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DOI: 10.1055/s-2004-836955
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Soziotherapie - eine Chance die kaum genutzt wird
Socio-Therapy - A Chance Seldom UsedPublication History
Publication Date:
23 November 2004 (online)
Zu dem engagierten und ausführlichen Bericht von Herrn Dr. F. Böhme (Psychiat Prax 2004; 31 [Heft 6]: 317-318) , möchte ich folgende Ergänzungen anbringen. Herr Böhme fragt zu Recht, warum Soziotherapie nicht flächendeckend genutzt wird. Hierzu sind einige grundlegende Bemerkungen erlaubt.
Es handelt sich in der Versorgung psychisch Kranker bekanntlich um zwei getrennte Töpfe. Der ambulante Topf, aus dem auch Soziotherapie bezahlt wird, war von jeher recht schmal angelegt. Der Topf der stationären Maßnahmen dagegen seit Jahrzehnten traditionell etwas üppiger ausgestattet. Bislang ist es in der Tat nicht gelungen, die Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu beseitigen. Es besteht bislang keine patientenoptimierte Behandlungsmöglichkeit, sondern weiterhin eine ressortgebundene Hilfe aus getrennten Bereichen.
Leider sind auch die Erkenntnisse aus dem Vorläufer-Modellprojekt zur Soziotherapie - Band 115 der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit "ambulante Soziotherapie" - nur schleppend bekannt geworden. Dabei wird gerade in diesem Modellprojekt sowie in zwei weiteren Vorläuferprojekten der Einspareffekt komplementärer Maßnahmen aufgezeigt. Insbesondere wird auch die langfristige Besserung der Lebensqualität und kontinuierliche Verbesserung des Gesundheitszustands und der psychosozialen Kompetenz aufgezeigt. All dies wohlgemerkt bei einer begrenzten Stundenzahl von 120 Stunden innerhalb von 3 Jahren.
Ein bislang wenig beachteter Vorteil der Soziotherapie ist das Management einer Mischfinanzierung, wobei durch den in tegrativen Charakter der Soziotherapie auch eine Überleitung in den BSHG finanzierten Sektor eingeleitet und ermöglicht wird. Es sind somit in der Regel verschiedene Kostenträger, wie Landschafts-/Landeswohlfahrtsverbände, Kommunen, Rentenversicherungsträger und andere bei der Versorgung eines psychotisch Erkrankten beteiligt. Hierdurch werden die Krankenkassen entlastet.
Ebenfalls wenig beachtet ist die Unterstützung des Rehabilitationsaspekts, d.h. der Übergang von der medizinischen zur sozialen bis hin zur beruflichen Rehabilitation, wobei Behandlung, Planung und Durchführung aus einer Hand erfolgen können. Hierdurch werden unnötige Stresssituationen vermieden und Krankheitsrezidive aufgefangen.
Soziotherapie ist darüber hinaus ein probates Instrument zur Vermeidung inadäquater Behandlungsformen und zur Verbesserung der Compliance. Dies wird unter anderem durch den wichtigen Behandlungsfaktor der Psychoedukation ermöglicht, die dem niedergelassenen Nervenarzt/Psychiater abrechnungstechnisch nicht zur Verfügung steht.
Mit Hilfe der Soziotherapie können auch Heilmittel, wie Ergotherapie, gezielt eingesetzt werden, so z.B. als Initialmaßnahme und "Sprungbrett" für weiterführende Maßnahmen wie Tagesstättenbetreuung (nicht kassenfinanziert). Nicht zuletzt kann auch Heimpflegebedürftigkeit durch Maßnahmen der Soziotherapie in Kooperation mit haus- und nervenärztlicher Behandlung um Jahre hinausgezögert werden, eine Fehlallokation von psychisch Kranken in Seniorenheimen vermieden werden.
Für die jetzt neu einzurichtenden integrativen Versorgungsprojekte spielt Soziotherapie eine entscheidende Rolle, da sie als Wegbegleiter durch die verschiedenen Bausteine einer integrativen Versorgung zu führen vermag. Diese Chance gilt es nutzen zum Wohle der von uns versorgten Patienten.
Wie bei allen innovativen Maßnahmen versucht jede mit psychisch kranken Patienten befasste Einrichtung zunächst das Instrument für sich zu nutzen. Soziotherapie stellt jedoch aufgrund der bisherigen Erfahrungen und aufgrund der bisherigen Modellprojekte eine optimale ergänzende Maßnahme in der ambulanten Behandlung durch niedergelassene Nervenärzte/Psychiater dar. Es ist zu hoffen, dass im Rahmen von Integrationsprojekten Soziotherapie erneut aufgegriffen und genutzt wird.
Da Stillstand immer auch Rückschritt bedeutet haben engagierte Fachleute am 11.8.2004 den Verein für Soziotherapie e.V. gegründet. Ziel des Vereins ist es, die Brückenfunktion der Soziotherapie zwischen ärztlicher Behandlung und dem komplementären Bereich (gemeindepsychiatrischer Verbund) herauszustellen. Darüber hinaus wird der Verein durch Vernetzung mit dem gemeindepsychiatrischen Verbund eine umfassende berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung anbieten. Hierbei sind Blockseminare und Praktika in den verschiedenen Bereichen des gemeindepsychiatrischen Verbunds vorgesehen.
Zum Anderen bietet der Verein für Soziotherapie e.V. den Krankenkassenverbänden an, die Funktion eines Medizinischen Dienstes zu übernehmen, um eine zeitnahe Bearbeitung der eingehenden Soziotherapieanträge zu gewährleisten. Interessierte können sich unter Tel. 02233/ 74840 oder E-mail: Email: Dr.Schreckling@t-online.de informieren. Der Jahresbeitrag beträgt 30 Euro.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das noch in diesem Jahr erscheinende Buch "Grundlagen und Praxis der Soziotherapie" im Kohlhammer-Verlag hinweisen.
Dr. med. Sibylle Schreckling
Ärztin für Neurologie und Psychiatrie
Luxemburger Straße 313
50354 Hürth
Email: Dr.Schreckling@t-online.de