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DOI: 10.1055/s-2005-866749
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Gesundheitsökonomie in Psychotherapie und Psychiatrie
Publication History
Publication Date:
07 April 2005 (online)
Ein gerade in den aktuellen Diskussionen um Reformen des Gesundheitssystems unerlässliches Buch ist die Zusammenstellung der wesentlichen deutschsprachigen gesundheitsökonomischen Studien im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie von Vogel und Wasem. Nachdem sich Wirksamkeitsstudien in den letzten Jahrzehnten in den beiden medizinischen Fächern etabliert haben, zeigen die Autoren auf, dass bezüglich gesundheitsökonomischer Untersuchungen die Forschung noch relativ am Anfang steht. Das Buch stellt die ersten, in vielem beispielhaften oder richtungsweisenden Projekte dar, diskutiert aber daneben auch die ganze Bandbreite der methodischen Probleme innerhalb der Gesundheitsökonomie in den genannten Fächern.
Dabei werden auch für nicht ökonomisch Vorgebildete in didaktisch sinnvoller und relativ übersichtlicher Weise viele Begriffe erklärt und kritisch diskutiert. Am Beispiel der Schizophrenie wird gezeigt, wie hoch die gesamtgesellschaftlichen Kosten einer Erkrankung auch im psychiatrisch/psychotherapeutischen Bereich sein können, wie sehr es hierbei im Ergebnis aber auf den Kostenberechnungsansatz ankommt. Beeindruckende Daten kommen aus der Schweiz: Laut einer Übersichtsstudie (Frei) könnten dort bei einer adäquaten Behandlung der psychotherapeutisch behandlungsbedürftigen und behandelbaren Fälle im Gesundheitssystem netto zirka eine Milliarde Schweizer Franken jährlich eingespart werden. Immer wieder zeigt sich in den Studien auch, dass nicht anders als in den somatischen Fächern, bei mehr ambulanter und weniger stationärer Therapie die Kosten deutlich reduziert werden könnten. In diesem Zusammenhang sind die beiden Beiträge über die stationäre Rehabilitation erwähnenswert - der eine (Irle et al.) bleibt in der positiven Analyse der Leistungen der Rentenversicherung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation eher zurückhaltend und scheint damit eher das Vorurteil zu bestätigen, dass Effektivität und Effizienz der psychosomatischen Rehabilitation empirisch nicht gesichert seien. Der andere Beitrag (Zielke) weist durch eine recht aufwändige Studie erhebliche gesundheitsökonomische Gewinne - allerdings bei gesamtgesellschaftlicher Betrachtung - durch stationäre verhaltenstherapeutische Rehabilitation nach.
Insgesamt erweist sich das Buch als Pflichtlektüre, nicht nur für Wissenschaftler, die in diesem Feld forschen, sondern auch für leitende Mitarbeiter im Bereich der psychotherapeutisch-psychiatrischen Versorgung sowie für Selbstständige in diesem Bereich. Es hilft, den eigenen Standort zu bestimmen, aus wirtschaftlicher Sicht Entscheidungen zu treffen sowie Neuorientierungen in die Wege zu leiten, und es bietet Anregungen für die eigene klinische Praxis, wie es die Wirkfaktorenforschung ja bereits seit längerem tut. Für die politisch Tätigen sind am Ende sieben Thesen zur zukünftigen Bedeutung gesundheitsökonomischer Analysen in diesem Feld als Diskussionsgrundlage zusammen gestellt (Schmidt-Bodenstein). Für diejenigen, die eine wissenschaftliche Studie planen oder auswerten wollen, sind in einem abschließenden Beitrag wesentliche methodische Gesichtspunkte angeführt (Hessel).
Nicht zuletzt regt das Buch aber durch seine umfassende und recht gut strukturierte Darstellung auch dazu an, über den "Tellerrand" der Gesundheitsökonomie hinauszublicken. Dies geschieht vor allem durch zwei Beiträge ("Case-Management in der psychosozialen Versorgung" und "Psychosoziale Versorgung in der Onkologie") eher ungewollt. Die Autoren (Wendt, Kusch et al.) unterliegen hier der allgemeinen kulturellen Tendenz der Zerlegung des Menschen in seine sozialen Rollen extrem und stülpen ihm damit eine sehr anonymisierte und entfremdende Kommunikationsform über. Wo, wenn nicht in Psychiatrie und Psychotherapie sollte dem "psychischen Ich" aber ein Raum jenseits der Einengung von sozialen Rollen(erwartungen) zur Verfügung stehen?