NOTARZT 2005; 21(6): 187-188
DOI: 10.1055/s-2005-915319
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Weltjugendtag, Fußball-WM - Apocalypse now?

World Youth Day, FIFA World Cup - Apocalypse Now?D.  Stratmann
Further Information

Publication History

Publication Date:
08 December 2005 (online)

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass - ausgelöst wohl primär durch die Ereignisse des 11. September 2001 in New York - die Diskussion über die Einsatztaktik beim „Massenanfall Verletzter” neu belebt wurde. Dies insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bis dato für unwahrscheinlich gehaltene Dimensionen und Schadensarten („Terrorangriffe”) auch auf uns zukommen könnten - Madrid und London liegen bedrohlich nahe.

Ereignisse wie der Weltjugendtag 2005 in Köln und die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft im Frühsommer des kommenden Jahres haben daher die für eine denkbare Schadensabwicklung verantwortlichen Behörden, Institutionen, Verbände und Organisationen in Deutschland veranlasst, konkrete Planungen für die möglicherweise erforderliche Versorgung eines nun wirklichen „Massenanfalls” von jetzt bis zu 1000 Betroffenen aufzunehmen und umzusetzen.

Dass es sinnvoll wäre, die erforderliche Umsetzung mit dem Ziel eines einheitlichen Konzeptes und vor allem auch unter Einbeziehung medizinischen Sachverstandes zu diskutieren, zu planen und vorzunehmen, wird niemand ernsthaft bezweifeln. Aber die immer noch in Deutschland zementierten unzähligen getrennten Zuständigkeiten (Bund - Land - Kommune) behindern bundeseinheitliche und konsentierte Konzepte leider weiterhin.

So sind inzwischen eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte bekannt. Man hat den Eindruck, jeder möchte für sich das Rad neu erfinden, obwohl die bisherigen Grundsätze der medizinischen Versorgung beim Massenanfall unstrittig sind. Daran ändern auch Einzelstimmen wie die von Adams et al. (Anästh Intensivmed 2005; 46: 215) nichts, zu denen sich die BAND, ebenso wie z. B. bereits Schmidt, Habers und die DGKM (Anästh Intensivmed 2005; 46: 448, 450, 458), noch detailliert äußern wird.

Da in einem Editorial keine umfassende Darstellung der Gesamtproblematik möglich ist, sollen hier beispielhaft für das medizinische Versorgungskonzept zwei Versorgungsbereiche, die Patienten- oder Verletztenablage und der Behandlungsplatz (inkl. Bereitstellung der erforderlichen Transportkapazitäten) herausgegriffen werden.

Ohne Zweifel wird der Patienten- oder Verletztenablage zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl bereits hier häufig zwingend die ersten lebensrettenden Maßnahmen durchgeführt werden müssen und nicht erst im Bereich des Behandlungsplatzes. Für diese Verletztenablage fehlen aber in vielen Konzepten sowohl alle einsatztaktischen, personellen als auch materiellen Vorgaben!

Alle Konzepte sehen in dem Behandlungsplatz zu Recht den wesentlichen medizinischen Versorgungsbereich. Dabei wird niemand bezweifeln, dass die personelle/materielle Ausstattung bei Erschöpfung der rettungsdienstlichen Kapazitäten sich zwangsläufig wird beschränken müssen auf ein Leistungsniveau, dass dann nicht mehr durchgehend notfall-/individualmedizinischen Maßstäben gerecht werden kann. Dies zeigt sich auch beispielhaft in dem von Sefrin in diesem Heft dargestellten Konzept des Behandlungsplatzes zur Fußball-WM in Bayern. Diese Vorgabe ist für mich akzeptabel für unvorhergesehene Ereignisse, bei denen der Behandlungsplatz immer als Ergänzung des Rettungsdienstes tätig wird.

Gilt sie aber auch für die monatelang planbare Vorsorge und insbesondere dann, wenn - wie in Köln unerwartet geschehen - vom „Behandlungsplatz” eine völlig autarke Komplettversorgung in einem möglichen Schadensgebiet ohne nennenswerte rettungsdienstliche Unterstützung erwartet wird? Diese Erwartungshaltung ist aber keineswegs unrealistisch, waren doch auch in Madrid, London und soeben Neu-Dehli zeitgleich an mehreren Schadensstellen Verletzte zu versorgen.

Dann ist aber zuvor für diese „Behandlungsplätze” eine deutlich erweiterte personelle/materielle Ausstattung auf rettungsdienstlichem Niveau inkl. geeigneter Transportkapazitäten festzulegen! Ansonsten gehen zahlreiche „Mogelpackungen” auf die Reise …

Schließlich ist eine der aus meiner Sicht - trotz aller planerischen Bemühungen im Vorfeld - nicht zu vernachlässigenden Lehren aus den Ereignissen in Köln die Aussage von Neuhoff, Ruster, Huppatz und Schmidt, dass „trotz aller Vorplanungen … oft nur lagebedingt” reagiert werden konnte (brandschutz 2005; 59: 794). Und manchmal auch gar nicht mehr - aber auch damit muss man leben können!

Bleibt zu hoffen, dass in die Konzeptentwicklung für die als Austragungsorte der Fußball-WM 2006 vorgesehenen Städte die Notarzt-AGs so vorbildlich in die Planungen einbezogen werden, wie es z. B. in Baden-Württemberg mit der agswn der Fall ist.

Dr. med. Dieter Stratmann
Vorsitzender der BAND e. V.

Dr. med. Dieter Stratmann

Klinikum Minden · Institut für Anästhesiologie

Friedrichstraße 17

32427 Minden

Email: dieter.stratmann@klinikum-minden.de