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DOI: 10.1055/s-2005-866972
Physikalische Medizin und Rehabilitation im Medizinstudium - ein praktisch-medizinisches Fach
Physical Medicine and Rehabilitation in the Undergraduate Medical Education - A Clinical SubjectPublikationsverlauf
Eingegangen: 28. April 2005
Angenommen: 21. Juli 2005
Publikationsdatum:
18. Oktober 2005 (online)
Seit nunmehr zwei Jahren ist die 9. Revision der Approbationsordnung Grundlage der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten. Erklärtes Ziel dieser Revision war es, die zukünftigen Ärztinnen und Ärzte so auszubilden, dass sie in die Lage versetzt werden, die Probleme und Krankheiten ihrer Patientinnen und Patienten zu erkennen und die richtigen medizinischen Interventionen zu veranlassen. Die Ausbildung muss sich also daran orientieren, dass die zukünftigen Ärztinnen und Ärzte klinisch handlungsfähig werden. Eine zweite zentrale Forderung der neuen Approbationsordnung ist das fachübergreifende Denken, wobei ausdrücklich auch die Prävention und Rehabilitation und die psychosozialen Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit als Bestandteil des Studiums genannt werden. Formal ist die Tatsache, dass die Ergebnisse der studienbegleitenden Prüfungen an den Universitäten Bestandteil des Abschlusszeugnisses sind und dass den Universitäten ein breiterer Spielraum bei der Ausgestaltung des Studiums gegeben wird, von großer Bedeutung. Die medizinischen Fakultäten sind aufgefordert, fachübergreifende Unterrichtsveranstaltungen anzubieten.
In dieser Zeitschrift wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass die Physikalische Medizin und Rehabilitation mit der Neuen Approbationsordnung mit dem Querschnittsbereich „Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren” zum Pflichtfach geworden ist und von den Universitäten gelehrt und geprüft werden muss (benoteter Schein) [1]. Zuletzt wurde auch ein Gegenstandskatalog für diesen Querschnittbereich veröffentlicht [2]. Davon unbenommen ist aber die Tatsache, dass die Umsetzung an den einzelnen medizinischen Fakultäten sehr unterschiedlich gehandhabt wird und auch von den verschiedenen Fachgesellschaften unterschiedliche Konzepte verfolgt werden. Dabei macht sich in hohem Maße negativ bemerkbar, dass an den meisten Deutschen Universitäten keine Lehrstühle für Physikalische Medizin und Rehabilitation existieren.
Welches sind nun die häufigsten Umsetzungsmodelle?
Die rehabilitationswissenschaftlich-theoretische Konzeption, die rehabilitationswissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Aspekte des Faches betonen und auf die versicherungsrechtlichen-sozialmedizinischen Aspekte der Rehabilitation in den Mittelpunkt stellen. Die physikalisch-medizinisch-methodische Konzeption, die die klassischen Methoden der Physikalischen Medizin, von der Elektrotherapie über die Hydrotherapie bis hin zur Krankengymnastik, in den Vordergrund stellt und die methodologischen und wirkphysiologischen Aspekte betont. Die naturheilkundlich-komplementärmedizinische Konzeption, die sich ganz auf den Bereich der Naturheilverfahren konzentriert einschließlich der Phytotherapie und Akupunktur sowie alternativmedizinische Verfahren und naturheilkundliche Konzepte lehrt. Die fachspezifische Konzeption, die davon ausgeht, dass die Inhalte des Querschnittsbereichs im Rahmen anderer Fächer abgehandelt werden können, wie z. B. der Orthopädie, der Inneren Medizin oder der Chirurgie oder aber den gesamten Unterricht an auswärtige Kliniken und Fachabteilungen delegiert.
Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Charakterisierung um eine einseitige und vielleicht auch überspitzte Darstellung. Tendenziell ist sie aber sicherlich zutreffend. Darüber hinaus macht sie deutlich, dass sich der Querschnittsbereich nicht dafür eignet, Teilbereiche als repräsentativ für das Ganze darzustellen.
Die oben dargestellten Ziele der Approbationsordnung machen aber in jedem Fall klar, dass sich die Ausbildung in der Physikalischen Medizin und Rehabilitation an der klinischen Anwendung orientieren muss. Lernziel muss sein, dass die Medizinstudentinnen und Medizinstudenten lernen, Indikationen für Physikalische Therapien und Naturheilverfahren sowie für Rehabilitationsmaßnahmen zu erkennen und die richtigen therapeutischen Entscheidungen zu treffen. Hierzu gehört eine funktionell-rehabilitative Anamnese genauso wie die klinisch-funktionelle Untersuchung der Patienten. Auf Basis eines umfassenden Modells der Funktionsfähigkeit, das die Ebene des Individuums genau so berücksichtigt wie den Kontext der Patienten, muss der Student lernen, die verschiedenen Rehabilitationsformen zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen und zu veranlassen. Dabei darf sich die Lehre genau so wenig auf eine einzige Rehabilitationsform (z. B. das stationäre Heilverfahren) beschränken wie auf ein bestimmtes therapeutisches Spektrum (z. B. bestimmte Naturheilverfahren oder krankengymnastische Schulen). Vielmehr muss ein umfassender Unterricht mit Vermittlung des theoretischen Hintergrunds und Einüben klinisch-praktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten erfolgen. Dabei muss das ganze Spektrum der in der Approbationsordnung vorgegebenen Lernmethoden unter Einschluss von Patientenvorstellungen, Unterricht am Patienten mit eigenständiger Untersuchung (sog. Unterricht am Krankenbett) und Seminaren mit problemorientierter Lehr- bzw. Lernweise eingesetzt werden. Auch sind praktische Übungen mit einzelnen Therapieverfahren aus didaktischen Gründen nicht verzichtbar.
Eine so umfassende Lehraufgabe kann nicht „nebenbei” erledigt werden, zumal auch nach der neuen Approbationsordnung eine Lehre auf dem Hintergrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse gefordert wird. Daher bleibt die Durchführung des Unterrichts im Querschnittsbereich durch Lehrstühle für Physikalische Medizin und Rehabilitation, die zugleich an Forschung und Patientenversorgung beteiligt sind, die einzig realistische Perspektive, eine gute Unterrichtsqualität sicherzustellen. Selbstverständlich müssen auch hier im Sinne eines vernetzten fachübergreifenden Lernens weiter Rehabilitationsformen in den Unterricht einbezogen werden, beispielsweise durch Verlagerung einzelner Unterrichtsteile in Kliniken für weiterführende Rehabilitation oder auch ambulante Rehabilitationszentren.
In Universitäten verankerte Abteilungen für Physikalische Medizin und Rehabilitation haben dabei auch die Möglichkeit, Inhalte der Physikalischen Medizin und Rehabilitation in allen Abschnitten des Medizinstudiums durch Lehrexport einzubringen, von der Vorklinik hin bis zum Praktischen Jahr. So sieht beispielsweise der Lehrplan in der Physikalischen Medizin und Rehabilitation an der Medizinischen Hochschule Hannover wie folgt aus:
Im Rahmen der Anatomie: physikalisch-medizinische Untersuchungsmethoden am Beispiel der Untersuchung des Iliolumbalbereichs. In der Ringvorlesung „Einführung in die klinische Medizin” mit den Themen „PMR bei Rückenschmerzen” und „PMR bei Schultererkrankungen”. Im klinischen Untersuchungskurs mit physikalisch-medizinischen Untersuchungstechniken. Im ersten klinischen Studienjahr im Querschnittsbereich „Prävention und Gesundheitsförderung” mit einer Vorlesung zur Prävention von Krankheitsfolgen. Der Querschnittsbereich „Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren” besteht in einem zweiwöchigen ganztägigen Unterricht mit Vorlesungen, praktischen Übungen, Patientenvorstellungen, eigenen Patientenuntersuchungen und Seminaren. An speziellen Unterrichtstagen werden die Studierenden in Rehabilitationskliniken unterrichtet. Ergänzend besteht die Möglichkeit an klinischen Wahlpflichtfächern wie „Balneologie und Medizinische Klimatologie”, „Rehabilitationswesen”, „Manuelle Medizin” und „Naturheilverfahren” teilzunehmen, die ebenfalls als Blockunterricht mit benoteten Scheinen durchgeführt werden. Eine Spezialität ist das Modul „Differenzialdiagnose und Differenzialtherapie”, in dem Symptome und Erkrankungen interdisziplinär dargestellt werden. Hier sind u. a. Themen wie „PMR bei Erkrankungen des Bewegungsapparates” und „Rehabilitation beim Metabolischen Syndrom” vertreten. Schließlich ist es möglich, ein Drittel des Praktischen Jahres außer in der Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation auch in der onkologischen, rheumatologischen oder psychosomatischen Rehabilitation abzuleisten, da entsprechende Rehabilitationskliniken als akademische Lehrkrankenhäuser anerkannt worden sind.
Andere Universitäten mit Abteilungen für Physikalische Medizin und Rehabilitation haben entsprechende Modelle.
Insgesamt muss auch nach internationalen Standards ein umfassender klinisch orientierter Unterricht in Physikalischer Medizin und Rehabilitation gefordert werden, wobei es wichtig ist, dass die Universitäten, wo noch nicht vorhanden, entsprechende Abteilungen aufbauen. Bis dahin muss der Unterricht durch entsprechend klinisch und in der Lehre erfahrene Dozentinnen und Dozenten sichergestellt werden, was aber eine gute Kooperation und enge Kommunikation voraussetzt.
Literatur
- 1 Gutenbrunner C, Reiners A. Empfehlungen zur Umsetzung der neuen Approbationsordnung im Fachgebiet Physikalische Medizin und Rehabilitation. Phys Med Rehab Kuror. 2003; 13 M5-M6
- 2 Mau W, Gülich M, Gutenbrunner C, Lampe B, Morfeld M, Schwarzkopf S R, Smolenski U C. Lernziele im Querschnittsbereich Rehabilitation, Physikalische Medizin und Naturheilverfahren nach der 9. Revision der Approbationsordnung für Ärzte. Phys Med Rehab Kuror. 2004; 14 308-318
Univ.-Prof. Dr. med. Christoph Gutenbrunner
Institut für Balneologie und Medizinische Klimatologie in der Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation · Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
eMail: gutenbrunner.christoph @mh-hannover.de