Der Klinikarzt 2004; 33(11): 301
DOI: 10.1055/s-2004-837041
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Geht es Ihnen gut?

Burckart Stegemann
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Publication Date:
02 December 2004 (online)

Diese alltägliche Frage, die Anteilnahme und auch den Wunsch, dass es denn so sein möge, implizieren kann, ist heute schon fast zur Floskel geworden. - Es geht ihnen nicht gut, unseren Medizinern und Klinikärzten. Warum sonst orientieren sich so viele Studenten bereits während des Studiums hin zu einem mutmaßlich attraktiveren Betätigungsgebiet oder begeben sich nach ersten offenkundig enttäuschenden klinischen Erfahrungen ins Ausland, also dorthin, wo bessere Arbeitsbedingungen und sogar höhere Dotierungen geboten werden? Das zugrunde liegende Problem ist anscheinend so schwer verständlich zu machen oder gar zu beherrschen, dass man es lieber totschweigt und versucht, damit Zeit zu gewinnen.

Die Entscheidungsträger in deutschen Kliniken sind, was die Krankenhauspolitik betrifft, vielfach einzelkämpfende, mit fehlendem medizinischen Sachverstand agierende Finanz- und Ökonomiefachleute geworden. Sie lassen, verschiedenste Zwänge vorbringend und sich stets darauf berufend, wie Dompteure selbst Chef- und Abteilungsärzte in ihren jeweiligen Fachkreisen „springen”. Die Richtung aber geben Schienen vor, die vielfach im Kreis verlegt sind und - wenn einmal eine Weiche kommt - wird sie auch vom Nichtmediziner mit „Richtungskompetenz” bedient. Im schlimmsten Fall werden die Schienen durch DRG („diagnosis related group”), Budget oder Case Mix Index auch mal blockiert. Läuft etwas nicht wie gewünscht, ist natürlich wieder der Chefarzt voll verantwortlich. „Die Finanzen haben das Ethos besiegt”, so lautet der desillusionierende Tenor, den man sich früher nicht hätte träumen lassen.

Kurz vor Ende seiner Amtszeit hat unser Bundespräsident Rau auf dem Ärztetag in Erkenntnis der neuen Klinikverhältnisse klar gesagt und gewarnt: „Ärzte sind keine Anbieter und Patienten keine Kunden. Ich halte nichts davon, unser ganzes Leben in Begriffe der Betriebswirtschaft zu pressen”. Im Mittelpunkt müsse der Mensch stehen, daran müsse sich auch die Gesundheitspolitik messen lassen. Genau das Gegenteil passiert jedoch mit jedem Tag mehr, und die einäugigen Ökonomieeinpeitscher finden unreflektiert Gehör bei unseren Gesundheitspolitikern. Das ermutigt beide, die ökonomischen Belange zum maßgeblichen Entscheidungskriterium im Gesundheitswesen aufzuwerten und diese Philosophie in diesem Sinne fast im Stundentakt in allen Medien zu verbreiten. Erstaunlich, dass es den Entscheidungsträgern nicht seltsam vorkommt, dass kein Industriebetrieb seine leitenden Angestellten mit zusätzlich 40 % artfremden Leistungen, hier Dokumentation und Verwaltung, beschäftigen würde, weil das als völlig unproduktiv erkannt und abgelehnt würde! Für den Klinikarzt ist das heute „völlig normal” und wird nach der Etablierung sogar wie selbstverständlich eingefordert.

Was Überbelastung und fehlende Ruhe bewirken, beschrieben Dawson und Reid 1997 in Nature: Anhaltendes Wachsein über 24 Stunden beeinträchtigt die kognitiven und psychomotorischen Fähigkeiten genauso wie eine Blutalkoholkonzentration von 1,0 Promille! Damit geht es nicht mehr nur um die Ärzte, sondern auch um die Sicherheit und Gesundheit der Patienten. Die heutige Praxis der Dienst- und Bereitschaftsdienstzeiten in unseren Krankenhäusern ist nicht zuletzt aufgrund solcher Aspekte für Ärzte und Patienten unhaltbar und für die Gesundheitspolitiker und Gesundheitsökonomen sehr beschämend.

Auf den deutschen Autobahnen werden LKW- und Busfahrer auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Ruhezeiten scharf kontrolliert. Piloten samt Crew werden, auch unter Inkaufnahme der Stornierung eines Fluges, pünktlich ausgewechselt. Für einen Klinikarzt ist nach Ablauf oder nach der Überschreitung seiner gesetzlichen Arbeitszeiten die Frage, ob er nicht eben noch diese oder jene Operation oder Untersuchung - natürlich unentgeltlich - durchführen könne, um sich erst dann beim Dokumentieren „erholen” zu dürfen, Alltag.

Wollen oder können eine Gesundheitsreform und die dahinter stehenden Gesundheitspolitiker das nicht berücksichtigen? Mehr „selbstverständliche” Überstunden? Ja!? Vielleicht ein paar Krankenkassen weniger, was immense Einsparungen brächte, und dafür ein paar Ärzte mit Ethos mehr, das wagt man wohl nicht laut zu denken!? Es wäre aber eigentlich gerade noch Zeit!

Prof. Dr. Burckart Stegemann

Hagen

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