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DOI: 10.1055/s-2005-866747
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Politische Vorgaben und deren Umsetzung: Kann ein effizientes Management einer psychiatrischen Abteilung trotz Arbeitszeitgesetz, Praxisgebühr und anderer Neuerungen gelingen?
Political Decisions and Appliance: Can an Efficient Management of a Psychiatric Department be Successful Despite Working Time Law, Practice Fee and Other Innovations?Publication History
Publication Date:
07 April 2005 (online)
In der Leitung einer psychiatrischen Abteilung am Allgemeinkrankenhaus mit Versorgungsverpflichtung ergibt sich durch die zahlreichen Veränderungen von Regelungen im Umfeld ärztlicher Tätigkeit in den letzten Monaten die Notwendigkeit, auf diese Neuerungen zu reagieren und eine Haltung dazu zu gewinnen, die gegenüber Mitarbeitern, Kollegen, Patienten und deren Angehörigen kommuniziert werden und von diesen verstanden werden kann. Dies ist keinesfalls ein leichtes Unterfangen, da die Veränderungen vielfältig sind und unterschiedliche Ebenen betreffen. Im Folgenden soll dies anhand einer praxisorientierten Systematik und der sich daraus ableitenden Konsequenzen für die psychiatrischen Alltagsaufgaben dargestellt werden.
Einerseits sind Veränderungen zu nennen, die die Berufsgruppe der Ärzte betreffen: nämlich die Abschaffung des AIP sowie das Arbeitszeitgesetz. Die AIP-Abschaffung hat in unterschiedlichen Häusern zu unterschiedlichen Lösungen geführt. Häuser, die ein Problem in der Besetzung ihrer Assistentenstellen haben, konnten Kollegen halten oder gewinnen, indem sie allen, die es betraf, Assistenzarztverträge angeboten haben. Dies dürfte vor allem in ländlichen strukturschwachen Gebieten an einzelnen Stellen auch zu Entlastungen beigetragen haben. Die Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes ist an vielen Häusern noch nicht in die Wege geleitet worden. Man versucht, so lange es irgend geht, diese Veränderung hinauszuschieben. Dies scheint insbesondere kleinere Abteilungen zu betreffen, die erwartbar mit einer von den meisten Verwaltungen geforderten kostenneutralen Umsetzung in große Schwierigkeiten geraten dürften, sowie Kliniken, in denen ein ausgeprägter Ärztemangel herrscht. Unabhängig von der Größe des Hauses stellt das Arbeitszeitgesetz für die allseits geforderte Kontinuität ärztlicher Versorgung psychisch Kranker eine extreme Herausforderung dar.
Darüber hinaus müssen Antworten für die Herausforderungen der Gesundheitsreform gefunden werden. Dies betrifft auf der Ebene des direkten Patientenkontaktes neben der Praxisgebühr die Veränderungen bei Zuzahlungsbefreiungen und die so genannte "Chroniker-Regelung". In der psychiatrischen Versorgung führen diese Neuerungen vor allem zu einem höheren Arbeitsaufwand in der Berufsgruppe der Sozialarbeiter, die insbesondere für die schwer und akut kranken Patienten wesentliche Hilfestellungen zu leisten haben. Dies dürfte sich mit der Umsetzung von Hartz IV weiter zuspitzen, vor allem wenn Patienten Unterlagen nicht rechtzeitig ausfüllen und dann im Rahmen von daraus erwachsenden Konfliktsituationen dekompensieren. Die Veränderungen in der Zuzahlungspraxis führen in der Psychiatrie zu einem unlösbaren Problem bei Patienten mit störungsbedingt mangelnder Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft. Diesen Menschen nun auch noch für etwas, was sie erkrankungsbedingt ohnehin nicht für sinnvoll erachten (können), eine Zuzahlung abzuverlangen, führt zu Behandlungs- und Kontaktabbrüchen, die wiederum mit Rückfällen und vermehrten Krankenhausaufenthalten einhergehen. An dieser Stelle ist ein besonderes Problem, dass das Absetzen von Psychopharmaka und der Rückzug aus Kontakten nicht innerhalb von kurzen Zeiträumen gesellschaftlich für alle Menschen sichtbar wird. Jeder klinisch tätige Psychiater wird aber Patienten kennen, die nicht mehr in die Behandlung kommen, weil sie die Praxisgebühr nicht entrichten können oder dies aufgrund mangelnder Krankheitseinsicht auch nicht wollen oder die die Medikation ablehnen oder von selbst reduzieren, weil es ihnen ja gut geht und die Kosten hoch sind. Auch hier steigen die Betreuungskosten entweder dadurch, dass noch mehr professioneller Aufwand zur Sicherung der Compliance nötig ist oder vermehrter Betreuungsbedarf bei Exazerbationen anfällt, was wiederum mit einem sehr engen Personalschlüssel vor allem in kleinen Abteilungen, die z.B. nur über eine Sozialarbeiterstelle verfügen, nahezu nicht lösbar erscheint.
Hinsichtlich der Herausforderungen der Gesundheitsreform auf organisatorischer Ebene gilt es, sich mit Modellen integrierter Versorgung sowie der Einrichtung Medizinischer Versorgungszentren auseinanderzusetzen. Hier fällt es so manch einem Psychiater schwer, die Welt noch zu verstehen: kennt und schätzt er doch mit der Institutsambulanz nach SGB V ein seit langem funktionierendes Modell integrierter Versorgung in der Psychiatrie. Dieses Angebot mit neuen störungsspezifischen Modellen integrierter Versorgung zu ergänzen, bei denen das Risiko in erster Linie beim Leistungserbringer liegt und zu dem noch ein Einstieg in ein Fallpauschalensystem in der Psychiatrie befürchtet werden muss, scheint wenig attraktiv. Die Einrichtung Medizinischer Versorgungszentren wird dem leitenden Psychiater am ehesten von der Geschäftsführung seiner Klinik nahegebracht werden. Gerade Kollegen, die im Osten des Landes tätig sind, werden sich scheuen, alte Poliklinikärzte, die sich nach der Wende unter hohem finanziellen Risiko und nicht immer ganz eigenmotiviert niedergelassen haben, nun 15 Jahre später für das umbenannte Poliklinikmodell begeistern zu wollen. Da außerdem vor allem im ländlichen Bereich Fachärzte schon jetzt fehlen, wird ein Psychiater in Leitungsfunktion einer Klinik sich eher mit der Frage beschäftigen, wie er seine nächste freiwerdende Assistentenstelle mit einem der deutschen Sprache ausreichend mächtigen Arzt besetzen kann, nicht weil er ausländerfeindlich ist, sondern weil das Fach mit der Sprache unteilbar verbunden ist.
Insgesamt ergibt sich daher in der psychiatrischen Versorgung die Anforderung, sich mit multiplen Veränderungen zu beschäftigen, die das Fach eigentlich nur am Rande betreffen, aber langfristig erhebliche Konsequenzen haben werden.
Die Frage ist, welche psychiatrischen Institutionen für diese Veränderungen strukturell gut gerüstet sind. Und hier ergibt sich für die psychiatrische Versorgung ein Problem, das die Versorgungslandschaft erheblich verändern wird, wobei die Anfänge dieser Veränderungen bereits sichtbar werden:
Für all die genannten Probleme dürften größere Häuser oder Häuser, die in größere Klinikkonzerne eingebunden sind, leichter Lösungen finden, als kleine Abteilungen an Kreiskrankenhäusern. Und auch letztere dürften von ihren Verwaltungsleitern dazu animiert werden, Spezialangebote zu entwickeln, die z.B. einen Wettbewerbsvorteil versprechen, indem sie durch Zusatzleistungen eine stabile Belegung sowie steigende Fallzahlen gewährleisten.
Die Gefahr ist, dass dies in der Konsequenz störungsspezifische Angebote und Einrichtungen nach sich ziehen wird, die allein aufgrund der dazu benötigten Fallzahlen in gemeindenahen Strukturen kaum zu schaffen sind. Die Folge werden größere Einzugsbereiche für einzelne Störungsbilder sein und eine Auflösung des Ansatzes einer wohnortnahen psychiatrischen Versorgung. Aus versorgungspsychiatrischer Sicht und praktischer Erfahrung der letzten Monate sind die beschriebenen Veränderungen daher mit Rückschritten in der gemeindenahen Behandlung psychisch Kranker verbunden, deren Ausmaß derzeit noch nicht abzusehen ist.
Eine gewissenhafte Klinikleitung hat jedoch sowohl Verantwortung für Mitarbeiter und das wirtschaftliche Ergebnis der Einrichtung als auch für die inhaltliche Umsetzung. Diese "Quadratur des Kreises" scheint in der psychiatrischen Abteilung am Allgemeinkrankenhaus derzeit nur mit einer Fülle von Kompromissen an das Konzept gemeindenaher Versorgung psychisch Kranker erreichbar zu sein. Diese betreffen vor allem störungsspezifische Erweiterungen des inhaltlichen Angebots mit dem erklärten Ziel überregionaler Aufnahmen und damit einhergehender Vergrößerungen der Abteilungen.
Die Gefahr, dass das Ziel der Enquete einer personenzentrierten gemeindenahen Versorgung den letztlich ökonomischen Erwägungen der jüngsten Veränderungen im Gesundheitswesen weicht, ist hoch. Die Chance, dies dennoch zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu nutzen, wird angesichts der zunehmenden Gebundenheit der Chefärzte und Chefärztinnen an Trägerinteressen immer kleiner.