Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2005; 37(1): 32-34
DOI: 10.1055/s-2005-862531
Praxis
Das Interview
Karl F. Haug Verlag, in: MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Die Einfühlungsfähigkeit patientenorientiert stärken

Arzt-Patienten-KommunikationUnsere Gesprächspartnerin: Monika Keller
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Publication Date:
29 March 2005 (online)

Studium der Medizin in München, Ausbildung in München, Ulm und Heidelberg, Fachärztin für Innere Medizin und Psychotherapeutische Medizin, seit 1998 Ärztliche Leiterin der Psychosozialen Nachsorgeeinrichtung an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg, Forschungsschwerpunkt: Psychoonkologie und psychosoziale Aspekte

DZO:

Was ist für Sie das Hauptproblem bei der Kommunikation zwischen Arzt und Tumorpatient bzw. zwischen Arzt und Angehörigen?

Dr. Keller:

Eines der Hauptprobleme ist nach wie vor, schlechte Nachrichten, sogenannte „bad news” zu überbringen. Dies betrifft in letzter Zeit, mit verbesserten Behandlungsmöglichkeiten, viel weniger die Übermittlung der Erstdiagnose einer Krebserkrankung, sondern vielmehr die Mitteilung, dass keine Heilung mehr möglich ist oder dass palliative Therapieverfahren erfolglos sind. Letztlich geht es um die Kommunikation der Ohnmacht gegenüber Sterben und Tod.

Ungeachtet der Tatsache, dass inzwischen sehr viel offener mit Patienten über ihre Diagnose und auch Prognose gesprochen wird - eine Entwicklung der letzten zwanzig Jahre, die manchmal übersehen wird -, bleibt die Schwierigkeit da, wo es nicht um Heilung, sondern um begrenzte Lebenszeit und Sterben des Patienten geht. Dabei bekommen es Betroffene ebenso wie Ärzte unweigerlich mit tief verwurzelten Mythen zu tun: etwa, dass das Sprechen über einen möglichen Tod gleichgesetzt wird mit „den Tod überbringen”. Alle klinischen Erfahrungen sprechen dagegen: mit der Kommunikation über einen möglichen oder wahrscheinlichen Tod und die damit verbundenen Gefühle wird keinesfalls das Sterben eines Menschen antizipiert oder gar gebilligt. Es sollte nicht übersehen werden, wie sehr onkologisch tätige Ärzte selber durch die dauernde Konfrontation mit ungünstigen Krankheitsverläufen und erfolglosen Therapien belastet sind. Auch mit langjähriger klinischer Erfahrung fällt es vielen Ärzten unverändert schwer, mit Patienten über eine ungünstige Prognose, über Sterben und Tod zu sprechen und mit der eigenen Hilflosigkeit zurecht zu kommen; eine Beanspruchung, auf die sie kaum oder gar nicht vorbereitet werden.

DZO:

In diversen Publikationen berichten Sie von einem speziellen Training für Ärzte, das helfen soll, schwierige Gesprächssituationen mit Tumorpatienten und deren Angehörigen besser zu bewältigen. Wie muss man sich solche Kurse in der Praxis vorstellen?

Dr. Keller:

Kommunikation, hier verstanden als hilfreiche Gesprächsführung zwischen Arzt und Patient, lässt sich nur sehr begrenzt aus Büchern lernen und theoretisch vermitteln. Deshalb ist das zentrale Element von sogenannten Kommunikationstrainings, dass Ärzte durch eigene Übungen z.B. in Rollenspielen konkrete eigene Erfahrungen machen und durch ein gezieltes Feedback, sowohl aufgrund von Videoaufnahmen als auch durch die anderen Kollegen, lernen, die eigenen Formen der Kommunikation wahrzunehmen und zu reflektieren. Ein wichtiges Element bei diesen Kursen ist, dass Ärzte die persönliche Erfahrung machen, wie sehr Selbst- und Fremdwahrnehmung divergieren können. Um ein Beispiel zu nennen: ein Arzt hat sich in einer Aufklärungssituation sehr inkompetent und hilflos gefühlt, während der Patient ihn als einfühlend und stützend erlebt hat. Natürlich kann es auch umgekehrt sein: ein Arzt ist davon überzeugt, einfühlsam auf den Patienten einzugehen, während sich der Patient überrumpelt oder abgewiesen fühlt. Und dazu bekommen Ärzte im klinischen Alltag keine Rückmeldungen. Durch sogenannte Mikro-Interaktionsanalysen anhand von Videoaufnahmen können Interaktionsabläufe nachvollzogen werden; dann wird besser verständlich, an welcher Stelle ein Gespräch z.B. aus dem Ruder läuft, oder warum der Kontakt schwierig wird. Voraussetzung für solche Kurse ist, dass sie in kleinen Gruppen, mit kompetenten und erfahrenen, vorrangig ärztlichen Trainern durchgeführt werden. Jeder Teilnehmer muss die Gelegenheit haben, selber in der Arzt-, eventuell auch in der Patientenrolle eigene Interaktionserfahrungen zu machen und ein konstruktives Feedback zu bekommen. Zudem ist ein gewisser minimaler Zeitaufwand unumgänglich, da sich interaktives Lernen nicht beliebig beschleunigen lässt. Das absolute Minimum ist ein Tag für ein solches Training.

DZO:

Welchen Einfluss hat eine solche Schulung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis? Gibt es dazu konkrete Untersuchungen?

Dr. Keller:

Inzwischen haben sich international mehrere Arbeitsgruppen mit der Entwicklung geeigneter Weiterbildungsmethoden befasst, die auch erfahrenen Onkologen einen persönlichen Nutzen ermöglichen und deren Fähigkeit zu effektiver patientenorientierter Kommunikation weiter verbessern können. In verschiedenen neueren Studien konnte belegt werden, dass sich die Zufriedenheit von Patienten verbessert. Es gibt auch einige Anhaltspunkte dafür, dass Patienten mit einer verbesserten Kommunikation seitens ihrer Ärzte eine bessere Lebensqualität wahrnehmen. Die Effektivität, was die Kompetenz von onkologisch tätigen Ärzten betrifft, lässt sich anhand von speziellen Auswertungsverfahren eindrücklich nachweisen. Dies betrifft besonders veränderte Gesprächsformen, z.B. das Ansprechen von emotionalen Inhalten, das Reagieren auf verbale oder nonverbale Signale des Patienten und eine stärker auf Symmetrie und Gegenseitigkeit zielende Gesprächsführung.

Deutlich wurde bei diesen Studien auch, dass es längerer Trainingszeiten bedarf, um die Einstellung und Haltung von Ärzten, gerade im Umgang mit Grenzen und eigener Hilflosigkeit, anhaltend und längerfristig zu verbessern. Inzwischen liegen auch Untersuchungsergebnisse vor, dass sich nicht nur die Arzt-Patienten-Kommunikation, sondern auch die Kommunikation zwischen Arzt und Angehörigen verbessert, wenn Ärzte an einem längerfristigen Training teilgenommen haben. Auch hier zeigt sich, dass eine gewisse Mindestdosis an Weiterbildung erforderlich ist, um messbare Ergebnisse bei Ärzten nachzuweisen.

DZO:

Können anhand von solchen Trainingsprogrammen Empathie und einfühlsame Kommunikation überhaupt erlernt werden?

Dr. Keller:

Es ist richtig, dass der Begriff „Trainingsprogramm” ein etwas mechanistisches Vorgehen suggeriert, was aber ganz sicher nicht der Fall ist. Persönliche - zwangsläufig emotionale - Erfahrungen sind ja die Vorrausetzung für eine effektive Kommunikation über existenzielle Fragen. Tatsächlich ist es viel einfacher, eine bestimmte Art des Gesprächsstils zu lernen, als die ärztliche Haltung im Sinne vermehrter Einfühlung zu verändern, dennoch ist es zweifelsfrei, auch in Untersuchungen gut belegt, dass die Einfühlungsfähigkeit der Ärzte tatsächlich zunimmt. Unübersehbar stellt auch die extreme Arbeitsbelastung vieler onkologisch tätiger Ärzte eine Barriere gegenüber einem „Zuviel” an Mitfühlen mit Patienten dar. Daher kann ein solches Trainingsprogramm nur so wirksam sein, wie die Arbeitsbedingungen von Ärzten ausreichend menschenwürdig gestaltet werden. Dies ausdrücklich zu betonen ist umso wichtiger, als die aktuelle Tendenz zu einer „fast track”-Medizin einer patientenorientierten Haltung diametral entgegensteht.

Ein weiterer Gesichtspunkt: Der Wunsch nach Empathie und Einfühlung bestimmt in hohem Maß die Motivation von Studenten und jungen Ärzten. Daher ist es eine unserer Strategien, bereits Medizinstudenten während ihrer klinischen Ausbildung solche Möglichkeiten gezielter Gesprächsführung anzubieten, mit denen sie lernen können, wie sich wirksame ärztliche Kommunikation mit Einfühlung in das Erleben des Patienten verbinden lässt, ohne das Risiko, selber „ausgebrannt” oder abgestumpft zu werden.

DZO:

Was raten Sie ärztlichen Kollegen, worauf bei der Mitteilung einer schwerwiegenden Diagnose geachtet werden sollte?

Dr. Keller:

Sicher gibt es nicht den idealen Trick, sonst wäre er schon längst Bestandteil jeder ärztlichen Ausbildung. Wichtig ist, das individuelle Erleben von den Patienten selber zu erfahren. Dies vor allem, weil viele Ärzte den Anspruch hatten, bereits im Vornherein zu wissen, wie ein Patient auf eine ungünstige Diagnosemitteilung reagiert. Da wir keine Propheten sind, es gar nicht wissen können, bringt es oft eine überraschende Wende im Gespräch, wenn man von einem Patienten selber dessen gedankliche und gefühlsmäßige Reaktion erfährt, an der sich dann das weitere Gespräch orientieren kann.

DZO:

Stichwort: Hoffnung trotz Wahrheit. Aufklärungsgespräche orientieren sich neuerdings am Prinzip radikaler Offenheit. Ist jedem Patienten die Wahrheit überhaupt zumutbar?

Dr. Keller:

Ärzte haben sich viel zu lange dafür verantwortlich gefühlt, was einem Patienten zumutbar ist. Dies ist zweifellos das Relikt einer patriarchalen Arzt-Patienten-Beziehungsgestaltung, die in den letzten Jahren sehr viel mehr einer partnerschaftlichen Sichtweise der Arzt-Patienten-Beziehung gewichen ist. Deshalb sollten Patienten selber entscheiden können, wie viel sie im Augenblick an Wissen und Informationen haben wollen, d.h. auch, was sie im Augenblick verarbeiten können und was vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt für sie wichtig sein könnte. Auch hier gilt, dass man sich in jedem Fall an individuellen Bedürfnissen und Wünschen des Patienten zu orientieren hat und mit ihm gemeinsam herausfinden kann, was und wie viel er im Augenblick erfahren möchte. Alle Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben uns gezeigt, dass Patienten auch mit zunächst „schlimmen Wahrheiten” sehr viel besser zurechtkommen, als von ihren Ärzten vermutet. Die Befürchtung, Ärzte könnten Patienten mit der ganzen Wahrheit ihre Hoffnung nehmen, hat sich nicht bewahrheitet. Dabei sollte man sich die Fähigkeit von Patienten vor Augen führen, sich gegen ein individuell unerträglich geglaubtes Wissen - vorübergehend oder anhaltend - durch Verleugnung abzuschirmen. Diese Verleugnung als einen wichtigen Schutzmechanismus zu verstehen und in den meisten Fällen auch zu respektieren, ist daher ein wichtiger Aspekt.

DZO:

Was sollte Ihrer Meinung nach zukünftig getan werden, um eine einfühlsame Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu fördern und die psychosoziale Nachsorge flächendeckend zu gewährleisten?

Dr. Keller:

Was wir zweifelsohne brauchen, ist eine veränderte Kommunikationskultur. Sie muss mit der Ausbildung während des Medizinstudiums, mit einer patientenzentrierten Kommunikation beginnen, darf dort jedoch nicht enden. Sie ist jungen Assistenzärzten während ihrer klinischen Ausbildung nach dem Prinzip des „steten Tropfens” als ein elementarer Weiterbildungsinhalt zu vermitteln. Hier sehe ich auch eine Verpflichtung der anleitenden Oberärzte und Vorgesetzten. Zudem muss eine verbindliche und strukturierte Weiterbildung ein Standardniveau an patientenorientierter Kommunikation gewährleisten.

DZO:

Welchen Stellenwert messen Sie Entspannungsverfahren, wie z.B. Autogenes Training, in der Krankheitsbewältigung bei?

Dr. Keller:

Entspannungsverfahren haben fraglos viele Vorteile. Einer der wichtigsten ist der, dass Patienten aus der passiven Rolle, in die sie infolge der Tumorbehandlung oft geraten, eine Möglichkeit haben, eigene Aktivitäten entwickeln können, mit denen sie selber etwas für sich tun können. Entspannungsverfahren haben nachweislich positive Auswirkungen auf körperliche Beschwerden, z.B. Schmerzen, sie machen auch belastende Behandlungen wie Chemo- und Strahlentherapie besser verträglich und verringern Nebenwirkungen der Tumortherapie. Sie stellen darüber hinaus eine wirksame Methode dar, Abstand von belastenden oder vielleicht überwältigenden Phasen der Behandlung und Krankheitsverarbeitung zu bekommen. Da nicht jedes Entspannungsverfahren für alle gleich geeignet ist, sollten Patienten ermutigt werden, das für sie geeignete Verfahren herauszufinden. Nur so kann gewährleistet werden, dass sie regelmäßig geübt und im Alltagsleben integriert werden. Daran scheitert leider in der meisten Fällen eine wirksame Verankerung, z.B. auch in der Behandlung von Tumorerkrankungen. Hinzuzufügen wäre, dass keine - wissenschaftlich haltbaren - Belege für einen Einfluss dieser Verfahren auf den somatischen Krankheitsverlauf existieren.

DZO:

Frau Dr. Keller, zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Dr. Keller:

Zum einen gehört die eigene Selbsterfahrung im Rahmen einer fundierten psychotherapeutischen Ausbildung unverzichtbar dazu, um mit beruflichen Belastungen so zurecht zu kommen, dass sie sich nicht nachteilig auf seelisches und körperliches Befinden auswirken. Dazu zählt auch die eigene Erfahrung, dass Trauer, Schmerz und Zorn zum Leben gehören, die nicht unterdrückt werden sollten, sondern wahrgenommen und integriert werden können. Dazu braucht es die Sicherheit tragfähiger und verlässlicher Beziehungen zu anderen Menschen. Und nicht zuletzt führt die Konfrontation mit unseren Grenzen auch dazu, das eigene Leben, die eigene Gesundheit wertzuschätzen und zu genießen und sie nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen.

DZO: Frau Dr. Keller, vielen Dank für das Gespräch.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Monika Keller

Psychosoziale Nachsorgeeinrichtung Chirurgische Universitätsklinik Heidelberg

Im Neuenheimer Feld 155

69120 Heidelberg

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