der jährliche Anstieg septischer Krankheitsfälle ca. 9 %. Dort wird insgesamt mit etwa 6 Sepsisfällen pro 1000 Krankenhausaufnahmen bzw. 24 - 136 Fällen pro 1000 Patienten auf der Intensivstation gerechnet. Die Kosten der Sepsis auf der Intensivstation betragen ca. 23.000 EUR pro Fall. Diese medizinische und ökonomische Bedeutung der Erkrankung hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung dazu bewogen, ein bundesweites Kompetenznetzwerk zu finanzieren (SEPNET: Förderkennzeichen: 01Kl0106, Sprecher: Prof. K. Reinhart, Jena). SEPNET hat die Aufgabe, Daten über Prävalenz und Inzidenz und die Versorgung von Sepsispatienten in Deutschland zu generieren und Therapiestudien durchzuführen. Erste Ergebnisse von SEPNET zeigen für Deutschland eine hohe Inzidenz der Erkrankung, die Krankenhausletalität liegt über 50 %.
Viele Sepsispatienten sterben 3 - 5 Tage nach Diagnosestellung an einem unmittelbar durch die Sepsis ausgelösten Organversagen. Im Vordergrund steht meist das therapierefraktäre Kreislauf- und Mikrozirkulationsversagen. M. Bauer zeigt in seinem Artikel, dass sich das pathophysiologische Verständnis dieser Störung in den letzten Jahren gewandelt hat. Die Interaktion zwischen Entzündungszellen, der Blutgerinnung und dem Gefäßendothel wird besser verstanden. Daraus leiten sich therapeutische Optionen ab, die die Mikrozirkulation verbessern und die Organfunktion erhalten helfen. Eine aggressivere Volumentherapie, deren Grundregeln M. Ragaller in seinem Beitrag erläutert, stellt dabei ebenso einen Fortschritt dar wie die von A. Meier-Hellmann vorgestellte differentielle Katecholamintherapie, die sich nicht nur an mittleren Blutdruckwerten, sondern sich in erster Linie an der Optimierung der Organperfusion orientiert.
Grundlage einer erfolgreichen Sepsistherapie bleibt eine chirurgische Herdsanierung und antiinfektiöse Therapie. Etablierte Leitlinien auf der Basis von studienbasierter Evidenz fehlen, weil bei der Sepsis aufgrund der Schwere der Erkrankung bisher keine kontrollierten Studien durchgeführt wurden. T. Welte fasst in seinem Artikel die wenigen gesicherten Daten zu einem praktikablen Therapiealgorithmus zusammen.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie bleibt die frühzeitige Diagnose der Sepsis und das adäquate Monitoring der Patienten. Sowohl für die antimikrobielle Therapie wie für die Prävention des Organversagens gilt, dass jede Therapieverzögerung zu einem Anstieg der Sterblichkeit beiträgt. F. Bloos stellt in seinem Artikel die zentrale Sauerstoffsättigung als einen zu wenig beachteten Parameter vor, der weit besser zur Steuerung der Kreislauftherapie geeignet ist als herkömmliche Kreislaufparameter. A. Kortgen berichtet über die Indocyaningrün-Elimination, die zu einem einfachen Monitoringverfahren der Kreislauffunktion werden könnte. Nicht alle Patienten, die die Phase des primären Organversagens überstehen, überleben langfristig. Sekundäre Infektionen und erworbene Organschäden, bedrohen den Patienten in der zweiten Phase des Intensivaufenthalts essentiell. Eine besonders schlechte Prognose hat dabei das Rechtsherzversagen, das mit den klassischen Methoden der Herz-und Kreislauftherapie kaum zu beeinflussen ist. H. Olschewski und R. Ewert diskutieren, inwieweit neue Therapieverfahren, die sich bei der chronisch pulmonalen Hypertonie bewährt haben, auch in der Intensivmedizin zum Einsatz kommen könnten.
Fortschritte in der Erforschung des komplexen Krankheitsbildes Sepsis sind aus allen Artikeln dieses Heftes ableitbar. Viele dieser Erkenntnisse werden im klinischen Alltag nicht umgesetzt. Hier zeigen sich signifikante Mängel in der Aus- und Weiterbildung in verschiedenen Bereichen der Intensivmedizin. G. Breuer beschreibt ein Lernprogramm, mit dessen Hilfe praxisrelevant Sepsis simuliert und diagnostische und therapeutische Maßnahmen erprobt werden können. Solche Module können natürlich nur kleine Bausteine im Rahmen eines allgemeingültigen intensivmedizinischen Curriculums sein, in dem für alle an der Intensivmedizin beteiligten Fachrichtungen einheitlich fort- und weitergebildet wird. Von solchen Standards sind wir in Deutschland leider noch weit entfernt.
Prof. Dr. Tobias Welte
Abteilung Pneumologie, Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover