Zusammenfassung
Hintergund: Bei medizinischen Entscheidungen und Maßnahmen am Lebensende sind auch die Werthaltungen der Beteiligten von entscheidender Bedeutung. Diese wurden bisher in deutschsprachigen empirischen Untersuchungen zu Sterbehilfe und Patientenverfügung kaum berücksichtigt.
Methode: Im Zeitraum Oktober 2003 - Mai 2004 wurde eine schriftliche Befragung einer repräsentativen Stichprobe von Internisten, Anästhesisten und Allgemeinmedizinern in Bayern, Westfalen-Lippe und Thüringen durchgeführt.
Ergebnisse: Von den 1557 versandten Fragebogen wurden 727 Bögen ausgefüllt zurückgeschickt (Rücklaufquote: 46 %). Die Befragung ergab eine hohe Wertschätzung der Patientenverfügung bei gleichzeitiger Skepsis gegenüber der stellvertretenden Entscheidung von Betreuern und Bevollmächtigten. Ferner offenbarte die Befragung eine erhebliche Unsicherheit bei den Ärzten, was die Zuordnung bestimmter Maßnahmen am Lebensende zu den verschiedenen Formen der Sterbehilfe betrifft. Die juristische Unterscheidung zwischen (verbotener) aktiver sowie (erlaubter) passiver und indirekter Sterbehilfe wird von vielen Ärzten in der Praxis nicht nachvollzogen.
Folgerungen: Die Reflexion medizinischer Entscheidungen am Lebensende muss in der Aus- und Weiterbildung mehr Raum einnehmen. Zugleich sollten die üblichen und partiell kontraintuitiven juristischen Definitionen unter Beachtung der Weiterentwicklungen im englischen Sprachraum der medizinischen Entscheidungsfindung angenähert werden. Dabei ist der transdisziplinäre Diskurs für die Entwicklung von handlungsleitenden medizinethischen und juristischen Begründungen unverzichtbar.
Summary
Background: With regard to medical decisions and measures at the end of life, the values and attitudes of those concerned are crucial. However, they have hardly been taken into account so far in German empirical studies on euthanasia and medical advance directives.
Method: Between October 2003 and May 2004, a mail survey of a representative group of internists, anaesthetists and general practitioners from Bavaria, Westphalia-Lippe and Thuringia was conducted.
Results: Of 1,557 mailed questionnaires 727 were returned (rate of returns: 46 %). The survey showed, high of appreciation for medical advance directives and, at the same, time scepticism regarding surrogate decision-making by legal guardians and authorised representatives. Furthermore, the survey revealed a considerable amount of uncertainty in the physicians about the application of certain measures at the end of life to the different forms of euthanasia. In practice, many physicians do not comprehend the juridical differentiation between (illegal) active and (legal) passive or indirect euthanasia.
Conclusions: In training and further education more scope should be given to the reflection of medical decisions at the end of life. At the same time, the usual, partly counterintuitive legal definitions should be brought more into line with medical decision making, while taking into account developments in English speaking areas. A transdisciplinary discourse is indispensable for the development of medical ethical and legal justifications suitable as guidance for action.
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Dr. med. Birgitt van Oorschot
Abteilung Strahlentherapie der Klinik für Radiologie, Universitätsklinikum Jena
Bachstraße 18
07743 Jena
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