Geburtshilfe Frauenheilkd 2005; 65(9): 843
DOI: 10.1055/s-2005-865860
Editorial

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Welchen Erkenntnisgewinn bringt die Epidemiologie?

What is the Message of Epidemiology?M. Breckwoldt1
  • 1Universitätsklinikum Freiburg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
18. Oktober 2005 (online)

In der Diskussion über das Nutzen-Risiko-Profil einer Hormon-Ersatz-Therapie (HRT), an der sich neben Fachgremien auch Journalisten der Laienpresse beteiligen, bezieht man sich auf Befunde aus epidemiologischen Studien.

Angesichts der Flut von solchen Daten stellt sich zwangsläufig die oben formulierte Frage, zumal wenn man bedenkt, mit welchem gewaltigen Kostenaufwand solche Untersuchungen erstellt werden.

Für den gynäkologischen Bereich sind hier die Nurse's Health Study, die HERS-Study, die Women Health Initiative und die Million Women Study als die wichtigsten und umfangreichsten zu nennen. Daneben gibt es eine Vielzahl von Beobachtungs- und Fallkontrollstudien zu Einzelaspekten.

Die Schwierigkeiten und Probleme solcher Untersuchungen beginnen mit der Antragstellung, ihrer wissenschaftlichen und ethischen Bewertung, der Rekrutierung geeigneter Probanden und Kontrollpersonen, der Definition von Ein- und Ausschlusskriterien und enden mit der Interpretation der gewonnenen Ergebnisse.

Daher verwundert es nicht, dass die meisten dieser Studien unmittelbar nach ihrem Erscheinen wegen unzureichender Methodik oder falscher Probandenauswahl kritisiert und infrage gestellt werden. Es folgen dann Einzelanalysen, Meta- und Reanalysen. Am Ende ist die Verwirrung und Verunsicherung komplett und der Ruf nach einer weiteren Untersuchung wird laut.

Vermutlich wird von der Pharmaepidemiologie zuviel erwartet, da dieses Instrument sich als störanfällig erwiesen hat und somit nur begrenzt Grundlage für klare und eindeutige therapeutische Empfehlungen sein kann.

Die Epidemiologie ist eine Wissenschaft, die primär gleichzeitig vorkommende Ereignisse erfasst und diese dokumentiert ohne a priori daraus Kausalzusammenhänge ableiten zu wollen. Kausalverknüpfungen ergeben sich erst dann, wenn zwei Ereignisse überdurchschnittlich häufig zusammentreffen und zudem eine pharmakologische oder biologische Plausibilität erkennbar wird. Diese Plausibilität ist zweifellos bei dem Zusammenhang zwischen der HRT und dem Mammakarzinom-Risiko gegeben. Gleiches gilt auch für thromboembolische Ereignisse.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu und auch ohne epidemiologische Grundlage verständlich.

Der Frauenarzt sieht sich bei der Beratung seiner Patientin zur HRT in dem Dilemma, die statistisch errechneten Risiken auf den Einzelfall anwenden zu müssen. Dabei ist es sicher nützlich, sich nicht nur an den relativen, also wahrscheinlichen Risiken zu orientieren, sondern auch das Ausmaß des absoluten Risikos zu kennen.

Die ganze Diskussion um die epidemiologischen Befunde zur HRT hat aus meiner Sicht die Einsicht gebracht, dass wir uns wieder auf ein altes und bewährtes ärztliches Grundprinzip besinnen sollten: keine Therapie ohne Indikation.

Prof. Dr. med. Meinert Breckwoldt

Wohnhaldestraße 9

79100 Freiburg