ZFA (Stuttgart) 2005; 81(4): 163-165
DOI: 10.1055/s-2005-836494
Kommentar/Meinung

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

IGEL-Leistungen - Was kann dies sein?

IGEL - What's the Matter with It?H.-H. Abholz1
  • 1Abteilung für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
14. April 2005 (online)

IGEL-Leistungen werden nach einer Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WidO) bei 3 000 repräsentativ befragten Angehörigen der unterschiedlichen Krankenkassen bei einem knappen Viertel (23 Prozent) im letzten Jahr von Ärzten angeboten [1]. Dies ist deutlich mehr als noch 2001 mit 8,9 Prozent in der methodisch gleichen Studie und 9 Prozent in einem anderen Kollektiv, dass die Bertelsmann-Stiftung untersucht hatte.

Die dort angebotenen Leistungen ließen sich nach der Befragung in die folgenden Bereiche aufteilen (siehe Tab. [1]).

Tab. 1 Verteilung privat angebotener Leistungen in der Arztpraxis (Quelle: 1) „Welche Leistung war das genau?” (ohne Zahnärzte) (n = 478; 523 Nennungen) relative Häufigkeiten bez. auf Nennungen in % Augeninnendruckmessung 17,0 Ultraschalluntersuchung 16,8 ergänzende Krebsfrüherkennung bei Frauen 14,1 Blutuntersuchungen/Laborleistungen 7,3 Verordnung Medikamente bzw. Heil- und Hilfsmittel 6,7 keine vertragsärztliche Leistung, vom Bundesausschuss abgelehnt 6,3 PSA-Wert-Bestimmung 4,6 Knochendichtemessung 4,2 Hautkrebsvorsorge 3,1 Impfungen 1,3 Zusatzdiagnostik in der Mutterschaftsvorsorge 1,0 EKG 0,6 sonstiges 12,6 weiß nicht/keine Angabe 4,4 Summe 100,0 Als häufigste Zusatzleistung wurde in der Befragung die Augeninnendruckmessung angegeben.

Die Leistungen wurden von folgenden Arztgruppen angeboten (siehe Tab. [2]).

Tab. 2 Anteil der Arztgruppen an privatärztlichen Leistungen in % (Quelle: 1) „Bei welchem Arzt ist die Privatleistung angeboten oder in der Rechnung gestellt worden?”Anteil der Arztgruppen an privatärztlichen Leistungen in % (n = 485; 512 Nennungen) relative Häufigkeiten bez. auf Nennungen Frauenarzt 35,0 Augenarzt 18,8 praktischer Arzt/Allgemeinmediziner 15,0 Orthopäde 7,2 Internist 6,3 Urologe 5,3 Hautarzt 4,7 sonstige Fachrichtungen 7,5 weiß nicht/keine Angabe 0,2 außer bei Zahnärzten wurden individuelle Gesundheitsleistungen am häufigsten bei Gynäkologen angeboten

Frauen, die häufiger zum Arzt gehen, bekommen derartige Angebote häufiger. Ältere Patienten, kränkere und solche mit weniger Einkommen oder Schulbildung bekommen sie seltener. Da ältere und Patienten mit niedriger Schulbildung oder Einkommen epidemiologisch immer kränker sind, scheint sich das Angebot nicht unbedingt nach der Bedürftigkeit in ärztlich-medizinischer Richtung zu orientieren.

Um die IGEL-Leistungen in ihrer inhaltlichen Ausrichtung zu verstehen, muss man wissen, wie in Deutschland Leistungen in den ambulanten Sektor gelangen: Hierzu gibt es einen paritätisch besetzten Ausschuss, den Gemeinsamen Bundesausschuss, der Leistungen zur ambulanten Versorgung zulässt oder diese ablehnt. Diesem Ausschuss arbeiten entsprechende Arbeitsausschüsse für „Ärztliche Leistung”, für „Prävention” etc. inhaltlich zu.

Will man eine Leistung zu einer GKV-Leistung werden lassen, muss man seit einigen Jahren Studien vorlegen, die den Nutzen belegen. Kann man dies nicht oder sind die Studien nicht tauglich - hier werden Expertenanhörungen zur Thematik jeweils noch zusätzlich durchgeführt -, dann wird eine Leistung als GKV-Leistung abgelehnt. Dies wird gemeinsam zwischen Ärzteschaft und Krankenkassen beschlossen.

Bisher sind Leistungen noch nie mit der Begründung von Kosten abgelehnt worden - die einzige Ausnahme hier ist die Ablehnung von Viagra als kassenärztliche Leistung. Hier wurde gesagt, dass der Bereich der Behandlung nicht ein medizinisches, sondern eher ein Wellness-Problem betreffe - was sicherlich keine unproblematische Entscheidung ist. Aber es ist bisher die einzige Entscheidung in dieser Richtung gewesen.

Mit diesem Wissen im Hintergrund lassen sich die IGEL-Leistungen in folgender Einteilung bringen (siehe Tab. [3]).

Tab. 3 I. Leistungen außerhalb des GKV-Kataloges: wie Sportuntersuchungen, arbeitsmedizinische Untersuchungen II. Untersuchungen, die nur auf Wunsch des Patienten zustande kommen, aber vom Arzt auch nicht als sinnvoll angesehen werden, er also keine ärztliche Indikation hierfür sieht. Dies könnte z. B. eine Ganzkörperuntersuchung, eine Sonographie des Bauchraumes bei einem 25-Jährigen sein; der sowohl keinen Anspruch auf GU hat und bei dem auch keine medizinischen Fragen zu einer Sonographie bestehen. III. Komplementäre Verfahren, die ebenfalls nie Teil des GKV-Kataloges waren und auch nie dem Bundesausschuss zur Prüfung vorgelegt wurden. IV. Vom Arzt oder einer medizinischen Gesellschaft vorgeschlagene Untersuchung bzw. Behandlung, die herkömmliche Laborwerte, technische Untersuchungen oder Behandlungsmethoden mit einer bestimmten, bisher nicht vorgesehenen Zielrichtung - meist Früherkennung - benutzen: Dies sind z. B. Sonographie der Eierstöcke zur Früherkennung von Ovarial-Karzinom, Sonographie zur Feststellung von Lebererkrankungen etc. Es hat entweder nie eine Prüfung in Bezug auf den Nutzen in Form von Studien gegeben und entsprechend ist nie ein „Verfahren” mit dem jeweiligen Ansatz dem Bundesausschuss vorgelegt worden. V. Leistungen, die explizit vom Bundesausschuss wegen fehlendem Nutzen oder mehr Schaden als Nutzen nicht zugelassen sind. VI. Leistungen, die Kassenleistungen sind und - wenn sie neueren Datums der Aufnahme sind - auch durch den Bundesausschuss gegangen sind, aber dennoch dem Versicherten gegenüber als IGEL-Leistung dargestellt werden. Dies gilt z. B. für die Entfernung von verdächtigen Pigmentnaevi, einen Teil der Augendrucksmessungen, die ja nur als breites Screening nicht zugelassen sind.

Für die Leistungen aus den Gruppen I bis III ist der Sachverhalt klar: Es sind Leistungen außerhalb des GKV-Bereiches. Hier ist eben nur das Bild der Ärzteschaft und ihr weiteres Schicksal, zukünftig als Kaufleute angesehen und auch steuerlich bedacht zu werden, das einzige Problem.

Aber schon im Leistungsbereich IV fangen die Probleme an: Wie kann ein Arzt oder eine Arztgruppe für sich verantwortlich entscheiden, dass etwas von Nutzen für den Patienten ist, wenn ein solcher Nutzenbeleg und - dies ist immer dabei - Ausschluss eines größeren Schadens nur durch entsprechende Studien belegbar ist, diese aber - für diese Gruppe definitionsgemäß - nicht vorliegen.

Noch deutlicher wird das Problem, für die Leistungen der Gruppe V, bei denen ja - wiederum definitionsgemäß - gerade Studien vorliegen, die mehr Schaden als Nutzen nachweisen. Hier kommt der Arzt konzeptionell in den Bereich von Körperverletzung um des Geldes Willen. Wird dies - individuell für den Arzt oder konzeptionell für die Ärzteschaft - in der Öffentlichkeit zunehmend deutlicher, dann ist damit das endgültige Ende der Berechtigung von „Privilegien” einer Profession als Profession bevorstehend. Denn zur ärztlichen Profession und den damit verbundenen Privilegien gehörte immer - neben anderen, heute auch schon häufig verletzten Bedingungen - das alleinige Bemühen um Gesundheit bei Heraushaltung finanzieller Interessen. Die Leistungen nach V sind in Tab. [1] mit 6,3 % angegeben, aber ein Großteil der PSA-Bestimmungen, ein Teil der ergänzenden Frühergänzungsuntersuchungen bei der Frau (insges. 14,1 %), ein Großteil der Augendruckmessungen (insges. 17 %) sowie ein Teil der Knochendichtemessung (4,3 %) sowie wahrscheinlich ein Teil der Mutterschaftsuntersuchungen (1 %) gehören auch in diese Gruppe!

Und dennoch kann aus dem Bereich V im Einzelfall sehr wohl eine IGEL-Leistung ethisch gerechtfertigt sein. Denn die Tatsache, dass z. B. die Studienlage gegen die Einführung eines PSA-Screening spricht, dass aus gleichem Grunde ein Mammographie-Screening vor dem 40. Lebensjahr ebenfalls abzulehnen ist, bedeutet ja nicht, dass nicht dennoch ein aufgeklärter Patient für sich ein solches Risiko einzugehen bereit ist. Man kann sich dann zwar fragen, ob hier nicht auch „Pathologisches” vorliegt, wenn man sich als Patient aus einer statistischen Gruppenaussage herausnimmt, im übrigen Leben sich hieran aber meist orientiert. Dennoch ist dies vorstellbar.

Wobei hier nicht die Fälle mit besonderem Risiko für die jeweils gesuchte Erkrankung gemeint sind; diese müssen und können im Rahmen der GKV mit den entsprechenden Untersuchungen versorgt werden. Geschieht dies nicht als GKV-Leistung, befindet man sich in IGEL-Leistung nach Kategorie VI - und ist damit - konzeptionell - im Bereich des Betruges.

Wenn also ein Patient nach ausführlicher und für ihn verständlicher Aufklärung, die in diesen Bereichen faktisch immer sehr aufwändig ist, dennoch für sich eine solche Untersuchung (nach V) durchführen will, dann spricht nichts aus dem Bereich der Ethik gegen die Durchführung und Abrechnung als IGEL-Leistung.

Das Problem ist nur, dass hiermit derjenige, der IGEL-Leistung anbietet, einerseits Werbung macht und hierfür finanzielle Interessen die wesentliche Erklärung sind. Er andererseits aber eine - dann noch nicht einmal bezahlte - ausführliche Aufklärung über das Für und Wider einer Maßnahme durchführen muss.

Dies wird wahrscheinlich bei einem Großteil der dann so Aufgeklärten dazu führen, dass sie die Untersuchungen nicht machen wollen, also die Aufklärung eine Fehlinvestition mit Zeitverlust war. Es ist also absolut unwahrscheinlich, dass derjenige, der wegen des Geldes IGEL-Leistungen anbietet, eine derartige Aufklärung durchführen kann. Damit aber wird nur eine formale, aber nicht wirkliche Aufklärung sehr wahrscheinlich - der Arzt wird seinem Auftrag dem Patienten gegenüber durch den „Kaufmann” untreu.

Literatur

  • 1 WidO-monitor 2004 1: 1-7

Prof. Dr. med. Heinz-Harald AbholzFacharzt für Allgemeinmedizin 

Abt. Allgemeinmedizin · Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

eMail: abholz@med.uni-duesseldorf.de