Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(12): 629-630
DOI: 10.1055/s-2005-865071
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Herzerkrankungen im Alter[1]

Cardiovascular disease in the elderlyK. Werdan1 , E. Erdmann2
  • 1Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III, Zentrum für Innere Medizin der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg
  • 2Klinik III für Innere Medizin der Universität zu Köln
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Publication History

eingereicht: 9.3.2005

akzeptiert: 10.3.2005

Publication Date:
18 March 2005 (online)

Die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung vom 31. März bis 2. April in Mannheim steht unter dem Motto „Herzerkrankungen beim älteren Patienten”. Sie möchte damit spezifische Aspekte bei der Behandlung älterer, alter und sehr alter Herzpatienten beleuchten, Bekanntes vermitteln, aber auch Lücken in unserem Verständnis aufzeigen.

„Jedes zweite kleine Mädchen, das wir heute auf den Straßen sehen, hat eine Lebenserwartung von 100 Jahren, jeder zweite Junge wird aller Voraussicht nach 95.” Mit diesem aufrüttelnden Satz weist Frank Schirrmacher in seinem Buch „Das Methusalem-Komplott” eindringlich auf die in der Zukunft zu bewältigenden Aufgaben unserer Gesellschaft infolge der demographischen Entwicklung hin.

Aber nicht nur „die Gesellschaft”, sondern auch „wir” werden diese Entwicklung meistern müssen! Sind „wir” Herz-Kreislauf-Ärzte ausreichend vorbereitet, um nicht nur den älteren (> 65 Jahre) Patienten, sondern auch die zunehmende Zahl alter (> 75 Jahre) und sehr alter (> 85 Jahre) Patienten optimal zu betreuen, ihnen den bestmöglichen nachhaltigen Nutzen unserer Medizin zuteil werden zu lassen, bei einem vertretbaren und kalkulierten Risiko? Dabei geht es natürlich nicht primär nur darum, die vorgegebene Lebensspanne noch weiter auszudehnen, obwohl auch diesbezüglich noch viel erwartet werden darf: in den letzten 60 Jahren ist die mittlere Lebenserwartung um mehr als zehn Jahre gestiegen. Aber immer wichtiger wird mit zunehmendem Lebensalter auch der Wunsch, ein Leben in Autonomie mit guter Lebensqualität führen zu können und nicht durch Schlaganfall, Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz geschwächt und behindert als Pflegebedürftiger den Rest seines Lebens verbringen zu müssen.

Wollen wir diese berechtigten Wünsche unserer älteren, alten und sehr alten Patienten erfüllen, so haben wir Ärzte noch zahlreiche „Hausaufgaben” zu erledigen: Was gilt es bei ärztlicher Betreuung, Prävention, medikamentöser, interventioneller und operativer Behandlung des älteren Herz- bzw. Gefäßpatienten zu beachten? Wie können wir ihm seine Autonomie möglichst lange erhalten? Bilden unsere Leitlinienempfehlungen den älteren, alten und sehr alten Patienten ausreichend ab? Lässt sich der Alterungsprozess am Herzen verlangsamen und damit das Auftreten altersbedingter Herzerkrankungen hintanhalten? Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden!

Häufig bleibt es jedoch gerade im Bereich der Präventionsforschung und insbesondere bei den Präventivmaßnahmen für alte Menschen bei Lippenbekenntnissen, denen keine echten Anstrengungen folgen. Wo wird zum Beispiel an deutschen Hochschulen die Präventivmedizin in den Curricula der Studenten fachübergreifend fest eingebunden (Ringvorlesung)? Welche deutsche medizinische Fakultät fördert aktiv die Forschung im Bereich der allgemeinen oder gerontologischen Präventivmedizin? Oder wird dieses Thema nur aufgegriffen, weil es zur Zeit in Erwartung staatlicher Förderungsmittel politisch opportun ist?

Bereits jetzt gibt es natürlich eine Vielzahl von Maßnahmen, die in der Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen alter Menschen als gesichert gelten müssen. Zu diesen Maßnahmen gehört zum Beispiel die optimale Einstellung der arteriellen Hypertonie beim alten Menschen. Häufig ertappen wir uns selbst ja bei einer gewissen Zurückhaltung, den hohen Blutdruck alter Menschen zu normalisieren. Es ist erstaunlich, wie hartnäckig sich die Fama des physiologischen Altershochdruck hält. Dabei ist seit mindestens 15 Jahren eindeutig belegt, dass die ausreichende Behandlung des hohen Blutdrucks in dieser Altersgruppe die höchste Effizienz und die niedrigste „number needed to treat” aufweist.

Ein anderes eher kontrovers diskutiertes Thema ist die Verordnung von blutverdünnenden Medikamenten wie zum Beispiel Marcumar bei älteren Menschen mit Vorhofflimmern. Auch hier wird häufig übersehen, dass gerade diese Patientengruppe das höchste Risiko für einen Schlaganfall aufweist und dadurch überproportional von einer Antikoagulantien-Therapie profitiert.

Den Alterungsprozess am Herzen zu verlangsamen und damit altersbedingte Herzerkrankungen hintanzuhalten muss keine Utopie sein! Wollen wir diese „Jungbrunnen-” oder - moderner formuliert - „Anti-Ageing-Medizin” nicht ausschließlich einer nicht nur an Evidenz-basierten Therapiezielen orientierten Wellness-Medizin überlassen, so müssen wir diese Alterungsprozesse am Herzen viel besser verstehen lernen, als wir dies heute tun. Beim Blick über den Zaun können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass dies in manchen Ländern sehr viel klarer erkannt worden ist als im eigenen Land: Auf unserer Jahrestagung hält Professor Edward Lakatta aus Baltimore einen Festvortrag mit dem Titel „What we don’t know about the aging heart”. Prof. Lakatta ist Direktor des „Laboratory of Cardiovascular Science”, im „Gerontology Research Centre“, einem NIH-geförderten Institut. Auch für Deutschland würde man sich eine vergleichbare Unterstützung für die kardiovaskuläre Altersforschung wünschen! Dabei kann dieser an der praktischen Medizin orientierte Forschungszweig sicherlich eine mindestens ebenbürtige Relevanz für die Bevölkerung aufweisen wie die derzeit mehr im Fokus der Forschungsförderung stehenden Themen. Es ist und bleibt anscheinend in Deutschland schwierig, ein Querschnittsfach wie das der kardiovaskulären Altersforschung - mit sowohl Grundlagen- als auch klinischer Orientierung - in gebührender Weise zu fördern.

Zweifellos wird der alte und der sehr alte Herzpatient in vielen Fällen bei der Behandlung seiner Erkrankung einer längeren und oft komplexeren Krankenhausbetreuung bedürfen als der jüngere Patient, denken wir doch nur an die ambulant oder stationär durchzuführende perkutane Koronarintervention oder an die perioperative Phase bei einer Herzklappen- oder einer koronaren Bypassoperation. Diese Problematik wird uns aufgrund der demographischen Entwicklung in Zukunft sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht noch mehr als bisher beschäftigen, und sie wird finanzierbar in unserem Erstattungssystem abgebildet sein. Sowohl die konservative als auch die operative Notfall- und Intensivmedizin werden aufgrund dieser demographischen Entwicklung innerhalb der Krankenhausmedizin einen immer größeren Raum einnehmen. Aufgrund des Kostendrucks versuchen deshalb viele Krankenhäuser, hier neue Wege zu gehen, indem sie das bewährte Prinzip der Grundstruktur sowohl einer konservativen als auch einer operativen Intensiv- und Notfallmedizin mit jeweils eigenem Verantwortungsbereich der Internisten und Neurologen auf der einen und der Anästhesisten und Chirurgen auf der anderen Seite gegen das scheinbar kostengünstigere Konzept einer zusammengefassten „interdisziplinären” - interdisziplinär war die Intensivmedizin schon immer! - ausgetauscht werden soll. Sicherlich können organisatorische Zusammenschlüsse Geld sparen, hinsichtlich der Qualität der Patientenversorgung muss aber jedes neue Konzept erst einmal anhand von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität den Nachweis erbringen, dass es dem bisherigen Behandlungskonzept aus medizinischer Sicht überlegen ist. Dies sollten wir auch im Falle der notfall- und intensivmedizinischen Betreuung für unsere Patienten einfordern; solange diese verbesserte Qualität nicht belegt ist, sollten wir an den bewährten Strukturen der fachspezifisch geführten konservativen und operativen Intensivstationen unbedingt festhalten, für die es seit 25 Jahren zwischen den internistischen, chirurgischen und anästhesiologischen Fachgesellschaften schriftlich fixierte Absprachen gibt. Darin sind sich erfreulicherweise sehr viele Kardiologen/Internisten, Herzchirurgen/Chirurgen und Anästhesisten auch heute noch einig.

Liebe DMW-Leserinnen und -Leser, das vorliegende „dicke” Schwerpunktheft „Kardiologie” zur 71. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie-, Herz- und Kreislaufforschung bietet Ihnen ein breites Spektrum an interessanten Artikeln aus den Gebieten der kardiovaskulären Gerontologie und Geriatrie sowie der kardiologischen Notfall- und Intensivmedizin. Sie finden interessante und aktuelle Beiträge zu wichtigen Krankheitsbildern und Therapiekonzepten - Herzinfarkt, Vorhofflimmern, Prävention, Vitien, Synkopen, systolische und diastolische Herzinsuffizienz, perkutane Koronarintervention und Herzoperation, kardiologisch-intensivmedizinische Betreuung - des alten und sehr alten Patienten und damit Informationen, die Ihnen sicherlich bei Ihrer täglichen Patientenbetreuung in der einen oder anderen Form hilfreich sein können. Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall „herzlich” viel Freude beim Lesen.

1 Den beiden Herausgebern dieses Schwerpunkthefts „Kardiologie“ ist es Ehre, aber Verpflichtung zugleich, sich zu den Schülern von Professor Riecker zählen zu dürfen (s. S. 758).

1 Den beiden Herausgebern dieses Schwerpunkthefts „Kardiologie“ ist es Ehre, aber Verpflichtung zugleich, sich zu den Schülern von Professor Riecker zählen zu dürfen (s. S. 758).

Prof. Dr. Karl Werdan

Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III
Zentrum für Innere Medizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Ernst-Grube-Straße 40

06120 Halle (Saale)

Phone: 0345/5572601

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Email: karl.werdan@medizin.uni-halle.de