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DOI: 10.1055/s-2005-858075
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Führt Insulin glargin (Lantus) zu einer Progression der diabetischen Retinopathie?
Does Insulin Glarin (Lantus) Lead to a Progression in Diabetic Retinopathy?Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. April 2005 (online)
Insulin glargin wurde im Jahr 2000 zur Behandlung von Typ-1- und Typ-2-Diabetikern eingeführt [1]. In jüngster Zeit kursieren jedoch Berichte über eine mögliche Progression der diabetischen Retinopathie nach Anwendung von Insulin glargin. In den vergangenen Monaten wurden wir mehrfach von Kollegen, Patienten und der Presse auf diese Behauptung hin angesprochen. Aus diesem Grund sehen wir uns veranlasst, die Grundlagen für diese Befürchtung darzustellen und ein eigenes Fazit nach dem gegenwärtigen Stand von Studien aufzuzeigen.
Insulin glargin ist weder ein tierisches noch ein humanes Insulin, sondern ein gentechnisch aus Eschericha-coli-Zellkulturen gewonnenes Insulinanalog mit verlängerter Wirkungsdauer [2]. Das unter dem Handelsnamen Lantus (Aventis Pharmaceuticals, Frankfurt) synthetisierte Insulinanalog wurde entwickelt, um die Basalsekretion der Inselzellen besser zu imitieren. Insulin glargin unterscheidet sich vom natürlichen Insulin dadurch, dass an Position 21 der a-Kette die Aminosäure Glycin eingefügt wurde und der b-Kette in der Position 29 zwei Argininreste angehängt wurden. Diese Modifikation bewirkt eine Präzipitation im neutralen Milieu des subkutanen Fettgewebes und eine Veränderung der Löslichkeit des Moleküls, wodurch es zu einer deutlich verzögerten Abgabe ins Blut kommt. Das Medikament wird einmal täglich zur Nacht injiziert. Der Vorteil von Insulin glargin besteht in einem gleichmäßigen Insulinspiegel über 16 bis 24 Stunden. In den Studien konnte eine signifikant geringere nächtliche Hypoglykämieneigung festgestellt werden. Durch diese Langzeitstabilisierung der Normoglykämie konnte eines der Hauptziele bei der Behandlung des Diabetes mellitus erreicht werden [3] [4] [5]. Der Verdacht, modifizierte Insuline könnten vaskuläre Komplikationen fördern, entstand durch Versuche, welche ihre Bindungsfähigkeit an den IGF-1-Rezeptor zeigten.
Wenngleich IGF-1 bei der Progression der diabetischen Retinopathie möglicherweise eine wichtige Rolle spielt, so ist der genaue Mechanismus unsicher. Eine retinale Hypoxie führt zu einer erhöhten IGF-Expression und scheint möglicherweise als Mediator für weitere Faktoren zu wirken. IGF-1 könnte somit die Progression der diabetischen Retinopathie an retinalen Gefäßendothelzellen beeinflussen [6] [7]. Im Tiermodell konnte durch intravitreale Injektion von IGF-1 eine Tortuositas der Arteriolen mit angiographisch sichtbarer Leakage und Mikroangiopathie der retinalen Kapillaren erzeugt werden [8]. Auch transgene Mäuse, mit einer genetisch determinierten Überexpression von IGF-1, zeigten nach einer Beobachtung von 2 Monaten eine Vielzahl von diabetischen Veränderungen am Auge. Sowohl Zeichen einer nicht proliferativen diabetischen Retinopathie mit Perizytenschwund und verdickten Basalmembranen der retinalen Kapillaren als auch der proliferativen diabetischen Retinopathie mit retinalen Neovaskularisationen und vereinzelt auch traktiven Netzhautablösungen wurden am Augenhintergrund beobachtet. Am vorderen Augenabschnitt kam es gehäuft zu Linsentrübungen sowie Rubeosis iridis mit Glaukomen [9].
Auch Patienten mit erhöhtem IGF-1-Serumblutspiegel können eine stärkere Progression der diabetischen Retinopathie haben. Chantelau zeigte, dass eine Progression der Retinopathie häufiger eintritt, wenn bereits eine retinale Hypoxie besteht und der IGF-1-Spiegel erhöht war [10]. Diese Tatsache will man sich umgekehrt therapeutisch zunutze machen, indem man durch systemische Gabe von Somatostatinanalogon (Octreotid) die Überexpression von IGF-1, Wachstumshormon (GH) und Vaskular Endothelial Growth Factor (VEGF) reduziert und dadurch möglicherweise die Progression der diabetischen Retinopathie hemmen kann [11].
Ob diese experimentellen Ergebnisse oder Einzelfallbeschreibungen eine mögliche fragliche Progression einer diabetischen Retinopathie bei Gabe von Insulin glargin begründen kann, bleibt zweifelhaft. Fakt ist, dass in bisher publizierten Studien kein Unterschied zwischen der Therapie mit NPH-Insulin und der Gabe von Insulin glargin berichtet wurde. Eine Untersuchung berichtet über retinale Veränderungen in 2,9 % bei Gabe von Insulin glargin und 2,3 % bei Gabe von NPH-Insulin [5]. Auch ein von der amerikanischen Zulassungsbehörde eingeschaltetes Expertengremium kam zu dem Schluss, dass keine Progression der Retinopathie zu erwarten sei. Um jedoch vollständige Sicherheit zu erhalten, wurde von der FDA eine Vergleichsstudie mit je 400 Patienten unter Insulin glargin oder NPH-Insulin vorgeschlagen. Diese FDA-Studie Phase 4 soll Ende 2005 abgeschlossen werden und die Ergebnisse sollen Mitte 2006 zur Verfügung stehen. Die deutsche Arzneimittelkommission der Ärzteschaft hat bisher über 6 unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen (UAW) in Form von retinalen oder Glaskörperblutungen berichtet [12]. In Anbetracht der hohen Verbreitung von Insulin glargin sind diese geringen Zahlen allerdings nicht alarmierend und erscheinen daher eher als normale Komplikation bei Diabetikern mit schweren nicht proliferativen Retinopathien, bei denen mit der Zeit immer wieder intraretinale Blutungen und Glaskörperblutungen beobachtet werden. In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass eine Retinopathie meist nicht initial am Beginn der Insulintherapie vorhanden ist und erst mit längerer Dauer der Erkrankung nach mehreren Jahren auftritt. Da Insulin glargin aber erst im Jahr 2000 zugelassen wurde, ist der bisherige Zeitraum für eine abschließende Beurteilung zu kurz. Eine ähnliche Schlussfolgerung wurde kürzlich aus einer Anwendungsbeobachtung von 1629 Ärzten mit 10 258 Patienten gezogen [13]. Jüngste Studien unterstreichen aber die hohe Prävalenz der diabetischen Retinopathie in der Bevölkerung. So hat in den USA eine von 29 Personen eine diabetische Retinopathie und eine von 132 Personen eine diabetische Retinopathie mit deutlicher Visuseinschränkung [14].
Es hat sich gezeigt, dass durch eine normnahe Stoffwechseleinstellung die mikrovaskulären Spätkomplikationen in Häufigkeit und Schwere deutlich reduziert werden können. Derartige Probleme, wie nächtliche Hypoglykämien und hohe Blutzuckerwerte am Morgen, können nun durch Gabe von Insulin glargin bei einigen Patienten kontrolliert werden [15] [16] [17].
An der Universitäts-Augenklinik Marburg mit Schwerpunkt diabetische Retinopathie wurden im vergangenen Jahr von allen neu behandelten Laserpatienten 5 % mit Lantus therapiert. Bei diesen Patienten wurde über einen Zeitraum von 12 - 15 Monaten keine Progression der diabetischen Retinopathie festgestellt, sondern lediglich eine Zunahme der diabetischen Makulopathie beobachtet. Ein Zusammenhang zwischen der Makulopathie und der Behandlung mit Insulin glargin lässt sich mit einem erhöhten IGF-1 nicht erklären.
Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt nach Gabe von Insulin glargin kein Anstieg der diabetischen Retinopathie beobachtet werden konnte, so müssen die prospektiven Ergebnisse der FDA-Studie abgewartet werden. Alle mit Insulin oder Insulinanaloga versorgten Patienten sollten gerade in der Umstellungsphase engmaschig vom Diabetologen und Augenarzt betreut werden. Mögliche retinale Veränderungen sollten an die deutsche Arzneimittelkommission gemeldet werden, damit auch eine bisher mögliche unbekannte Dunkelziffer erfasst werden kann.
Literatur
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- 2 Rosak C. Insulinanaloga: Struktur, Eigenschaft und therapeutische Indikationen. Internist. 2001; 42 1692-1699
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- 4 Rosenstock J, Park G, Zimmerman J. U.S. Basal insulin glargine (HOE 901) versus NPH insulin in patients with type 1 diabetes on multiple daily insulin regimens. U.S. Insulin Glargine (HOE 901) Type 1 Diabetes Investigator Group. Diabetes Care. 2000; 23 1137-1142
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- 10 Chantelau E. Evidence that upregulation of serum IGF-1 concentration can trigger acceleration of diabetic retinopathy. Br J Ophthalmol. 1998; 82 725-730
- 11 Lang G E. Therapie der diabetischen Retinopathie mit Somatostatinanaloga. Ophthalmologe. 2004; 101 290-293
- 12 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft . Glaskörper- und Retinablutungen unter Insulin Glargin. Deutsches Ärzteblatt. 2002; 99 727
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- 17 Hörle S, Gruner F, Kroll P. Epidemiologie der diabetischen Blindheit - eine Übersicht. Klin Monatsbl Augenheilkd. 2002; 219 777-784
PD Dr. med. Carsten H. Meyer
Zentrum für Augenheilkunde, Philipps-Universität Marburg
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