Klin Monbl Augenheilkd 2006; 223(1): 36-41
DOI: 10.1055/s-2005-858858
Klinische Studie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Therapie des konsekutiven Strabismus divergens

Management of Consecutive Exotropia - Operative Therapy and Diplopia TestingG. H. Kolling1 , A. Schmidt-Bacher1
  • 1Universitäts-Augenklinik, Sektion für Schielbehandlung und Neuroophthalmologie, Heidelberg
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Publication History

Eingegangen: 10.6.2005

Angenommen: 12.10.2005

Publication Date:
17 January 2006 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Bei Patienten nach einer Tenotomie oder einer weiten Rücklagerung des M. rect. med. tritt häufig ein konsekutives Außenschielen auf, das durch die Wiedervorholung des Muskels an seinen ursprünglichen Ansatz beseitigt werden kann. Ist die Operationsstrecke im Verhältnis zur Schielwinkelgröße zu gering, so werden Resektionen dieses Muskels oder die gleichzeitige Rücklagerung seines Antagonisten oder eine zweite Operation empfohlen. In der Arbeit wird untersucht, zu welchen kurz- und langfristigen Ergebnissen die mit 2°/mm dosierte Vorholung führt. Im Vergleich dazu werden die Resultate kombinierter Divergenzoperationen bei Patienten mit spontan oder postoperativ aufgetretenem Außenschielen ausgewertet. Auf die Bedeutung des präoperativen Diplopietests mit Prismen wird eingegangen. Methodik und Patienten: Die Daten von 62 Patienten mit konsekutivem Außenschielen wurden anhand der Akten aus den Jahren 2001 bis 2003 retrospektiv ausgewertet. Der mittlere Schielwinkel betrug vor der Operation für Ferne/Nähe D 19°/D 20°. 15-mal wurde nur der M. rect. med. (Dosierung von 2°/mm) vorgeholt, 47-mal eine kombinierte Divergenzoperation durchgeführt. Ergebnisse: In der ersten Woche nach Vorholung des M. rect. med. betrug der Schielwinkel für Ferne und Nähe im Mittel C 0,4°, nach drei Monaten D 5,7°/D 4,5°. Der Operationseffekt lag nach einer Woche bei 2°/mm (SD: ± 0,6°/mm), nach 3 Monaten nur noch bei 1,4°/mm (SD: ± 0,5°/mm). Demgegenüber war der Effekt nach kombinierter Divergenzoperation nach einer Woche (1,9°/mm) und nach 3 Monaten (1,6 bzw. 1,7°/mm) stabiler geblieben. Vor der Operation nahmen 40 der 62 Patienten Doppelbilder nach Prismenausgleich wahr. Dieser einige Stunden getragene Ausgleich veränderte den Schielwinkel nur bei 2 der 62 Fälle um maximal 4°. Wurde jedoch das Außenschielen durch den Vorsatz von Minusgläsern oder durch willkürliche Konvergenz korrigiert, bemerkten nur 11 Patienten Doppelbilder. Nach der Operation des ganzen Schielwinkels sahen 14 der 62 vorübergehend doppelt, bleibend nur 3 von 62. Letztere fühlten sich aber dadurch nicht gestört, so dass weder eine optische noch eine operative Nachbehandlung notwendig war. Schlussfolgerungen: Der präoperative Prismenausgleich hat beim konsekutiven Strabismus divergens zum Ausschluss der Diplopiegefahr keinen klinisch verwertbaren Nutzen. Trotzdem bedürfen die Patienten einer guten präoperativen Aufklärung und perioperativen Führung, um mit den vorübergehenden Doppelbildern richtig umgehen zu können. Trotz einer großen Streubreite der Resultate kann der Schielwinkel meist mit einer Operation beseitigt werden. Für die alleinige Vorholung des M. rect. med. kann eine Dosierung von 2°/mm empfohlen werden. Der Effekt lässt nach 3 Monaten im Mittel um 5° nach. Die Ergebnisse der kombinierten Divergenzoperationen sind dagegen konstanter.

Abstract

Purpose: The aim of this study was to investigate the diagnostic value of preoperative sensory testing on postoperative diplopia and to evaluate the dose-effect relations of medial rectus muscle or unilateral recess/resect advancement procedures and their constancy. Methods: A retrospective evaluation of 62 operative cases of consecutive exotropia performed from 2001 to 2003 was carried out. Diplopia after prismatic correction and after converging by minus glasses was tested. In 47 cases a unilateral recess/resect procedure and in 15 cases an advancement of the medial rectus muscle were performed. The postoperative results were controlled one week and three months after operation by measuring the angle of squint by a prism cover test looking in five metres and in 33 cm. Results: 22 patients (36 %) had neither diplopia after prismatic correction of angle of squint nor after operation. The other 40 patients (64 %) experienced diplopia, but were not troubled by it. In all patients the whole amount of angle of squint was operated. Immediately after operation, 14 patients (23 %) experienced diplopia temporarily, which remained after 3 months in 9 patients, but all of them were not disturbed by it. In all patients the mean preoperative angle of - 19° was corrected by a mean operative amount of 11 mm, the mean postoperative angles were + 1.5° after one week and - 2.6° after three months with considerable variations of the results (standard deviations were about 5°). In 15 cases with advancement of the medial rectus muscle the dose-effect relation was 2° per mm operative amount. After three months these patients become more divergent, the mean value was - 6°, the dose-effect relation was reduced to 1.4°/mm. The unilateral recess/resect operations were more constant: these became more divergent of 2.5° only and their dose-effect relation remained more constant (after one week: 1.9°/mm, after 3 months: 1.7°/mm). Conclusions: The diagnostic value of preoperative prismatic correction of the deviation is very limited. Even if diplopia can be provoked, the chance of disturbing diplopia is very low. Nevertheless, some guidelines for pre- and postoperative care are necessary to prevent double vision. The postoperative outcome is favourable for the patient after one operation. In cases of relapsing divergence a second operation is easily possible.

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Prof. Dr. Gerold H. Kolling

Universitäts-Augenklinik, Sektion für Schielbehandlung und Neuroophthalmologie

Im Neuenheimer Feld 400

69120 Heidelberg

Email: gerold_kolling@med.uni-heidelberg.de