Zentralbl Gynakol 2005; 127(5): 271-272
DOI: 10.1055/s-2005-872476
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pathophysiologie der Endometriose - eine noch immer offene Frage und ihre Auswirkungen auf Diagnostik und Therapie der Endometriose

Pathophysiology of Endometriosis - Clinical Impact of an Unsolved QuestionR. Gaetje1
  • 1Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
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Publication Date:
29 September 2005 (online)

Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen ist die Pathogenese der Endometriose in ihren zentralen Punkten bis heute ungeklärt. Die aufgestellten Theorien zur Entstehung werden zwar jeweils durch eine Vielzahl klinischer Beobachtungen und wissenschaftlicher Ergebnisse gestützt. Aber weder erklärt ein Modell die verschiedenen Aspekte vollständig, noch ist eines als allgemein gültig anerkannt. Die verschiedenen Modelle lassen sich auf zwei Grundideen zurückführen: Die eine geht von der Hypothese aus, dass sich die Endometriose aus Endometriumszellen, die auf verschiedenen Wegen (transtubar, hämatogen, lymphogen oder durch gestörte uterine Peristaltik) verschleppt werden und sich am Peritoneum bzw. den betroffenen Organen implantieren, entwickelt. Die bekannteste und verbreiteteste Theorie dieser Gruppe ist die Transplantationstheorie von Sampson, die auf der Annahme beruht, dass Endometriumszellen durch retrograde Menstruation in das Abdomen gelangen. Weniger anerkannt sind Vorstellungen der Endometrioseentwicklung durch metaplastische Vorgänge im Peritoneum (Zölom-Metaplasie-Theorie, secondary muellerian system) oder versprengter embryonaler Reste. Die Grundideen dieser Theorien formulierten Russel (Bull John Hopkins Hosp 1899; 10: 8) und Sampson (Am J Obstet Gyneocl 1925; 10: 649; Obstet Gynecol 1927; 14: 422) bereits vor etwa hundert Jahren.

In weiten Bereich der Medizin und Naturwissenschaften wurden insbesondere durch den Einsatz moderner molekularbiologischer Methoden in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Dies trifft sowohl für das Verständnis der Pathophysiologie der Endometriose als auch die diagnostischen und therapeutischen Strategien nur bedingt zu. Da die Pathophysiologie noch nicht geklärt ist, stehen zur Behandlung immer noch nur symptomatische, aber keine kausalen Therapieansätze zur Verfügung. Die konservative Therapie basiert auf der hormonellen Beeinflussung der zyklischen Proliferation/Veränderungen des eutopen und des ektopen Endometriums. Nach Einführung der GnHH-„add-back”-Therapie in der 90-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind keine neuen Therapieformen mehr etabliert worden. Die lokale Hormonbehandlungen der Endometriose durch Levonorgestrelhaltige IUD's, GnRH-Analoga in reduzierter Dosis oder der Einsatz von Aromataseinhibitoren haben sich bisher noch nicht durchsetzen können und sind zudem auch nur als Modifikationen bisher bekannter therapeutischen Optionen anzusehen, die allerdings das Nebenwirkungsspektrum der Hormontherapien günstig beeinflussen können. Innovative neue therapeutische Ansätze sind nicht zu erkennen.

In der Diagnostik gibt es ebenfalls keine entscheidenden Fortschritte. So steht eine nichtinvasive Methode, mit der eine Endometriose diagnostisiert werden kann, nicht zur Verfügung. Bildgebende Verfahren wie das MRT haben die Möglichkeiten in der Diagnostik der Adenomyosis uteri zwar verbessert, die Endometriose des Beckenperitoneums kann aber weiterhin nur durch einen operativen Eingriff - in der Regel eine Laparoskopie - diagnostisiert werden. Ansätze verschiedener Arbeitsgruppen zu einer verbesserten invasiven Diagnostik bzw. Klassifikation der Endometriose haben sich bisher nicht durchgesetzt. Der Schweregrade einer Endometriose nach der „revised American Fertility Society” rAFS-Klassifikation korreliert - wie seit langen bekannt - nicht mit den klinischen Beschwerden einer Patientin. Daraus ließe sich ableiten, die Kriterien bzw. die klinischen Veränderungen, die für die Beurteilung einer Endometrioseerkrankung verwendet werden, entsprechen nicht den Kriterien/Prozessen, die für die pathophysiologische Entwicklung der Endometriose entscheidend sind, bzw. korrelieren mit diesen nicht. Diese Problematik fand in der Forschung der letzten Jahrzehnte keinen Eingang.

Angesichts dieser Situation kommen Barlow und Kennedy (Ann Rev Med 2005; 56: 345-356) zu der Überzeugung, dass „A major reason for this relative lack of progress is undoubtedly the difficulty in obtaining research funding for a condition that does not appear on any list of priorities because it is not life-threatening, even though it is associated with considerable morbidity”. Schon die Zahl der Publikationen, die über „Pubmed” abzurufen sind, spiegelt diese Aussage wider. Während seit 1995 zum Suchbegriff Brustkrebs knapp 75 000, dem Ovarialkarzinom knapp 20 000, wurden zur Endometriose nur etwa 5 000 Arbeiten veröffentlicht. Daran ist abzulesen, dass auf dem Gebiet der Endometriose die wissenschaftliche Forschung verglichen mit der Onkologie mit weniger Ressourcen betrieben wird. Zudem werden häufig neue Erkenntnisse aus anderen Gebieten der medizinischen Forschung, wie z. B. der onkologischen Forschung, mit viel Enthusiasmus auf ihre Rolle in der Pathophysiologie der Endometriose untersucht -meist kann dann aber der Optimismus über die initialen Publikationen hinaus nicht aufrechterhalten werden. Forschungsansätze mit eigenständigen Konzepten sind selten zu finden.

Die Erkrankung Endometriose weist über die typischen Herde im Beckenperitoneum, den ovariellen Endometriomen, der tiefinfiltierender rektovaginalen Endometriose, der Adenomyosis uteri, Läsionen in Organen wie z. B. der Lunge oder der Bauchdecke zahlreiche klinischen Manifestationen auf. Hier muss diskutiert werden, ob sich um die Facetten ein und derselben Krankheit oder um unterschiedliche pathophysiologische Prozesse mit dem gleichen phänotypischen Endzustand - dem Bild der Endometriose handelt. Mit dem bisherigen wissenschaftlichen Kenntnisstand lässt sich diese Frage nicht klären. Bereits 1927 hat Sampson in einer seiner Arbeiten weitere Forschungsarbeit gefordert, um die Ätiologie der Endometriose aufzuklären. Dieser Satz findet sich auch heute in zahlreichen Arbeiten. Obwohl seit Sampson viele interessante und wichtige Erkenntnisse gewonnen werden konnten, bleibt festzustellen, der Schlüssel zur Pathophysiologie der Endometriose wurde bisher noch nicht gefunden. Aber ohne ein besseres Verständnis der Pathophysiologie des Krankheitsbildes werden Fortschritte bei den diagnostischen und insbesondere den therapeutischen Möglichkeiten in der Behandlung von Endometriosepatientinnen wahrscheinlich enttäuschend bleiben. Die Entwicklung innovativer Forschungsansätze, die über ein verbessertes Verständnis des Phänomens Endometriose Fortschritte für die klinische Praxis erreichen, ist daher eine große Herausforderung.

PD Dr. R. Gaetje

Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe · Johann Wolfgang Goethe-Universität

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt

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